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Tagebucheinträge 11. bis 17. Januar 2005: Laodicea/Denisli

Dienstag, 10. Januar: Laodicea (Denisli)

Ich freue mich auf die Fahrt nach Denisli, zumal das Wetter so schön ist. Unterwegs mache ich einen Abstecher in das Städtchen Sangöl mit etwa 20'000 Einwohner. Am Ende des Ortes komme ich zu einem alten, eindrücklichen Friedhof. Da fallen mir die vielen unbeschlagenen Steine auf. Im Zentrum wird eine Moschee gebaut. Ein Herr lädt mich kurz zu einem Tee ein.
Weiter geht's entlang breiten Strassen, ich bin fast alleine unterwegs mit dem Auto. Nach weiteren 20 Kilometern steigt die Strasse. Ich verlasse das breite Tal. Wie ich auf der andern Seite wieder das Tal des grossen Mäanders erblicke, sticht Pamukkale mit den weissen Ablagerungen in die Augen. Noch aber ist ein Stück Weg zurückzulegen. Auf meiner Karte sind in dieser Gegend einige antike Stätten angegeben. Eine suche ich auf: Tripolis. Doch ich finde nur eine Burgruine auf einem Hügel und an dessen Fuss einige Steine in der Wiese. Doch die Stille an diesem Ort, auch die Lage, fasziniert mich.

Hotelsuche in Denisli
Bei der Einfahrt nach Denisli komme ich nicht - wie ich gemeint hatte - an dem Abzweiger nach Laodicea vorbei. Denn bei diesem schönen Licht hätte ich die Ruinen der 7. Gemeinde gerne gesehen. Stattdessen komme ich in die Stadt und entscheide mich, zuerst ein Hotel zu suchen. Das war eine gute Fügung. Doch musste ich lange in der grossen Stadt herumkurven, bis ich in eine Gegend kam, wo ich die Hotels vermutete. Denisli ist grösser und reicher, industrialisierter und vornehmer als Alasehir und Salihli. Mir vielen bei der Einfahrt die vielen Werbetafeln auf. Auch im Zentrum sah alles richtig grossstädisch aus. Doch glücklicherweise war heute kein Verkehr.
Ich hatte mir aus einem englischen Führer, den Dervis in Selçuk in der Pension hatte, drei Hotels in Denisli raus geschrieben. Bei einem Taxistand erkundige ich mich nach dem Ort eines der Hotels. Da erfahre ich, dass das 80-Zimmerhotel Laodicea gleich um die Ecke liegt. Laodicea? - ok. Das schau ich mir an.
Dann geht alles schnell und in meinen Augen ideal. Ich erhalte ein Zimmer für 35 Lire mit Frühstück im dritten Stock mit Blick über die ganze Stadt. TV, Dusche, Restaurant im Hotel und einen Arbeitsplatz mit Internetanschluss. Was will ich mehr?
Ich richte mich ein, fahre dann aber gleich wieder los. Das Wetter ist so schön. Ich will nun doch noch die Ruinen von Laodicea, etwa 10 km von hier, besuchen.

Die Ruinen von Laodicea
Allein verbringe ich gegen zwei Stunden in den Überresten der antiken Stadt Laodizea - bis es dunkel ist. Mit den Leserreisen hatte ich den Ort schon zwei Mal besucht, aber da war keine Gelegenheit, das grosse Areal abzuschreiten oder in Ruhe zu sitzen.
Die Lage der Stadt fasziniert mich immer wieder. Der Ausblick auf alle Seiten ist grandios.
Noch wenig ist ausgegraben. Es ist wie ein Rätsel, dass diese Stadt nach der letzten Zerstörung verlassen worden ist. Da, wo gegraben wurde, kommen imposanten Bauten zum Vorschein. Die Prachtstrasse ist zu einem grossen Teil freigelegt. Mit ihren weissen Marmorsteinen ist sie etwas wie das Wahrzeichen von Laodicea. Es gibt Platten mit gegen 5 Quadratmeter Ausdehnung. Was dem Ort auch sein Flair gibt, ist der Ausblick nach Pamukale, wo die weissen Kalkablagerungen wie ein Fremdkörper aus einer andern Welt anmuten.
Ich gniesse an diesem Ort das Einnachten und meine, erstmals etwas mehr über die Realität der sieben Geister vor Gott zu ahnen. Sie sind ausgesandt in die Welt, sind mit den Geschicken der Geschichte betraut, während die vier Wesen die Gestalt des Menschen, sein wunderbare Komposition mitverantworten und die 24 Ältesten über die Aneignung des Heils, die Überführung der alten Schöpfung in die neue, begleiten.

 

Donnerstag, 12. Januar 2006: Laodicea / Denisli

Die grosse und reiche Stadt Denisli zeigt sich in ihrem Sonntagsgewand. Das Opferfest dauert an. Bayram heisst hier in der Türkei: drei offizielle Feiertage. Alle Geschäfte sind geschlossen, die Busslinien verkehren mit Sonntagsbetrieb, es gibt wenig Autoverkehr, auf der Strasse bummeln Familien im Festtagskleid. Dazu passt das Wetter. Seit drei Tagen Sonne und blauer Himmel.
Hier einige Eindrücke vom Hotel Laodicea und der Stadt Denisli an den ruhigen Tagen des Opferfestes.

Das Hotel Laodicea Ausblick auf Bussstation Ausbllick nach Süden Restaurant des Hotels
Ruhige Strassen der Stadt Denizli während der Feiertage zum Opferfest im Januar 2006


Arbeit am Kirchenboten
Mein Entscheid, in der Februarausgabe des Kirchenboten eigene Texte zu gestalten, die aus meinem Studienurlaub entstehen, macht meine letzten Tage zu Arbeitstagen. Immer wieder habe ich auch Zweifel, wie weit meine Themen eine breite Öffentlichkeit interessieren kann. Auch will ich nicht meine Stellung als Redaktor missbrauchen, um meine Lieblingsthemen zu präsentieren. Ich helfe mir mit dem Gedanken, dass es doch nur nahe liegend ist, ein Extrakt meiner Erfahrungen journalistisch zu verarbeiten. Ich habe immerhin einige Monate Recherche investiert. Und schnell wird mich der Alltag wieder eingeholt haben und andere Themen werden dominieren. Darum: Wenn ich etwas über meine Reise «unterwegs mit der Johannesoffenbarung» schreibe, dann jetzt.
Mühe bereitet mir nach wie vor der Haupttext mit dem Titel: «Was hat das Christentum in der Türkei verloren». In den Ruinen von Laodicea, wie ich über die sieben Geister nachgedacht hatte, kam mir die Idee, diesen Text symbolisch an den sieben Gemeinden aufzuhängen. Dabei sollten die sieben Orte für Aspekte der heutigen Türkei im Hinblick auf das Christentum stehen.
Die Zuordnung der sieben Gemeinden zu sieben Phasen der Kirchengeschichte war im Pietismus verbreitet, wurde aber von den Fachtheologen stets als Spekulation abgetan.
Ich habe mir darum gestern Nacht noch einmal die pietistische Deutung und Zuordnung vor Augen geführt. Diese Sicht der sieben Gemeinden ermuntert mich zu der eigenen Darstellung. Die Pietisten sahen die Zuordnung so:

Ephesus die nachapostolische Zeit Verlassen der ersten Liebe
Smyrna 100 bis 325 nach Christus Christenverfolgung
Pergamon die nachkonstantinische Zeit Verweltlichung der Kirche
Thyatira die Papstkirche des Mittelalters Hierarchie, Theokratie, Priesterherrschaft
Sardes die Zeit der toten Ortodoxie bis 1775 Rationalismus, Unglaube
Philadelphia Pietismus Erweckung, Bereitschaft
Laodicea Kath. oder protest. Kirche, künftige Kirche Endzeit

Ausgehend von dieser Skizze verbringe ich den weiteren Abend mit meinen Aquarellfarben. Ich versuche die Siebenzahl in der Johannesoffenbarung mit Farbmustern darzustellen.

Thema Fernsehen
In meinem Zimmer ist auch ein Fernseher, den ich immer mal wieder anstelle, um die Programm zu studieren. Dabei fallen mir einige Tatschen auf und weiter ahne ich die Bedeutung des Fernsehens für die Kultur der Zukunft überhaupt.
Eine Feststellung: Die Türken bleiben unter sich. Es ist doch seltsam, dass hier 25 Sender angeboten werden, aber alle in Türkisch. Kein einziger internationaler Sender wird hier im Hotel angeboten - scheinbar hat niemand dazu das Interesse oder es werden bewusst ausländische Programme unterdrückt. Eine Ausnahme aber gibt es. Der Sender «Spice» auf Platz eins ist ein internationaler Sender - aber was für einer: Es ist ein Pornokanal der üblen Art. Ich will nicht moralisieren und wie der Autor der Apokalypse in den Sendschreiben die «Unzucht» verbieten. Aber was ich da sehe, bringe ich kaum mit meiner Sicht der Türkei in Einklang. Es ist ein amerikanisches Programm, es sind vor allem schwarze Frauen und Männer, die Frauen teils auch Asiatinnen, die meist zu dritt oder zu viert ihre Spiele präsentieren. Dazu gehört auch Analverkehr. Jede Szene endet damit, dass die Frauen das Sperma den Mannes über sich ergehen lassen müssen - Szenen der völligen Unterwerfung der Frau. Das ist das internationale Fenster zur USA in dem sonst restlos türkischen Programm.
Eine Vision: Doch gibt es auch sehr gutes, überzeugendes Fernsehen in der Türkei. Neben den vielen Unterhaltungsprogrammen und der dominanten Werbung finde ich einen Sender, der vor allem Musik bringt - aber Musik der feinsten Art. Junge Menschen, welche das Beste ihrer Tradition aufgenommen haben und in ihrer Art das weiter pflegen.
Gestern wurde auch Poesie präsentiert. Eine Frau las die Texte auf dem Hintergrund einer zarten Musik. Bei den Zuhörern wurde manch eine fliessende Träne eingeblendet. Das sind die starken und schönen Seiten der Türken. Ihre Liebe zu Musik und Poesie. Die Texte handeln teils von der Bedeutung des Opferfestes.
Davon werde ich angeregt, über die Bedeutung der Kunst nachzudenken. Die Kunst vermittelt tiefe Lebenszusammenhänge so, dass der Mensch sich dabei im Herzen angesprochen fühlt, dass er berührt, unterhalten, erhoben und beglückt wird. Mit ist klar, dass auch die wesentlichen Gedanken des Christentums über die Kunst am sinnreichsten vermittelt werden. Davon zeugt die Kunst des christlichen Abendlandes.
Bei uns gibt es den Sender «Arte», der etwas von dieser Kultur in säkularem Gewand pflegt.
Könnten sich die christlichen Kirchen darauf einigen, ein weltoffenes und vor allem durch Kunst wirkendes Sendegefäss aufzubauen - das wäre für viele Menschen ein wertvolles Zeugnis. Immer mehr können ja Sender weltweit aufgeschaltet werden. Die Christenheit müsste mit einem Programm im Netz sein, wo es seine Inhalte durch die Kunst allen Liebhabern des Schönen zeigt und dabei auch vom Geist der Offenheit, des Pluralismus, des interreligiösen Respekts und der Solidarität zeugt. Über ein solches Programm denke ich nach, mach mir Notzitzen. Doch wer sollte das finanzieren und tragen? Sobald die realen Kirchen hier mittragen würden, müsste ein solches Projekt scheitern. Zu verschieden sind die Kirchen und in ihren Eigeninteressen. Darum sind die christlichen Inhalte heute bei säkularen Medien für das globale Gespräch besser vertreten. Ein Sender wie «Arte» hat seine christlichen Fenster, aber vom Geiste des Christentums ist auch viel anderes geprägt. Diese andere Prägung, welche sich in der Art, die Welt zu sehen, zeigt, interessiert mich je länger je mehr.

Pamukkale
Nach dem ich heute den Text mit dem Monatsportrait über das Missionsehepaar in Salihli beendet und weiter am Haupttextgebastelt habe, fahre ich nach Pamukkale, der wohl meist besuchten Tourismusattraktion der Türkei. Ich nimm die hintere Zufahrt, wo keine Touristen ein und ausgehen. In den Kalkteichen spiegelt sich der Abendhimmel. Erstmals besuche ich auch das Museum. Es zeigt einige sehr gut erhaltene Sakrophage und monströse Kapitelle auch Hierapolis. Auch einige Funde aus Laodicea sind hier ausgestellt. Die Lage der alten Stadt beeindruckt. Neu erkenne ich deren Ausmasse - grosse Teil der Stadtmauer im Osten sind erhalten. Beim Rückweg bin ich allein und verlaufe mich fasst. Nur dank hellem Mond finde ich über Wiesen und entlang antiker Wasserrinnen den Weg zum östlichen Autopark.

Hier einige Bilder aus Pamukkale:

 

Freitag, 13. Januar 2006: Laodicea/Denisli

Gestern Nacht, als ich im Hotel gegen 11 Uhr endlich die Daten zur Homepage aktualisiert hatte, traf ich beim Hotelcomputer zwei Türken, die in Deutschland aufgewachsen sind, nun aber in Bodrum leben und dort Handel treiben mit Taschen. Sie sind gegenwärtig in Denisli an einer Messe. Statt dann endlich an meinem Kirchenboten zu arbeiten, entspann sich ein Gespräch mit den beiden, schliesslich mit mehreren Leuten, das bis nachts 3 Uhr andauerte. Nach dem ich während 8 Wochen meine Eindrücke von diesem Land gesammelt hatte, war es äusserst spannend, mit zwei Türken zu diskutieren, die durch ihre Jugend in Deutschland auch eine Aussenperspektive auf das Land haben.

Gespräche zur Lage der Türkei
Der eine der beiden entpuppte sich als Christ, als syrischer Aramäer. Wie er mir seinen Namen sagt, bin ich erstaunt. Das ist ein muslimischer Name. Da klärte er mich auf. Vor 30 Jahren hätten die Aramäer ihren Kindern stets zwei Namen gegeben: Einen aramäisch-christlichen für den privaten Bereich, und einen muslimischen für den Umgang mit Behörden und den Eintrag in dem Pass. Mit dem christlichen Namen, so sagt er, wäre er in türkischen Gesellschaften ein Exot. Niemand würde den Namen verstehen. Um sich so in der Türkei nicht als aramäischer Christen offenbaren zu müssen, diene der islamische Name, den der junge Mann auch heute primär verwendet.
Den christlichen Gemeinschaften in seiner Heimat gibt er wenig Zukunft. Da werde zwar eine von den Muslimen zerstörte Kirche wieder aufgebaut, aber man komme kaum vom Fleck.
Ich erwähne einen Aramäer aus der Schweiz, der mir gesagt hab, dass die Aramäer nun teils wieder zurückkehren könnten. Der junge Mann glaubt nicht an diese Rückkehr. Wer einmal in Europa gewesen sei, würde es im Osten der Türkei nicht aushalten.
In Bodrum hingegen, wo er lebt, sei die Türkei offener, moderner, auch wegen der vielen Touristen, die da im Sommer verkehren.
Die beiden jungen Männer, die befreundet sind und in derselben deutschen Stadt aufgewachsen sind, kehrten gemeinsam in die Türkei zurück. Vor allem die Geschlechtertrennung ist ihnen hier schwer gefallen. Während man in Deutschland ohne Probleme in gleicher Weise mit Männern und Frauen in der Öffentlichkeit umgeht, sei das in der Türkei noch immer unmöglich. Doch sie sind überzeugt, dass sich das ändern wird. Die Freiheit, mit der man sich im Westen bewege, sei ein so hoher Wert, dass dieser eine unglaubliche Faszination auf die Jugend hier ausübe. Diese Freiheit werde sich hier ganz klar durchsetzen, aber noch brauche es Zeit.
Dem Islam mit seiner strengen Religionspraxis stellen die beiden eine schlechte Prognose für die Zukunft. Sie nennen mir Zahlen von jungen Leuten, die noch zum Gebet gehen, die in krassem Widerspruch stehen zu den Prozentzahlen, die mir in Akhisar der Imam genannt hatte. Er sprach von 20 bis 30 Prozent, die beiden Jungen von 2 bis 3 Prozent. Diese Praxis würde als etwas sehr Altertümliches empfunden, das sich schwer mit dem modernen Leben verbinden lasse.
Der Aramäer musste vor seiner Rückkehr in die Türkei noch eineinhalb Jahre in die Armee - ohne ein Wort türkisch zu sprechen. Er habe Türkisch in der Armee gelernt, aber nicht nur Türkisch. Er habe da auch die Türkei kennen gelernt: der Stolz auf die Stärke dieser Armee, dann die Verehrung Atatürks, richtiggehend als Heiligen. Für alle Situationen müsse der Vater der Türken hinhalten und ein Beispiel geben. Weiter hat er Gehorsam und Unterordnung gelernt.

Nächtliche Glaubensgespräche über den Koran
Später gesellt sich zu uns ein Mann, welcher der Nur-Bewegung angehört. Ich hatte diese islamische Gruppe ja schon in Salihli kennen gelernt. Dort betreibt sie eine Privatschule.
Dieser zweite Teil des Abends war geprägt durch die Übersetzungsarbeit des andern deutschsprachigen Türken. Dabei konnte er die Äusserungen des beredten Nur-Anhängers stets auch kommentieren, ohne dass der diese Zwischenbemerkungen verstanden hat. Es viel dem Mann auch schwer, diesen Muslim einzuordnen, da er viele Speziallehren des Islams kennt, die mich teils rührten, aber auch zum Schmunzeln brachten.
Das Skurilste, das er vertreten hat, war eine Geschichte aus Ephesus. Ich war mir ja bewusst, dass die Muslime von einem verlorenen Urevangelium sprechen. Dass dieses aber von einer Frau um Jesus gerettet worden ist und bis auf den heutigen Tag in der Nähe des Sterbehauses der Maria bei Selçuk verborgen gehalten werde, das schien mir arg komisch. Der Mann aber war völlig davon überzeugt, dass es existiert und vorläufig nur zum Schutz der Christenheit nicht herausgegeben werde. Denn dieses Evangelium würde die ganze christliche Religion umstülpen. Dass das frühe oder später sowieso passieren wird, hängt mit der Wiederkunft Christi zusammen, welche in der Nur-Sekte eine grosse Rolle spielt.
Auch zur Kreuzigung und zur Aufnahme Jesu in den Himmel höre ich da neue Theorien. Gott hätte dem Judas nach dem Verrat das Aussehen des Jesus gegeben, sodass dieser statt Jesus am Kreuz gestorben sein.
Auch die Erschaffung Adams und den Sündenfall erzählt er neu: von Engeln, die vom Satan angeführt worden sind und bei der Erschaffung des Menschen helfen sollten. Sie mussten für Gott Staub von der Erde holen, aber keiner wollte diese Arbeit ausführen. Einer hat dann mit seinen Flügeln Staub aufgewirbelt und so Erde gebracht, aus den Adam erschaffen worden ist. Eva wurde aus der Rippe Adams erschaffen.
Das Problem mit der verbotenen Frucht war so gelagert, dass Adam und Eva damals noch gar keine Verdauungsorgane besessen hätten. So kam es, dass die unverdaute, kotartige Frucht zum Problem wurde im Paradies. Wo sollte das Zeug deponiert werden? Adam hätte sich aus Verlegenheit das Gesicht und die Scham damit verschmiert. Später seien daraus Haare entstanden. Und das alles erzählt der Mann als bare Münze. Wenn der Koran das so offenbart hat, ist das so.
Ich erlebe erneut die Krasse Diskrepanz zwischen dem erklärter Masen menschlichen Zeugnis des Neuen Testaments und der nicht hinterfragbaren Offenbarung des Korans. Ich versuche lange diesen Unterschied zu erklären, auch die Art, wie wir die Entstehung des Korans erklären. Dabei werde ich fast zynisch und spreche von der Psychoanalyse, welche die innern Bilder der Religionsoffenbarer aus der Verarbeitung von Gehörtem und dem Über-Ich erklärt. Das führt dahin, dass mir genau geschildert wird, wie Mohamed in seiner Höhle die Offenbarungen von Engel Gabriel erhalten habe. Es hätte nur einen Propheten gegeben, der direkt mit Gott habe verkehren können: Mose.
Nun muss ich ja zugeben, dass auch ich bei der Johannesoffenbarung die Vision geistliche als reale Schau verstehen will und in den Bildern eine tatsächliche Offenbarung aus der andern Welt sehe. Und ich frage mich selber, warum ich dasselbe nicht in gleicher für den Koran tun kann. Schliesslich bringe auch die Offenbarung skurile Bilder.
Denn darauf hin werde ich konkret angesprochen: Wie sehen Christen den Propheten Mohamed und seine Offenbarungen? Anerkennen wir Mohamed als Prophet? Und wenn ja, warum lesen wir nicht den Koren? Warum befolgen wir die letzte Offenbarung nicht?
Das ist für gläubige Muslime eine ernstliche Frage. Sie erwarten eine Antwort von uns Christen.

Arbeit am Kirchenboten
Heute schreibe ich erneut an meinem Text für den nächsten Kirchenboten - ich tue mich schwer, vor allem mit der Kürze. Sieben Abschnitte, je über eine Gemeinde und das Verhältnis Christentum Islam. Ich bin jetzt bei Laodicea, wo von der Zukunft die Rede ist. Aber ich muss alles noch kürzen.
Am Nachmittag wieder ein Bummerl durch die Stadt. Ich probiere einige Lederjacken, merke aber rechtzeitig, dass sie aus Kunstleder sind. Die echten und guten Lederjacken kosten da auch gegen 700 Franken. Das muss ich nicht hier kaufen.
Daheim beginne ich meine Sachen für die morgige Reise nach Izmir zu Recht zu machen. Noch muss ich mein Gepäck minimieren. Ich sortiere einige Papiere raus, die ich hier lassen kann.
Der Abend gehört - nach einer Dusche und frischen Kleidern - erneut dem Kirchenboten. Viele Mails sind zu beantworten.

 

Samstag, 14. Januar 2006: Denisli /Izmir

Der letzte Tag meiner Pilgerfahrt! Am Morgen schreibe ich die biblische Besinnung für den nächsten Kirchenboten - «Siehe, das Lamm Gottes!» Den Ausspruch des Täufers am Anfang des Johannesevangeliums wähle ich als Titel, obwohl der ausgelegte Text aus Apk. 5 stammt, wo das Lamm erscheint und würdig ist, das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen.
Wegen Platzmangel muss ich mich beschränken. Ich gebe eine kleine Einführung und einen Überblick über die Johannesoffenbarung, dann gehe ich auf die Bedeutung des Lammes ein. Paulus und Petrus teilen mit Johannes die Sicht, dass Jesus das wahre Passalamm ist.
Im Editorial schlag ich eine Brücke zum islamischen Opferfest. Dieses Fest hat mir die Augen geöffnet für das Opfer Christi. Die Schafe in ihrer Hingabe, in ihrer Bereitschaft, ihr Leben zu geben - sie haben mir das Bild eröffnet, damals am 10. Januar in Alasehir!
Mit dem Haupttext, den ich nach dem Morgenessen und der Räumung des Zimmers unten im Empfang (Lobby) des Hotels noch fertig zu schreiben versuche, stockt erneut. Ich bin bei Denisli, der letzen Gemeinde, wo gestern etwas geschrieben habe über die soziale Dimension des Christentums, aber es befriediget mich noch nicht.
Ich habe hier, entsprechend dem Sendschreiben an Laodicea, von der Bedeutung des Reichtums, aber auch der Versuchung zu sprechen. Der Reichtum verstellt den Blick auf den geistlichen Reichtum, auf den es allein ankommt.

Die Fahrt nach Izmir
Gegen zwei Uhr fahre ich los, etwa 40 km, denselben Weg, den ich gekommen bin. Dann zweige ich ab in das breite Tal, in dem Aydin liegt und das wohl einer der wichtigsten Verkehrswege war in den Westen. Ich höre mir dabei die Kassette an, die mir Simon geschenkt hatte. Ich hatte den Pilger aus Ankara in der ersten Woche beim Autostop mitgenommen und brachte ihn zum Sterbehaus der Maria, wo der katholische Konvertit innig gebetet hat vor der Statue der Maria. Die Kassette bringt Lieder verschiedener Gruppen, die orthodoxe Sakralgesänge mit Pop verbunden haben.
Unterwegs beim Autofahren - die Strecke nach Izmir beträgt 240 km - habe ich Zeit zum Nachdenken. Ich bin bei meiner Familie, bei den Gesangstunden, bei den 144'000 Versiegelten in der Apokalypse, bei meiner Zukunft. Und ich denke nach über einen Traum, den ich vor zwei Tagen hatte. Da hat mir jemand einen Bibelvers gesagt, den ich nie richtig bedacht habe. Es ist ein Vers aus dem Johannesevangelium - 21,18. Ich bin verblüfft, warum im Traum mir dieser Vers zugeraunt wird. Ich hatte zu ihm überhaupt keine Beziehung. Eine Führung dahin, wo ich nicht will? Was soll das bedeuten?

Stadtbilder auf dem Weg von Denisli nach Izmir Aydin Vororte von Izmir

Nyssa
Etwa auf halbem Weg sehe ich die Abzweigung zur alten Stadt Nyssa, 3 km. Ich entscheide mich kurzer Hand, da hinzufahren, obwohl ich die Stadt schon zwei Mal gesehen habe. Aber sie beeindruckte mich auch diesmal wieder. Ich weiss, dass einer der ersten grossen Kirchenväter, Gregor von Niyssa, ausser dieser Stadt kam. Diese ersten Theologen der Christenheit lebten noch ganz im römischen Umfeld. Die Stadt muss zu seiner Lebzeit noch völlig römisch ausgesehen haben. Wunderbar auch die Lage etwa 100 Meter über dem Tal. Heute ist die Stadt etwa 2 Meter unter dem Boden und teils ausgegraben. Wunderbare Olivenbäume bedecken die Ruinen. Ich sehe junge Leute, die Oliven ernten. Mit Stecken klettern sie auf die Bäume und schlagen die Oliven herunter, unten liegt ein Tuch auf dem Boden, um die Oliven aufzufangen.
Von Aydin bis Izmir gibt es eine dreispurige Autobahn. 120 km/St. Ist erlaubt, aber die Türken mit BMW und Mercedes fahren 170 und mehr, viele überholen auf der Spur, die gerade frei ist. Bei der Einfahrt in Izmir staut sich der Verkehr wie üblich. Inzwischen kenne ich mich aus und finde auf Anhieb mein Hotel, wo ich freudig empfangen werde.
Ich bin im selben Zimmer wie vor 6 Wochen. Ich fühle mich da schon fast daheim.
Morgen lasse ich mich um 7 Uhr wecken. Gegen 9 Uhr will ich am Flughafen sein, um 11 fliegt mein Flugzeug, um 14 Uhr (13 Uhr europäische Zeit) geht es in Istambul weiter. Es wird wohl gegen 6 bis 7 Uhr, bis ich daheim sein werde.
Hier einige Bilder aus Nyssa:

Das Theater von Nyssa Kuppelkonstruktion Blick aus der Ferne
Bilder aus der Gegend des alten römischen Bades von Nyssa
Der Senatssaal von Nyssa Die Agora, der Marktplatz, der Stadt Nyssa Das Theater

Letzte Nacht in Izmir
Nachdem ich meinen Tagesbericht geschrieben habe, mache ich mich auf den Weg Richtung Hotel Hilton, wo das Internetkaffee ist. Unterwegs mache ich meine letzten Fotos der Reise. In meinem Stammlokal esse ich endlich meinen verdienten Znacht. Die Menupreise sind am Fenster angeeschlagen. Für eine Lira lässt sich hier essen.

Sonntag, 15. Januar 2006: Denisli /Izmir

Inzwischen bin ich in Istambul angelangt, da habe ich im Flughafen Internetempfang. Die Kontrollen mit Anstehen sind diesmal viel stärker, es dauert Stunden, so habe ich jetzt kaum mehr Zeit, in Ruhe zu arbeiten.

Früher als erwartet bin ich daheim, glücklich und dankbar, dass alles gut geklappt hat.

 

 

 
 
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