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Astrologische Konstellation am 21.12.2012: Erde, Sonne und Milchstrassse auf einer Linie

Arbeitsjournal 2013-2014:


Palmsonntag, 24. März 2013

Jesus und das Lamm Gottes

Das «Lamm Gottes» ist ein Bild für die überzeitliche Selbsthingabe Gottes, von der Jesus zeugte und von der Jesus eine besondere Verkörperung war, ist und sein wird.

Am 19.3.2013 habe ich anschliessend an die Mitgliederversammlung der Christlich-jüdischen Arbeitsgemeinschaft St.Gallen /Ostschweiz «anhand von Kunstbildern einen Einblick in Aufbau und Inhalt der Apokalypse» zu geben versucht. Ich habe absichtlich in der Zeitung den Anlass nicht angekündigt, keine Werbung gemacht. So konnte ich vor einem intimen Kreis meine Gedanken – erstmals in Schweizerdeutsch – zu meiner Powerpoint-Präsentation geben, die ich immer auf die spezifische Situation anpasse und ergänze. Meine Erläuterungen und Erklärungen wurden durch die Präsenz von anwesenden Juden auf eine spezifische Art inspiriert.

Die messianische Hoffnung zwischen Jerusalem und Rom
Recht ausführlich schilderte ich, wie Rom an der selbstbewussten Haltung der Provinz Judäa irre wurde und im Jahr 70 nach Christus nicht nur den Tempel zerstört und Juden vertrieben hat, sondern auch die Hoheitszeichen aus dem Tempel (den siebenarmigen Leuchter) nach Rom transportierte. Juden in der Diaspora waren später ein wichtiger Ankerpunkt für die Verbreitung der christlichen Messiasidee. Deren mehrheitliche Ablehnung, verbunden mit dem Respekt der «Heiden» vor dem jüdischen Monotheismus, haben dazu beigetragen, dass sich die jüdische Messiasidee, festgemacht an der Gestalt des Jesus von Nazareth, im römischen Reich verbreiten konnte. In der Gegend zwischen Jerusalem und Rom, in Kleinasien, wirkte der Prophet Johannes, der in Patmos in Gefangenschaft war und dort Visionen zur Zukunft der Gottesherrschaft hatte – dies in Anlehnung an die Gattung der prophetischen Apokalypsen Israels. Johannes schaute quasi eine christliche Apokalypse, denn dieser Wanderprophet, der in den sieben Gemeinden Kleinasiens ein bekannter und anerkannter Missionar war, brachte in die junge Religion das ganze Erbe des apokalyptischen Judentums mit, jetzt aber auf die Christusherrschaft im auferstandenen Jesus fokussiert. Denn der Tempel war zerstört, Israel in alle Welt zerstreut – das war die Zeit für eine Neukonzeption. Die Deutungen des Todes Jesu, aber auch die Bedeutungen, die Jesus in den Evangelien erhalten hat, zeigten es an, dass jetzt die Zeit gekommen war, wo das Erbe der jüdischen Reichhoffnung auch ganz real sich zur römischen Herrschaft und allen kommenden weltlichen Herrschaften in Beziehung setzen sollte – dies geschieht in den Visionen des Johannes.

Das Lamm als Bild der überzeitlichen Selbsthingabe Gottes
Dann kam ich auf die Inhalte der Apokalypse zu sprechen, auf die Sendschreiben und dann zu dem Kapitel 4 und 5, wo Johannes das Buch in der rechten Hand dessen sah, der auf dem Thron sass. Und nur das Lamm war würdig, das mit sieben Siegeln verschlossene Buch zu öffen. Dieses Buch deutete ich als Buch der Weltgeschichte – so wie es das Buch des Lebens für jedes Individuum gibt, so ein Buch zur Geschichte der Menschheit. Wenn nun das Lamm würdig ist, dieses Buch zu öffnen, dann muss im Lamm auf eine Wesenheit geschaut werden, die nicht einfach mit Jesus von Nazareth identifiziert werden kann. In diesem Moment entdeckte ich im Publikum auch eine aufmerksam zuhörende St.Galler Jüdin – und sogleich kam mir in den Sinn, das Rudolf Steiner den Siegelzyklus als Weltgeschichte durch alles Zeiten gedeutet hat – als den grössten Zyklus, der tatsächlich die ganze Weltentstehung und das Weltende umfasst. (So sollte ich dringend bei Rudolf Steiner nachlesen, wie er dazu kommt, von früheren Christusopfern zu sprechen und aus welchen Quellen er davon weiss.) Und ich erinnerte mich, dass da von verschiedenen Christusopfern die Rede ist, von denen der Tod des Jesus von Nazareth nur ein Aspekt ist. Und so deutete ich das Lamm nicht einfach auf Jesus, sondern auf das opfernde Wesen in Gott, das ewig ist und sich in verschiedenen Zeiten und Weisen den Menschen offenbart. Indem ich sagte, dass es in Gott das Prinzip der Selbsthingabe gebe, das sich in der Evolution in verschiedener Weise geschichtlich real ausgewirkt und auch gezeigt hat, nahm ich etwas von dem Absolutheitsanspruch des Christentums hinweg und setzte des Jesusopfer in eine Reihe von Taten Gottes, die ohnehin universell sind und weniger mit dem Verhältnis von Juden und Christen zu tun haben.

Der Messias
Heute habe ich die Messias von Händel gehört und dabei diese vielen alttestamentlichen Bibelstellen, die von der künftigen Herrschaft des Messias zeugen, in neuem Licht gesehen. Mir wurde klar, dass man den Textstellen gerechter wird, wenn man sie universell und menschheitlich deutet. Dabei werden nicht einfach alle alttestamentlichen Stellen über den Gesalbten, den Gottesknecht oder den Menschensohn auf Jesus gedeutet, sondern diese Stellen bleiben Hinweise auf ein göttliches Prinzips der Selbsthingabe und der Herrschaft, das als solches lange vor Jesus und wohl auch in ausserchristlichen Kulturen wirkt und wahrgenommen werden konnte. In der christlichen Theologie ist dieser Gedanke durchaus bekannt, wenn man die Lehre der Präexistenz konsequent durchführt. Der Logos ist vom Anfang an bei Gott. Und der Logos hat sich immer den Menschen zugewandt, wurde aber nur selten verstanden und angenommen. So wirken diese alttestamentlichen Messiasworte bis heute weit über ihre christliche Deutung hinaus auch menschheitlich. Sie dienten den ersten Christen dazu, die Gestalt des Jesus zu deuten, zu verstehen – und bis heute werden diese Stellen von jeder Generation in neuem Licht, in ihrem eigenen Vermögen, gesehen. Durch diese Traditionen folgen die Menschen zum einen ihrer Sehnsucht, Gottes Menschlichkeit als Kernpunkt für die Weltgemeinschaft zu sehen, zum andern schaffen sie sich darin ein Organ, die Menschlichkeit Gottes in sich und in aller Kreatur zu entdecken. So kommen wir dahin, in uns und über uns jemanden zu erfahren, der das Reich Gottes repräsentiert und herbeiführt: der Messias, von dem Jesus eine spezifische, in ihrer Art einmalige Verkörperung war, ist und sein wird. Und wie gut tut es, diesen Schlüsseltexten wie in Engelsgesang zu begegnen. «Darum müssen beide fest aneinanderhalten, Christentum und Musik, weil beide einander verklären und erheben. Wie Jesus vom Chor der Engel empfangen ward, so begleiten wir ihn mit Tönen und Gesang bis zum großen Halleluja der Himmelfahrt; und eine Musik wie Händel’s «Messias» ist mir gleichsam eine compendiöse Verkündung des gesammten Christentums.» Friedrich Schleiermachers, in «Weihnachtsfeier» von 1806.
St.Gallen, 25.3.2013

Sonntag, 14. Juli 2013

Die I Am-Bewegung und Peter Mt. Shasta

Ich korrigiere in diesen Tagen Texte, welche Ruth aus dem Englischen übersetzt. Es handelt sich um das Buch von Peter Mt. Shasta «Adventures of a Western Mystic». Darin erzählt er biografisch, wie er in den 70er- und 80er-Jahren im Norden von California von den aufgestiegenen Meistern, speziell von Saint Germain, auf seinem spirituellen Weg zur Verwirklichung der eigenen «Ich-Bin-Kraft» geführt wurde.

Die I Am-Bewegung entstand in den 1930er-Jahren als eine amerikanische, recht pragmatische Ausprägung der Theosophie. Diese Bewegung kam in die Jahre und lebte in verschiedenen Strängen weiter, so auch in einzelnen Persönlichkeiten wie etwa Pearl, einer Frau, die in Mt. Shasta viele Schüler hatte, darunter auch Peter.
Die I Am-Bewegung, so las ich eben bei www.relinfo.ch, soll in vielem die amerikanische Esoterik beeinflusst und geprägt haben.
Peters Buch setzt da an, wo die Neuorientierungen der Hippiezeit neue Impulse brauchte. Es war die Zeit, wo auch ich selber mit dem Erbe der indischen Religionen in Kontakt kam und mystische und esoterische Texte aus allen Kulturen populär und zugänglich wurden. Darum lese ich Peters Buch gerne, es führt mich zurück in diese Zeit, als auch bei mir die spirituelle Suche noch ein wichtiges Lebensmotiv war.

Hier einige Punkte, die mich ansprechen, die mir durch diese Lektüre neu bewusst werden und die ich darum hier in freier, eigener Weise zu formulieren versuche.

Zum Gottesbegriff: Gott ist Geist, ist schaffendes und in Liebe leuchtendes Bewusstsein. Es erfasst sich selber am angemessensten in der Selbstbezeichnung Gottes am Berg Horeb, wo Moses nach dem Namen des im brennenden Dornbusch erscheinenden JHVH fragte. «Ich bin der «ICH-BIN». Dieser Gott ist die Urenergie, die alles Sein umfasst, in dem alles zusammengehalten ist und sich verdankt.

Zum Menschen: Auch der Mensch ist Träger dieses «ICH-BIN» - oder besser gesagt: Der Mensch ist im Kern dieses ICH-BIN. Die ICH-BIN-Energie ist die in die Gottheit hinein reichende Essenz des Menschen, aus welcher alle niederen Formen meiner Person sich ableiten. Mein Bewusstsein ist geprägt von den niederen und äusserlichen Formen meiner Person, doch im Kern dieses Bewusstseins lebt die ICH-BIN-Energie, in welcher im mehr und mehr erwachen kann, welche mehr und mehr seine als irdische Person abgeleitete Schöpfung durchdringen und mit seiner göttlichen Weisheit, Liebe und Kraft erfüllen will. Troxler, mein Hausphilosoph, nannte diesen höhern Teil im Menschen «den in Gott verborgenen Menschen.»

Zur Verwirklichung, dem Weg: Im Bewusstsein der Ebendbildlichkeit Gottes (als Gestalt wie auch als Ruach, dem Geist als ICH-BIN-Energie), wende ich mich nicht einfach an eine fremde Gottheit, die mir vielleicht gnädig ist oder eben nicht. Die Gottheit hat sich schon vom Schöpfungsprinzip mir eingelebt und will von mir in meinem realen Leben verwirklicht werden. Darum wird auch in der Meditation die Verbindung zum eigenen ICH-BIN gesucht. Und auch im Alltag kann man sich auf diese seine höheren Natur berufen, mit ihr in Kontakt kommen und sie um Führung und Kraft anrufen.

Die ewige Kommunion in der oberen Welt: Für das europäische, kirchliche Christentum kann diese Anrufung der eigenen ICH-BIN-Identität schnell einmal nach Selbsterlösung tönen, ja sogar nach Selbstvergottung. In der Tat ist bekannt, dass der Mensch diese Energie eigenmächtig und eigensüchtig nutzen kann – was vielfach auch passiert bei Menschen, die überhaupt nicht um diese höheren Kräfte wissen. Doch wer um die ICH-BIN Geheimnisse weiss, lebt Angesichts seiner eigenen ICH-BIN-Identität mit Respekt, Erfurcht und Dankbarkeit wie unter dem Segen eines guten Gottes. Dazu kommt, dass die eigene ICH-BIN-Identität nie als etwas isoliertes, nur mir gehöriges angeschaut werden kann. Denn diese menschliche Identität ruht im universellen ICH-BIN Gottes, das auch die ICH-BIN-Identität von allen lebenden und verstorbenen Menschen umfasst, ja selbst die ICH-BIN-Identität der Engel. Letztlich sind wir alle in dieser ICH-BIN-Identität Gottes verbunden und in der Einheit Gottes geborgen. Über das ICH-BIN Gottes ist uns auch die Welt als Schöpfung dieses Gottes keine fremde Welt, sondern eine auf uns zugeschnittene. Als irdische Person sind wir nun einerseits Teil dieser Welt, verwickelt in die irdischen Prüfungen und Lektionen, den karmisch-göttlichen Gesetzen unterworfen. Andererseits aber sind wir auch eingebunden in die ewige Kommunion der Geistwelt, welche für uns Menschen atmet im Tag/Nachtrhythmus. Im Schlafen ist unsere ICH-BIN-Identität von der irdischen Person und deren Verwicklungen gelösst und ganz eingetaucht in Ihresgleichen, um dort im Licht von den Meistern, von Engeln oder Gott selber die irdischen Verhältnisse zu verarbeiten und neue Impulse zu empfangen. Im Alltag ist die Erinnerung an diese Stärkung in der Nachtwelt vergessen, doch durch Übung oder teils durch Veranlagung kann der Menschen diese nächtlichen Inspirationen erinnern oder gar bewusst erleben. Die himmlische Kommunion ist auch im Alltag, im Wachzustand, aktiv – nur ist sie da durch das irdische Bewusstsein und unsere historische Rationalität überblendet. Doch es soll in der Schule zur Meisterschaft möglich sein, auch im Alltag in der ICH-BIN-Identität aufzuwachen und um die Hilfen der höheren Welt zu wissen wie auch selber helfend zu wirken.

Anfragen: Aufgefallen ist mir, dass Christus in der I Am-Bewegung auch zu den aufgestiegenen Meistern gehört, er ist einer unter vielen. In einer andern theosophischen Weiterentwicklungen, der Anthroposophie, ist Christus ein universelles Prinzip in Gott, das vermittelnd für alle Menschen die Annahme der ICH-BIN-Identität ermöglicht. Ein weiteres Problem, das für mich nicht gelöst ist, hängt mit Auferstehung und Himmelfahrt zusammen. In der I Am-Bewegung spielt der Aufstieg, englisch Ascension, eine zentrale Rolle. So weit ich verstanden habe ist der Mensch irgendwann bereit, wie Jesus in den Himmel zu fahren und dort bleibend zu wirken, sich also zu den aufgestiegenen Meistern zu gesellen. Die von den drei monotheistischen Religionen eher für das Ende der Zeit angesagte Auferstehung entfällt damit. Doch scheinen die aufgestiegenen Meister bereits einen neuen Körper zu haben, den sie bisweilen sogar materialisieren können. So erscheint Saint Germain in verschiedenen Gestalten dem Peter, um ihn auf seinem Leben zur Meisterschaft zu führen.
In der Anthroposophie wird von vielen künftigen Entwicklungsphasen gesprochen, welche der Mensch braucht, um durch viele Leben in Auseinandersetzung mit der geschaffenen Welt die irdische Körperlichkeit in eine geistige Körperlichkeit umgewandelt zu erhalten - bei der I Am-Bewegung scheint es zu reichen, das ICH-BIN Bewusstsein zu realisieren und so sich zu den aufgestiegenen Menschen zu gesellen - und ich bin auch auf Andeutungen gestossen, dass der Menschheit gar nicht mehr soviel Zeit dafür bleiben soll.»  (14.07.2013)


Mittwoch, 9. April 2014:

rose

Rosenkreuzerspruch

Vor einiger Zeit habe ich auf Facebook mein Sonnenblumenbild mit einer Rose ausgetauscht. Freund Urs fragte mich dann, ob ich nun zum Rosenkreuzer geworden sei. Darauf antwortete ich mit einigen Erinnerungen, die ich aber anderntags wieder gelöscht habe. Das schrieb ich folgendes:

Die «Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreuz» (1616) habe ich während meines Studiums in Basel (zusammen mit Julia C.) gelesen. Ich habe da verstanden, dass die Herrschaft der Theologie abgelöst werden wird durch die Naturerkenntnis, und dass die Naturerkenntnis spirituell werden muss, dazu dienend, die materielle und die geistige Natur des Menschen zur neuen Schöpfung hin zu vermählen.
Die Herrschaft der Naturwissenschaft haben wir jetzt. Aber sie ist weit entfernt davon, spirituell zu werden – so, wie das I.P.V. Troxler oder Goethe am Anfang des 18. Jh. noch denken und empfinden konnten. «In des Geistes Weltgedanken erwachet die Seele» - So hat Rudolf Steiner das Wirken des Heiligen Geistes – entsprechend einem Rosenkreuzerspruch – für unsere Zeit formuliert. Dieses Erwachen der Seele im Geist hat zur Grundlage die Schöpfung des Vaters und das Opfer Christi. Was Gott durch die Schöpfung in uns gelegt hat, kann Kraft des Opfers Christi in uns aufblühen. Das sind die sieben Rosen, die aus dem Kreuz erwachsen. Wer im Geist erwacht, stösst auf den Kern aller Religionen und entdeckt die Religion des Menschen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Wir alle sind berufen, im Geist Gottes zu erwachen. Dann wird alles Religion, alles im Bezug auf Gott gesehen und erlebt.

rosenkreuz

Mittwoch, 9. April 2014

Gibt es eine moderne, überreligiöse Spiritualität?

Lieber Andreas (26.3.2014)

Ich möchte mit Dir eine Beobachtung teilen. Gleich zwei Mal bin ich gestern auf Zazen und die buddhistische Meditation in Kirchen gestossen. Ich habe das, ganz ehrlich, ein wenig irritierend empfunden, so als ob die christliche Tradition keine Meditation beinhalte. Dabei gehören die kontemplativen und meditativen christlichen Schulen zu den feisten unter den Religionen! Ich frage mich, warum die Christen es heute notwendig finden, auf ihnen völlig unbekannte Traditionen zugreifen zu müssen? Das wäre so, wie wenn in einem buddhistischen Kloster in den tibetischen Bergen plötzlich die Buddhisten zum Abendmahl eingeladen würden! Du hast ja die Länder bereist und weisst am besten, dass man eigentlich in dieser Tradition geboren und aufgewachsen sein müsste, um Zazen zu verstehen und zu praktizieren.

Echte Erfahrung oder Konsum-Mentalität
Dennoch gibt es viele spannende Fragen, über die man nachdenken könnte. Ein Beispiel: Geht man davon aus, dass die spirituellen Gesetze, genau so wie die Naturgesetze, allgemein und Zeit- und Ort übergreifend gültig sind, werden alle Suchenden früher oder später sie entdecken und ihnen folgen. Die spirituelle Erfahrung, als Gegensatz zur Spiritualität als Theorie, spielt da die entscheidende Rolle.
Oder man könnte auch mit der These kommen, dass das Christentum viel zu unspektakulär geworden ist und nichts mehr an Lager hat, was die Menschen noch begeistern könnte. Deswegen verwandeln sich die Kirchen langsam in einen synchronistischen Tempel, in dem aus allen Quellen (allerdings auch nur sehr wählerisch) geschöpft wird.
Da entsteht jedoch die Gefahr (aus meiner Sicht) einer zusammen gewürfelten Religion, die dem Geiste des Konsums gänzlich entspricht. Man bedient sich wie in einem Supermarkt und legt in seinen Korb nur das, was einem schmeckt.

Worum geht es eigentlich?
Und dann wäre vielleicht auch die Frage, welches Ziel die Kirchen und ihre Besucher verfolgen? Und welches Ziel verfolgen die spirituellen Lehrer? Wohlfühlen? Mystische, sehr verschwommene spirituelle Begriffe, mit denen kein Mensch in der Wirklichkeit etwas anfangen kann? Warum meditiert man denn überhaupt, oder betet, oder engagiert sich in einen religiösen Ritus?
Ich habe immer stärker das Gefühl, dass die Religionen sich heute viel zu viel auf das diesseitiges Leben orientieren. Dabei lehrt jede Religion, dass jedes Ritual den Menschen vom diesseitigen Leben noch ein Stück lösen sollte, um seinen Fokus auf das wahre und ewige Leben zu richten. Da müsste man natürlich nochmals die Konzepte "Hölle" und "Himmel" in unserer Sprache und gemäß den psychologischen Eigenschaften des modernen Menschen erklären. Aber das wäre noch eine ganze Ausgabe wert! ;)

Nur eine Parodie auf die andern Religionen?
Die letzte Frage wäre eben, wie berechtigt der religiöse Pluralismus sein könnte und wie da die Karten gemischt werden sollten, damit das, was die Menschen in den Kirchen veranstalten, nicht als keine Parodie auf alle Religionen aussehen würde.

Und jetzt wünsche ich Dir einen wunderschönen Tag und freue mich von Dir wieder zu hören!

B.I. "The truth is what matches with the reality" Imam Hasan Abdullah

 

Ich suche die moderne, überreligiöse Spiritualität…

Lieber Baruch Ignatius (26.3.2014)

Danke für Deine Beobachtungen und Reflexionen – das Thema, das Du da anschneidest, ist so umfassend und grundsätzlich, dass ich es eigentlich als Hintergrund für meine ganze Arbeit als kirchlicher Journalist vor Augen habe.

Mulitkulti und Geist
Es geht auch um die Frage, ob es so etwas wie eine moderne, überreligiöse Spiritualität gibt, die zwar aus dem Fundus der globalen Traditionen sich nährt, sich aber sprachlich, methodisch und rituell ganz den jeweiligen Zeiten und Bedürfnissen anpasst. Dieses Konsumieren der Tradition und das Ausgestalten der alten Schätze in beliebigen Modernisierungen könnte aber allein nicht reichen: Da muss eine Tiefendimension dazukommen, der Geist als kreatives Element, der die Tiefen der Tradition versteht, wiedererkennt, und alles kreativ inspiriert und leitet und damit in die Jetztzeit schreitet.

Objektive Kriterien?
Da geht es um die Frage echter spiritueller Erfahrung durch das Lesen (Adoptieren) und Umsetzen (Modernisieren) der Traditionen – alles in der Anbindung an den Geist Gottes. Das kann da und dort besser oder schlechter geschehen – wobei uns irgendwie auch die Kriterien für dieses Besser oder Schlechter fehlen – Gott weiss es. Aber auch wir müssen darin ein Wissen, eine Kultur haben, Kriterien, Methoden und Ansätze, all die Fragen, die Du aufwirfst, miteinender fundiert diskutieren und verhandeln zu können, ja fast durch eine Art Geisteswissenschaft einer reiferen Entwicklung zuzuführen.
Damit ist eigentlich auch das Kernthema angeschnitten, an dem ich in Zukunft dranbleiben will und dem ich auch immer wieder in meiner Biografie und meinem Nachdenken begegnet bin. Und Du weißt, dass ich da Unterstützung gefunden habe bei I.P.V, Troxler, bei Steiner, Herbert Witzemann – aber ich will den Weg mit diesen Anregungen im Hintergrund selber weiter gehen mit den Menschen von heute im Gespräch, mit dem, was heute getan und praktiziert wird, ja ausgehend von der Arbeit in meiner Kirche: "The truth is what matches with the reality" - soviel für den Moment.
Liess jetzt grad in der Mohamedbiographie von Annemarie Schimmel – sie hat ein tiefes Verständnis für die Spiritualität dieses Mannes und des Islams.

Mit Grüssen, Andreas

 

«Es gibt keine überreligiöse Spiritualität»

Lieber Andreas (26.3.2014)

noch ein paar Gedanken zu Deinen Reflexionen. Ich denke, es gibt keine «überreligiöse Spiritualität» – aus einem sehr einfachen Grund: Man kann die Religion von der Spiritualität nicht trennen; die sind wie Leib und Seele und können auf der Erde nicht ohne einander existieren. Man könnte jedoch sehr wohl über die "religionsübergreifende spirituelle Erfahrung sprechen", wenn die Gebete verschiedenster Menschen erhört werden.

Oberflächliche Anpassung
Und was ich persönlich für sehr gefährlich halte, ist eben dieser ständige Versuch, die Religion "an die Bedürfnisse und Zeiten anzupassen". Da sehe ich sofort mehrere Probleme. Einerseits, die Religion (wenn wahr) ist immer transzendent und deswegen auch zeitübergreifend. Die Wahrheit ist ewig und wird ewig bleiben. Genau so wie der Mensch immer ein Mensch war und bleibt. Ich bezweifle sehr, dass der moderne Mensch weiter entwickelt ist als seine Ahnen. Wenn ja, dann nur sehr einseitig. Der berühmte Anthroposoph und Freund von R. Steiner, Valentin Tomberg, schreibt: "Die Affen sind nicht die Vorfahren des Menschen, sondern seine Nachkommen" ("Meditation auf Tarot").

Das eigentliche Problem des Ego
Was die Tradition betrifft, ist auch Folgendes zu bedenken: Wir alle sind ja nicht nur ein Produkt unserer Eltern, sondern der unzähligen Generationen davor. Ich vermute, eine neue Religion zu gründen, wäre schlicht unmöglich wie auch unnötig. Das Problem liegt (meiner Meinung nach) auch gar nicht daran, dass die Religion "veraltet" ist und eines Updates (sprachlich, gedanklich, bildlich) bedürftig ist. Das Problem liegt viel eher darin, dass wir in unserem Egoismus gar keine Religion annehmen wollen, in der ein Anderer als unser Ego der Gott ist. Und so suchen wir nach der "Religion-Light", die es gar nicht gibt. Wir erschaffen dabei unsere eigene Religionen oder eben die Cocktails aus den verschiedenen Religionen – und bleiben doch immer mit diesem Cocktail unzufrieden. All diese Religionselemente stillen eben nicht unsern spirituellen, uns eingeborenen Durst nach die Wahrheit und nach die Ewigkeit. Sie sind nur die billigen Surrogate, die täuschende Fata Morgana, die uns das Wasser des Lebens versprechen und wenn wir sie erreichen, uns vor Durst und Hitze sterben lassen (ein Bild der Hölle, vielleicht?).

Entspannung oder echte religiöse Erfahrung
Möglicherweise muss der Mensch einfach genug Mut haben, um sich die Frage zu stellen und sie auch ganz ehrlich für sich zu beantworten: Was will ich eigentlich? Wo will ich hin? Woran glaube ich? Was heisst «wirklich glauben?» Jede Religion verlangt, dass der Mensch für diese Welt freiwillig stirbt, stirbt in seinem Ego und lebt allein für Gott. Auch im Buddhismus ist es nicht anders – der Buddhismus ist noch viel rigider als das Christentum in seiner Praxis und dem Weg an die Quelle der Spiritualität. Deswegen finde ich es immer traurig und lustig, wenn die Menschen in den Kirchen Zazen üben. Das kann man nur mit einer irrsinnigen Naivität, der typisch westlichen Oberflächlichkeit und der enormen Arroganz, mit der die Menschen sich im materiell «reichen» und spirituell völlig bankrotten Westen so traurig auszeichnen. Was versprechen sich denn solche Menschen von diesen 1,5 Stunden «Meditation», die nichts anders sind als ein billiges Plagiat einer wahrlich grossen Tradition? Dass sie sich danach «wohler» fühlen? Dass sie nicht mehr so «gestresst» sind? Das ist eben eine Karikatur der Spiritualität. Denn ALLE Traditionen sind in einem Punkt einig – der Weg zu Gott ist steil, anstrengend, verlangt tägliche «Nein», minütliche Gedenken Gottes in allem Tun und Lassen; und natürlich den Verzicht auf sein Ego; irrsinnige Disziplin und eisernen Willen. Anders geht's nicht. Und das ist die allgemeine religiöse Erfahrung.
Das, was dem Menschen am schwierigsten zu akzeptieren bleibt, ist, dass er hier nicht ewig bleibt und nichts von seinen Reichtümer in den Himmel mitnehmen kann und dass er nicht einmal wissen kann, wann dieser Moment des Übergangs eintritt. So oder so, jede Minute bringt uns dem Tode näher. Religion ist deswegen das Wertvollste, das uns gegeben wurde - denn sie alleine lehrt uns, wie wir die notwendige Dinge ansammeln, die wir später über die Schwelle des Todes mit uns nehmen werden und die sich uns dort wirklich als nützlich erweisen werden.

Ich wünsche Dir einen guten Abend und freue mich von Dir zu hören!
"The truth is what matches with the reality" Imam Hasan Abdullah

 

Lieber Andreas (31.3.2014)

Ich habe mir noch etwas überlegt, was möglicherweise für Deine Kirchenzeitung interessant sein könnte. Wenn ich die Lehre der drei abrahamitischen Religionen betrachte, bewundere ich immer wieder, wie nah sie in ihrem authentischen Kern aneinander liegen – wenn man in der Lage ist, die äußeren Hülsen beiseite zu legen und sich auf die Gotteserfahrung zu konzentrieren. "The truth is what matches with the reality". Jeder, der die Wahrheit sucht, wird die Wahrheit finden – nicht eine subjektive, sondern die objektive und ewige Wahrheit. Die Religionen sind die besten Zeugen davon. Vielleicht könntest Du Dir Mal überlegen, eine Ausgabe über die Gotteserfahrung zu machen. Man könnte verschiedene Zitate verschiedener spiritueller Meister der drei Religionen nehmen (das habe ich mir schon als eine Idee für ein Seminar aufgeschrieben), ohne ihre Namen zu offenbaren. Das, was sie sagen, kann man in jeder der drei spirituellen Traditionen finden. Und das ist diese wahrhaftige Gotteserfahrung und insofern der Kern der Religion.
Ich würde mich freuen, von Dir bald wieder zu hören.

 

Es gibt den überreligiöse spirituellen Menschen

Lieber Baruch (31.3.2014)

Martin Buber stellte in seinen ekstatischen Konfessionen dieselbe Frage. Ich habe das Buch auf einer Reise nach Venedig mitgenommen und im Zug auf der Hin- und Rückreise gelesen. Mir viel dabei auch das Exotische, Fremde dieser Texte auf – und gleichzeitig war da eine Beeindruckung, die über die Herkunft aus den Religionen hinausgeht. Klarheit, Weite, Tiefe fühlte ich aus den Worten von christlichen Nonnen, muslimischen Gottsuchern oder jüdischen Meistern. Da hat Buber eine wichtige Spur verfolgt, wobei er später auch unsicher wurde über diese seine Arbeit, sein Vorgehen.
Ich las im Vorwort, dass dieses Frühwerk eher unterdrückt wird, vom spätern Buber veranlasst. Ich kann nicht sagen, was ihn daran gestört hat oder was er da in der Öffentlichkeit nur schwer plausibel machen konnte oder was ihm da auf seinem wissenschaftlichen Streben im Wege stand.

Aber mit Deinem Fokus auf die religiöse Erfahrung hast Du zu meiner Frage nach der «überreligiösen Spiritualität» einen ganz wichtigen Aspekt erwähnt. Wobei sich da sofort die Frage stellt, was denn religiöse Erfahrung ist. Der Koran gilt wohl, wie auch die Tora oder die Evangelien, als religiöse Erfahrung – und darin finden sich auch scheinbar zeitbedingte Elemente. Oder müssen wir eher auf die ekstatischen Konfessionen fokussieren? – Wobei auch da viele zeitbedingte Aussagen zu finden sind – Du sagtest ja, dass Spiritualität und Religion sich verhalten wie die Geistseele zum Leib. Spiritualität kann ohne Religion auf Erden nicht manifest sein, weil Religion der Leib der Spiritualität ist.

Plurale Leiblichkeiten von Spiritualität
Aber die spirituelle Person, so meine ich, kann lernen, genau diese Leiblichkeit in ihrer Vielfalt zu schätzen – so wie man sich als Mensch freuen kann an den verschiedene Gesichtern der Menschen, auch an vielfältigen Rassen und Kulturen. Das ist möglich, weil wir diese Vielfalt als Bereicherung, als Möglichkeit für uns selber, als Aspekt der Menschheit, als Teil von uns selber erfahren können. Wir haben alle in uns die Dynamik, Menschwerdung in all ihren Höhen und Tiefen, Extremen und Normalitäten nachzuvollziehen, mal als Inspiration, mal als Verurteilung oder wenigstens als Distanzierung. Wir beschäftigen uns ja auch mit den skurrilen Formen der Religion, wie sie von «Sektenforschern» oder auch in Medien präsentiert werden. Der Durchschnittskonsument von Medien erfährt Grösse und Elend der verschiedenen Religionstraditionen. Wir sind heute mit allen Formen der Religiosität konfrontiert – das Problem wird dabei, dass uns Religion eher als etwas Skurriles, Fremdes, Altes vorkommt.

Kommunion und Kommunikation
Dabei geht es um etwas ganz anderes, das in den Medien kaum kommuniziert werden kann oder darf – was Du als heiliger Tausch erwähnst, Gott nimmt den Raum ein, wo vorher das Ego mit seinen beschränkten Bedürfnissen dirigiert hat. Aber trotz aller Medien bleibt der Kontakt von Mensch zu Mensch allzeit das Wesentlichste, darin das Mysterium von Tod und Auferstehung weitergegeben wird – manchmal auch in Medien eingefangen.

Mit Grüssen, as

 

Worauf es ankommt und wie der moderne Mensch die überreligiöse Spiritualität verfehlt.

Lieber Andres (3.4.2014)

Vielen herzlichen Dank für Deine Gedanken. Irgendwie denke ich, dass Du in dem, was Du schreibst, gleichzeitig auch die Antwort gibts auf die meisten Fragen.

Essentials der Spiritualität
Es gibt kein Problem mit den religiösen Traditionen und mit der aus ihnen sprudelnden Spiritualität. Egal wo man sich hinwendet, überall wird man auf dieselben spirituellen Axiome hingewiesen – denn die spirituellen Gesetze sind für alle Menschen gleich.
Man wird lernen, sein Gebet, sein Fasten, sein Almosengeben und das ständige Gedenken Gottes (alles soll im Namen Gottes getan werden) sehr kritisch für sich zu prüfen. Damit verbunden ist kontinuierlich Busse, Demut (als Gegensatz von Stolz - und zwar Stolz, egal auf was oder wen), Einfachheit des Lebens (spiritueller Feng Shui) und Dankbarkeit – um nur die wichtigsten Aspekte zu benennen, die den Kern des religiösen und spirituellen Lebens ausmachen. Es wird natürlich unzählige Steigerungen auf der Leiter der Spiritualität geben. Was ich aufgelistet habe, wäre bloss das Fundament.

Kunst- und Wohlfühlreligion
Und das ist der Punkt: Egal wo man sich hinwendet, findet man dasselbe – nur in unterschiedlichen Sprachen. Das Problem ist meiner Meinung nach der moderne Mensch. Denn unter dem Vorwand einer spirituellen Suche sucht er in der Wirklichkeit nicht Gott, sondern nur sich selbst, sein eigenes Ego und Befriedigung seiner eigenen Interessen. Es geht zu keiner Zeit um Gott, ausser vielleicht einem "Gott", der wie ein Jinn (Geist) aus der Lampe dafür zuständig ist, Probleme zu lösen und dem Menschen das Gefühl der «Sicherheit» zu verleihen.
«Sicherheit» ist noch ein Unwort im spirituellen Wörterbuch der Unwörter - gleich nach dem «Tod». Jeder wirbt mit der Sicherheit – das einzig sichere in dieser Welt ist aber, dass wir alle sterben werden, alle, früher oder später. Alles andere ist unsicher – wir sind keine Herren unseres Lebens. Wir sind von Milliarden verschiedenen Faktoren abhängig. Die Lektion, die wir lernen müssen, ist, dass wir unser Leben in der Wirklichkeit gar nicht kontrollieren können. Denn «alles Gute was in unserem Leben geschieht ist die Gnade Gottes und alles Schlechte ist Seine Gerechtigkeit».
Nachdem der Mensch seine Götter nach seinem eigenen Abbild erschaffen hat, sucht er sein Ego durch verschiedene Traditionen zu befriedigen – er sucht die ganze Zeit nach Ekstase und Feuerwerk. Bietet ihm eine Tradition nicht genug "Entertainment", wendet er sich einer anderen zu. Denn ich habe in meinem Leben nur wenig Menschen getroffen, die ihre Religion auf Grund ihrer absoluten (intellektuellen!!!) Überzeugung und nicht auf Grund ihres emotionalen Zustandes gewählt haben. Deswegen bin ich auch ein absoluter Gegner jeder Form von Synkretismus. Man wird nie eine Mischung finden, die dem Ego schmecken würde.

«Gott sei Dank für alles»
Die Religion und die Spiritualität beginnen dort, wo das Ego aufhört. Das ist die Hingabe an einen Anderen - Unsichtbaren für die physischen Augen. Das ist eine dankbare Akzeptanz von Dingen, die wir (noch) nicht verstehen und nicht wissen, warum sie geschehen und welchen Sinn um Gottes Willen sie haben können. Dieser Satz: "Gott sei Dank für Alles", wenn er ernst gemeint ist, bildet das Herz der Spiritualität. Und es ist enorm schwierig, diesen Satz ernsthaft und ehrlich zu sprechen – das lernt man meistens sein ganzes Leben lang. Das ist das Bewusstsein des Ewigen, dass wir woanders hingehören, dass wir jedes Wort, jeden Gedanken und jede Tat verantworten werden müssen – was uns eigentlich zwingen sollte, bewusst und nicht abwesend oder ferngesteuert zu leben!
Und so schreibt Muhammad Asad: "Today the Western world is still completely lost in the adoration of its material achievements and in the belief that comfort, and comfort alone, is a goal worth striving for ... This revolt (in the West) against religion was entirely successful - so successful that the various Christian Churches were gradually compelled to adjust their doctrines to the changed social and intellectual conditions in Europe. Instead of influencing and shaping the social life of its adherents, as is the primary duty of religion, Christianity (in the West) has resigned itself to the role of a tolerated convention and a garb for political enterprises. For the masses it has now only a formal meaning, as was the case with the gods of ancient Rome, which were neither allowed nor supposed to exert any real influence upon society".

Man findet tatsächlich genau das, was man sucht. Also sollte man für sich genau überlegen, wonach man sucht? Nach Gott oder nach seinem eigenen Ego? Wessen Diener will ich sein? Wenn diese Frage beantwortet ist und der Weg der Religion schließlich anfängt, dann kommt die nächste Frage: die Dynamik der Gemeinschaft - das Leben nach einem gemeinsamen Credo.

Ich freue mich auf Deine Gedanken!


Dynamik der Gemeinschaft beim überreligiös spirituellen Menschen

Lieber Baruch (9.4.2014)

Fürs erste danke ich Dir, dass Du immer wieder so klar, kurz und prägnant darauf verweist, um was es in der Religion geht und worum es auch in einer überreligiösen modernen Spiritualität gehen müsste.
«Aber wer bin ich, über diese Menschen zu urteilen …» - So ähnlich antwortete Papst Franziskus unlängst auf die Frage der Homosexualität.
Genauso ist es wohl nicht an uns, einzelne Menschen in ihrer spirituellen Suche zu beurteilen, weil sie dabei sanften Prinzipien folgen, weil sie dabei Entspannung, Weite oder auch gute Gefühle zu erlangen suchen.
Wir sind dabei wohl alle immer in einem gemischten Zustand – behalten uns etwas vom Ego aufrecht für das diesseitige Leben, wo wir den idealen unserer Zeit anhängen und davon beeinflusst sind, ohne es zu merken. Aber auch der innerste Kern, die Gottsuche, kann durch alle Verführungen und Missgeschicke sich manifestieren und da und dort kleine, echte Erfahrungen mit Gott machen, dem Geist Raum geben.
Ich bin da vielleicht etwas grosszügig und durch unsere Kultur der Freiheit auch naiv tolerant.
Aber darin wirst Du ja mit mir einig gehen, dass Deine Strenge sich nicht gegen die Menschen richtet, sondern gegen die Mentalität unserer Zeit, in der mit soften Angeboten von Spiritualität so ziemlich am Kern des Gottglaubens vorbeigewiesen wird. Und da sollen wir kritisch sein, auch die Stimme erheben und den äusseren Lack an den Kartonpalästen ankratzen, damit sichtbar wird, dass das Gold nicht echt ist.
Tatsache bleibt, dass heute Menschen angeregt durch viele religiöse Traditionen auf den Weg kommen, sich leiten lassen und ihre Erfahrungen machen. Möge die Gnade Gottes stark wirken, der Geist ausgegossen werden, damit diese Menschen auf ihrem Weg immer klarer die Basis und die Elemente echter Religion, echten Austausches mit Gott, finden und auf dem Weg bleiben.

Die Frage nach der Gemeinschaft
Fragt sich dabei aber, wie man ein gemeinsames Credo findet, das zur Gemeinschaft führt – das erachte ich als das ganz grosse Problem unserer Kirchen, zu welchen auch noch viele dieser Menschen gehören, welche nicht mehr das traditionelle Credo teilen können.
In den letzten Jahrzehnten gingen die Bemühungen der Kirchen zu sehr dahin, auszuweichen und andere Credos zu entwerfen, Softcredos ohne Höllen- und Himmelfahrt, so in dem Sinne: Gott nimmt Dich an, wie Du bist: «Don’t worry, be happy». – Das reicht natürlich nicht, um all die spirituelle Suchenden zur Gemeinschaft zu leiten. Sie können von so einer Kirche nicht viel erwarten, keinen Tiefgang.
Die andere Reaktion ist die Regression, der Fundamentalismus, der zwar Halt und Gemeinschaft ermöglicht, jedoch kaum zukunftsfähig ist, oft bedrohlich und abstossend für die spirituell Suchenden.

Ich sage manchmal, dass wir uns in den Kirchen gedulden müssen – du hast ja über die Geduld geschrieben. Nicht warten, aber Geduld üben – offen sein im Geist für alles Wachsende und Gedeihende. Ich bin sicher, dass die Zeit kommen wird, wo auch unser altes Erbe, das traditionelle Credo wie auch die Schätze der eigenen kontemplativen Traditionen, der mystischen Dichtungen usw. neu entdeckt werden – ich sehe schon jetzt Anzeichen dazu, wie diese Schätze neu zu Kreativität anregen, zu neuen Interpretationen und Gemeinschaftserfahrungen – das allerdings weniger in den Kirchen als vielmehr in der Kunst, in Filmen, in Musikveranstaltungen, in Vorträgen und Events. Da müssen die Kirchen mit ihrer Kompetenz dabei sein, manchmal reicht eine Würdigung, eine kritische Besprechung, ein Mitmachen und Mitverantworten.
Und wir sollten in der Kirche selber diese Kultur pflegen, in der religiöse Erfahrungen geteilt werden – zusammen die Erfahrungen erleben und auch sich austauschen. Daneben muss das «normale Programm», der klassische Gottesdienst und die Kasualien, die Seelsorge und die Unterweisung weiter geführt werden nach bestem Streben. So können sich die ausserkirchlichen Erfahrungen mit den kirchlichen verbinden, sich gegenseitig befruchten … Na ja, das ist wieder ein unendliches Thema, welche Rolle den Kirchen (oder allen Religionsgemeinschaften) zukommt bei der Begleitung der modernen Menschen, die naturwissenschaftlich gebildet sind und spirituelle ihre überreligiöse Suche aufnehmen … Soviel für’s erste zu diesem Thema,

Mit Grüssen, Andreas

 

Gedanken nach der Lektüre von Andreas Thiel’s Text «Der Schatten des Ostens»

Ich dachte zuerst, ich könne mir die Lektüre von Thiels «Streitschrift» in der Weltwoche vom 48/2014 schenken, ich hatte eine ungefähre Vorstellung von dem, was da zu lesen wäre.

Nun habe ich gestern Nacht den sechsseitigen Text gelesen – und war einerseits schockiert über die Respektlosigkeit, ja Bösartigkeit , mit welcher hier der Prophet Mohammed aufs Übelste verunglimpft wird: Muhammed wird als Sklaventreiber, Kinderschänder und Massenmörder dargestellt. Und zum andern habe ich die schlechte journalistische Qualität des Textes mit Befremden zur Kenntnis genommen. Da wird nicht zuerst mal das ganze des Korans oder des Lebens Mohammeds in den Blick genommen, sondern sogleich auf jene Stellen im Koran fokussiert, welche die These vom «Massenmörder» belegen soll – dazu werden einfach Seitenweise Kornstellen aus ihrem Kontext herausgenommen und aufgelistet – wie ein schlechter Schüleraufsatz.
Bisher ist mir in meinem Leben kein respektloserer Blick auf einen Religionsgründer begegnet, und nie ist mir eine so unausgereifte Recherche so schludrig präsentiert worden – dafür will ich nicht Andreas Thiel verantwortlich machen, der da ein Thema gefunden hat, mit dem er auf sich aufmerksam machen kann. Der Vorwurf geht an die Weltwoche, die einer so unjournalistisch daherkommenden Hasstirade Raum gibt in ihrem Heft. Was will damit erreicht werden?

Was hat Humor mit Religion zu tun?

Der Text beginnt mit selbstbewusst, gediegen ausformulierten philosophischen Erörterungen, in welchen das Verhältnis der Menschen zu ihrer Welt in zwei Kategorien eingeteilt wird. Wer Humor hat, akzeptiert Menschen und die Welt, wie sie sind, lebt in Gelassenheit, Einsicht, Vernunft – ist ein entwickelter Geist. Dem steht die Humorlosigkeit entgegen, welche Andere nicht akzeptiert – sie ist das «Vorzimmer der Gewalt, … die Schwester der Intoleranz, … die Tante des Rassismus. Wenn man den Koran liest, schlägt einem vor allem eines entgegen: tödliche Humorlosigkeit.» Das sind somit die Kategorien, mit denen der Prophet demaskiert werden soll.

Sofort frage ich mich, was Religion oder Islam mit Humor oder Humorlosigkeit zu tun hat, was eher psychologische Kriterien sind. Denn in den Religionen geht es, wie zum Beispiel im Islam und Themen wie Glaube an einen Gott, an seine Engel, an seine Bücher, an seine Gesandten, an das Jüngste Gericht und die Vorsehung. Und es geht um Glaubenspraxis wie Bekenntnis, Gebet, Fasten, Pilgerfahrt, Armensteuer. – Nichts von alledem wird in diesem Text von Thiel nur im Geringsten erwähnt. Das sind aber für den gläubigen Muslim die zentralen Themen, welche Gelehrte aus dem Koran entnommen haben – hinter jeder Religion stehen Theologen und Strategen, welche aus den Offenbarungen eine leicht verständliche, praktizierbare und glaubwürdige Religion machen.

Diese Elemente des Islamischen Glaubens wie auch die fünf Säulen der Praxis sind im Koran zu Grunde gelegt – und teils auch einfach durch die Vorgängerreligionen, dem Judentum und dem Christentum, gegeben. Ebenso sind auch viele theologische Themen und biblische Geschichten im Koran mehr angedeutet als ausgeführt. Aber diese jüdischen und christlichen Geschichten und Themen sind wesentlich. Muhammed verstand sich ja als Prophet der einen Religion, zu der
auch das Judentum und das Christentum gehören. Diese Religion wurde für sein Volk offenbart und erneuert hat.

Hauptthema im Koran: Gott und das Gericht

Auch weitere religiöse Themen, die im Koran zentral sind, haben wenig mit den Kategorien Humor oder Humorlosigkeit zu tun. Als ich begann, den Koran zu lesen, war mein erste Eindruck, dass es hier darum geht, die Menschen zu mahnen, dass wir am Jüngsten Tag Rechenschaft für unser Handeln ablegen werden– ein Warnung: seid Euch bewusst, dass Gott in Eure Herzen sieht und dass der Lohn im Jenseits ein wunderbares Sinnesfest, ein Sinnestaumel sein wird, wie andrerseits die Hölle ein Schaudern und ewiges Leiden. Dann immer wieder die Mahnung, auf Grund der wunderbaren Schöpfung nicht zu meinen, dass wir alles im Griff hätten und uns stolz und selbstsicher über alles erheben sollen – nein, die Ordnung aller offenbaren Dinge beweist uns das Walten des einen Gottes. Und bald wird einem auch bewusst, dass Muhammed in steter Auseinandersetzung mit Polytheisten, mit Juden und Christen steht, während er seine Offenbarungen empfängt und weitergibt. Die Offenbarungen geschehen nicht für einen Eremiten für die eigene Seligkeit – die Worte sind ganz real im Leben verankert, in der konkreten Geschichte, und dass da auch schwierige Situationen zu meistern waren, dass da harte Worte fallen, Verurteilungen und Aufrufe zum Kampf zu finden sind, dass überlegt wird, wie mit einer Kriegsbeute umzugehen ist, wie die Gesellschaft auch rechtlich organisiert werden soll usw. – ich habe solche Verse, wie ich es bei der Bibellektüre auch oft tat, historisch eingeordnet und überlesen, teils schon auch mit befremden zur Kenntnis genommen. Nie aber wäre mir in den Sinn gekommen, genau diese Sätze als Kern und Wesen des Islams und der Botschaft Mohammeds zu verstehen, auch nicht in einer Zeit, wo Muslime im Namen Gottes zum Kampf gegen was auch immer aufrufen.

Thiel’s Reduktion: Mohammed als Massenmörder

Aber genau das macht Thiel, sodass ich mich immer wieder fragte, wie oder ob er tatsächlich zwei Mal den ganzen Koran gelesen hat – das muss er ja fast beschwörend, sich selbst überzeugend immer wieder betonen, es schreiben und im Interview mit Schawinski auch sagen. Hätte er bei einer tatsächlichen eigenen Lektüre nicht auch anderes als diese Gewaltzitate entdecken und darüber schreiben müssen? Denn solche Zusammenstellungen von Gewaltzitaten kursierten ja seit der Entstehung des Islams, sind heute alle weil abrufbar, werden herumgereicht.

Bei Schawinski erwähnte Thiel eine Schrift von Manfred Schlapp, die demnächst alles klar an den Tag bringen werde, und im Pathos seiner Worte war zu vernehmen, dass er sich selber nur als kleiner Handlager des grossen Meisters und Vorbilds sieht. Dieser Meister nun pflegt diese einseitige Sicht auf Muhammed und den Koran ja schon länger – im Unterschied zu Thiel scheinbar mit grosser Gelehrtheit, mit Anerkennung und Erfolg. Nur weil Thiel, so meine Vermutung, diesen Guru im Hintergrund hat, konnte er (dessen) Thesen so selbstbewusst und sicher formulieren und behaupten. Er ist angeschlossen an einen Strom von tiefem Verständnis der Welt und vor allem des Islams, einem Strom von Menschen, die sich die Rettung des Abendlands vor der Islamisierung zum Lebensmotiv gemacht haben. Dort wie bei Thiel geht es dann im Koran im wesentlichen um diese drei Punkt, die aber alle bloss Momente im Ringen um die Etablierung des Islams sind, sowohl was Thiel die «Diffamierung Jesus» bezeichnet, was er als «Betonung der eigenen Wichtigkeit» Mohammeds sieht wie auch der «Aufruf zum Töten».


Religion umfasst alle Bereiche des Lebens

Zum Vorwurf, im Koran gehe es nicht um Religion, sondern um Politik: Natürlich geht es auch um Politik, um Gestaltung aller Zusammenhänge des Lebens. Die Idee, dass es in der Religion nur um die Innerlichkeit, um das stille Verhältnis der Seele zu Gott geht, ist neuzeitlich, ja fast esoterisch modern.
Im Alten Testament, das würde niemand abstreiten, geht es auch um die Gestaltung des ganzen Lebens – auf Grund des Gesetzes, was beim Islam Scharia wird.
Jesus hat diese Elemente nicht gelehrt, weil er sie vorausgesetzt hat, sie waren gegeben im Judentum, in dem er lebte. Das Christentum ist daher zuerst einfach eine Sekte innerhalb des Judentums, auf dem Mutterboden des jüdischen Gesetztes – bei Matthäus sagt Jesus, dass er kein Jota am Gesetzt auflöse, sondern gekommen sei, es zu erfüllen.
Sobald Gemeinden entstanden, mussten Organisationsstrukturen geschaffen werden – davon zeugen die Apostelgeschichte und die späten Briefe.
Und wie das Christentum zur Staatreligion wurde in Armenien oder in Ostrom, musste man sich um Waffentechnik und Kriegsstrategien kümmern, musste man repräsentative Gebäude finanzieren und auch das ganze Strafrecht für die Gesellschaft christlich gestalten. Schlachten wurden mit christlichen Bannern und christlichen Schlachtrufen geführt – der Glaube ist immer ein Mittel im Kampf, wie Drogen oder gute Waffen. Für den Sieg des Guten wird alles eingesetzt, auch der Schrecken – im AT «Gottesschrecken» genannt. Auch Hitler hat brutale Strafaktionen begangen als Abschreckung für andere, sich konform zu verhalten. Was IS tat und tut ist übelste Kriegsstrategie – wie immer davon auch im Alten Testament oder im Koran die Rede sein könnte: in allen Zeiten und Orte der Erde lassen sich solche Taten aufweisen. Sie geschahen entweder wegen der Religion, eher trotz der Religion – es sind immer einzelne Menschen, Heerführer, die das verantworten und tun.

Alle diese weltlichen Dinge waren in einer christlichen Nation nicht so leicht einzurichten, vieles wurde von den Römern übernommen. Nicht alles funktionierte jetzt ganz nach den Masstäben der Bergpredigt, nachdem das Christentum auch ein Reich, eine weltliche Macht war. So blieb es bis zur französischen Revolution. Kriege wurden immer im Namen Gottes geführt – auf allen Seiten, und es waren nicht wenige, auch mit grossen Massakern. Und der Kampf im Namen Gottes, sofern die Menschen noch individuell glaubten, ging weiter im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Zwar wurde das Armeewesen wie anderes säkularisiert, sogar professionalisiert wie in Armerika. Aber nach wie vor spielt der Glaube eine Rolle bei Kriegen – ich behaupte aber, dass Kriege trotz oder mit der Religion stattfinden – es sind Menschen, die Krieg führen. So der neuste Anschlag der Taliban gegen die Kinder der Soldaten. Das ist militärische Rache – mag sein, dass der Glaube helfen kann oder verhindern kann, dass man zu brutal vorgeht. Aber in der Regel ist es die üble Natur des Menschen, die sich irgendwelche Hilfsmittel sucht, dieses Tun zu rechtfertigen. Und die finden sich immer. So hat das hoch gebildete Deutschland unter Hitler eine halb religiös, halb naturwissenschaftliche Erklärung propagiert, warum die Juden ausgerottet werden müssen – recht glaubhaft, wie es sich gezeigt hat. Selbst die Christen fanden in der Bibel Belegstellen dazu.

Obwohl da Millionen von Juden umgekommen sind, kam die muslimische Welt nicht auf die Idee, zu behaupten, die Evangelien seien der Grund, warum Christen Juden abschlachten – obwohl sie es könnten, gingen sie so vor, wie Thiel.

Also, nur weil im Koran neben vielen religiösen Inhalten (die sich weitgehend an die Schriften der Juden und Christen anlehnen) auch regeln zum sozialen Organismus zu finden sind und es unter diesen Regeln sich auch militärische Parolen gibt (im Zusammenhang mit den Anfeindungen, die Muhammed und die Seinen erfahren haben) – darf nicht behauptet werden, im Koran «als einzige Lehre die ständige Aufforderung zum Töten Andersgläubiger» zu finden. Das behauptet Thiel aber am Schluss seines Artikels, der zu 70 Prozent bloss eine Auflistung von Koranstellen ist – herausgerissen aus dem Kontext, ohne jegliche historische Einbettung.

Tipps für Muslime: Zarathustra statt Mohammed

Weiter folgert Tiel, dass ein Muslim jetzt nur ein guter Muslim ist, weil er den Koran nicht kennt und liesst. Würde er ihn lesen, gäbe es zwei Lösungen für ihn: «Entweder er lässt sich von der Schrift Mohammeds radikalisieren, oder er wendet sich von im ab. Es ist eine Wahl zwischen Hass und Liebe. Wer die Liebe wählt, legt den Koran beiseite. Aber woran soll er sich festhalten, wenn er an Gott glaubt?»

Thiel glaubt somit, dass die Jihadisten und Terroristen alle mal gute Muslime waren – bis sie im Koran lasen und dann radikalisiert wurden. Religion wird aber immer durch aktuell lebende Menschen vermittelt – wie ja auch Thiel seine Mission durch seinen Guru Manfred Schlapp erhalten hat und nicht durch seine Bibel- oder Koranlektüre. Das ist sekundär. Es kommt immer darauf an, wie eine Kultur ihre Religion versteht, lebt und tradiert durch Eltern, Lehrer, Freunde und Geistliche.

So spielt sich Thiel zum Schluss gleich selber nicht nur als neuer Lehrer, sondern wie der neuste Prophet Gottes auf. Er hat Mitleid mit diesen Muslimen, die sich für ihren Koran interessieren, sich für die Liebe entscheiden und den Koran weglegen. Er will ihnen helfen.

Den Muslimen in Asien rät er, sich dem Buddhismus zuzuwenden, für die Muslime im vorderen Orient und in Europa hat er eine ganz besondere Überraschung bereit: die Lehren des Zarathustra, der 600 vor. Chr. in Persien gelebt hat. – Dieser Prophet sei «Sonnenmassen» gewichtiger als Mohammed mit seinen« endlosen Selbstlobhudeleien». Weiderum muss der Leser sich durch Hymnen des Zarathustra durchlesen – und dabei soll man von diesem sonnenschweren Gewichtsunterschied sich selber überzeugen, was bei mir gar nicht geklappt hat. Wichtig ist für Thiel auch, dass Zarathustras Lehren ihre Wurzeln der altindischen Philosophie haben…

Thiel erwähnt nur kurz die Lösung für Muslime im vorderen Orient und in Europa, zum Judentum oder zum Christentum zu wechseln. Er übergeht die Tatsache, dass ein Übertritt zum Judentum ja gar nicht machbar ist. Er sagt auch nicht, dass die Muslime schon jetzt das Gefühl haben könnten, derselben einen monotheistischen Religion anzugehören, zu der – zwar mit verfälschten Offenbarungen - auch das Judentum und das Christentum gehören.

Nein, Muslime können bei Thiel nicht zum Christentum gelangen, da der Koran diese Religion «verteufelt». – Das stimmt fürs erste so nicht, und zum zweiten haben diese Muslime ja, weil sie zur Liebe halten, den Koran weggelegt. Wieso sollte sie nun dieser Koran daran hindern, Christen zu werden? – Es gibt durchaus Gründe dafür, aber Thiels Argumentation geht in diesen Endpassagen eher schon ins kabarettistische über – wie man am liebsten die ganze «Streitschrift» als ein schlechtes Kabarett verstehen muss. Nur tragisch, dass die Weltwoche das offensichtlich als eine neue Erkenntnis verbreitet, daran die Welt aufwachen soll.


Antirassismusartikel

Man wird taktisch von einer Anklage der Weltwoche wegen Verstosses gegen den «Antirassismusartikel» absehen, um den Skandal nicht noch weiter an das Licht der Weltöffentlichkeit zu zerren, das könnte dem Image der Schweiz grossen Schaden bereiten … denn die dänischen Mohammedkarikaturen von 2004 sind wahrlich harmlos im Vergleich zu dem, wie hier alte Vorwürfe der Christenheit an den Islam mit Worten kalt und unbarmherzig behauptet wird.

Das war 2006 das Zitat «Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten». (Benedikt XVI. zitierte da am 12. September 2006 vor Wissenschaftlern an der Universität Regensburg den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos (1350-1425) bei dessen Unterhaltung mit einem persischen Gelehrten) – Das Zitat hat die muslimische Welt in Aufruhr gebracht. Nun, zum Glück ist Thiel nur ein Kabarettist und die Weltwoche eine kleine Schweizer Wochenzeitung, sodass Thiel hoffentlich nur zu einem kleinen Brandstifter wird, dessen Feuer die Schweizer Feuerwehr nochmals rechtzeitig löschen kann.

Auch bei uns war die Blasphemie verfolgt bis zur Aufklärung – wir wollten mit den Muslimen etwas Geduld haben und sie nicht unnötig provozieren.

Andreas Schwendener, Sonntag, 21. Dezember 2014

 

 

 

 

 

 
 
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