Zum Symbol der «weissen Kleider»

Heute Sonntagmorgen (9.12.2007, 2. Advent) erwache ich im Bewusstsein des Sonntags und empfinde diese Tagesstimmung wie ein Gewand um die Seele. In meinem Tagebucheintrag von diesem Sonntagmorgen habe ich zuerst nicht an die «weissen Kleider» gedacht, aber irgendwie kam ich über bestimmte Empfindungen hin zu diesem Begriff. Die Einträge lauten: «Die Präsenz der Himmel ist im Gefühl, in den Tränen (weinte gestern im Stadttheater bei der Aufführung von «Les Miserables») . Nicht einfach nur unsere Gedanken, unser Geist ist es, der Kontakt zum Himmel hat und Erinnerungen an die himmlische Heimat ins Tagesbewusstsein empfängt oder mit nimmt. Nein, es ist auch die Seele, ja der ganze Leib, der beim Aufwachen noch ein Gefühl, eine Stimmung, einen Geruch für das Leuchten der Himmelswelt mit nehmen kann - wie im Märchen von den Sterntalern.»
Der Himmel mit seinen Überraschungen kommt nur allmählich und sorgfältig zu uns, und zwar in einer uns angemessenen ganzheitlichen Art. Ich erinnerte mich des Rabbis, der bat, Gott anbeten zu können wie die Engel. Als ihm Gott diesen Wunsch erfüllt hat, war er im selben Moment am Boden, kroch zitternd und erschreckt unter sein Bett mit dem Stossgebet: Gott der Himmel, lass mich Dich wieder anbeten wie der einfache Rabbi, der ich bin.
Also: Gott weiss schon, warum wir oft unter der Gottesferne leiden. Er hat die Welt so eingerichtet, dass wir alle allmählich und durch unser reales Leben auf je unsere Weise zu ihm gelangen. Und die Weise, wie er sich uns offenbart, ist nicht zufällig, aber vielfältig und doch in wunderbarer Ordnung. Gott kommt in unser ganzes Menschsein, ins Denken, Fühlen und Wollen. Das Symbol für diese sanfte Vereinigung oder Aneignung Gottes ist das «weisse Gewand». Das ist die Präsenz Gottes, die uns verheissen ist und sanft bekleidet: ein Geschenk, das wir aber selber unter seiner Gnade weben, damit es unser Gewand ist.
Heute Morgen spürte ich das Sonntagslicht, diese Sonntagsspiritualität - auch durch Gesänge im Radio, von Heinrich Schütz. Und in diese Stimmung hinein gehört auch die Hinführung zum Gottesdienst. Ich will in die Kirche gehen in der Hoffnung, dass dieses zarte Seelenkleid in Stimmung gebracht wird, wenn auch nur durch ein Lied, einen Vers oder die Orgel! - Und ich ziehe seit langem wieder einmal die Kleidung an mit weissem Hemd. Und schreibe: «Zur Sonntagsspiritualität gehört, dass ich mich reinige und das Sonntagsgewand anziehe - und dieses spüre ich auch als geistliche Realität. Diese Realität sind die «weissen Gewänder»  aus der Johannesoffenbarung. – Auch über die weiteren Heilsymbole (in den Sendschreiben Kp. 3 und 4) sollte ich schreiben. Sie stehen für die höhere Entwicklung des Menschen und sind nicht einfach beliebige Bilder für etwas in einer spezifischen Religion durch Menschen als «gut» definiertes.»
Dieselbe Einsicht gewann ich an einem Vortrag über den St.Galler Pietisten Stefan Schlatter, der davon schrieb, wie er oft in den Zustand der «ersten Liebe» (Apk. 2,4) geriet und aus diesem Zustand seine Inspirationen gewann. Auch diese «erste Liebe» ist eine seelische Realität, eine menschliche Möglichkeit: das, was der Christenheit zu aller erst anvertraut worden ist. Die weissen Kleider sind die Folge eines Lebens aus diesem Keim der Liebe. (9.12.2007)

Hier füge ich noch an, was ich früher in der Auslegung des Sendschreibens an Sardes über die weissen Kleider schrieb. Sie sind auch ein Bild für den neuen Leib, den Auferstehungsleib.

Hinblick auf den Auferstehungsleib
Bezog sich die Verheissung an Ephesus noch zurückblickend auf das Paradies und das Essen vom Baum des Lebens, blickt die Verheissung an Sardes bereits voraus auf das Ende, auf eine neu entstehende Wirklichkeit. Wir werden in einem neuen Kleid in die Ewigkeit eingehen. Das weisse Kleid ist Symbol für den neuen Leib, den strahlenden Auferstehungsleib, den wir dereinst empfangen sollen. Dieser Leib kommt nicht einfach nur wundersam von Gott. Bereits jetzt haben wir Verantwortung für diesen unsern künftigen Leib übernommen in der Art, wie wir hier unsern irdischen Leib behandeln und in ihm leben. Das wir an einigen Menschen aus der Gemeinde klargemacht, welche uns ein Beispiel geben, wie wir schon hier das künftige Kleid bereiten. «Aber du hast einige in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; die werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind's wert.»
An diese Feststellung über die lauteren Gemeindeglieder in Sardes knüpft sich die Verheissung, die hier genau dieses Bild aufnimmt, es verallgemeinert und mit unserm ewigen Namen verbindet, der in Gottes Bewusstsein ist und dereinst durch den Menschensohn selbst dem Himmel und der neuen Welt anbefohlen werden soll: «Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens, und ich will seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!»