Home22 KapitelDie 7 GemeindenDie HimmelSichtweisenBilderzyklenLiteraturLinks
 
 
Studienurlaub 1. Teil
> Leserreise Mai 05
> Projekteingabe
> Tagebuch Juni 05
> Tagebuch Juli 05
> Tagebuch August 05
> Tagebuch September 05
> Tagebuch Oktober 05
> Tagebuch November 05
   
Studienurlaub 2. Teil
> Ephesus 20.–27.11.05
> Smyrna 28.11.–4.12.05
> Pergamon 5.–16.12.05
> Thyatira 16.–24.12.05
> Weihnachtstage Izmir
> Sardes 26.12.-2.1.06
> Philadelphia 2.-9..1.06
> Laodicea 9.–15.1.2006
> Schlussbericht
   
Die Reise geht weiter
> Tagebuch Jan.–März. 06
> Tagebuch April-Juni 06
> Tagebuch Juli-Nov. 06
> Tagebuch ab Dez. 06
> Tagebuch ab Ostern 07
> Tagebuch ab 1.Jan. 08
> Tagebuch 2009/2010
> Tagebuch 2011/2012
> Tagebuch 2013/2014
> Tagebuch 2016
   
Copyright-Informationen
> Home
> Copyright
> Kontaktinformationen
 

26. Dezember 2005 bis 2. Januar 2006 in Sardes / Salihli

>>> zu Montag, 26.12.05
>>> zu Dienstag, 27.12.05
>>> zu Mittwoch, 28.12.05
>>> zu Donnerstag, 29.12.05
>>> zu Freitag, 30.12.05
>>> zu Samstag, 31.12.06
>>> zu Sonntag, 1.1.06
>>> zu Montag, 2.1.06

Montag, 26. Dezember 2005: Sardes (Salihli)

Es wird spät, bis ich in Izmir wegkomme. Die Gestaltung der Seite zu Weihnachten für diese Homepage hat ihre Zeit in Anspruch genommen. Doch ich liess mir auch Zeit, vom Bahnhof bis zum Meer durch alte Basare zu laufen und wieder ein Stück Izmir zu entdecken. Einige der Bilder werden ich noch auf die Seite «Weihnachten in Izmir» bringen.

Fahrt nach Salihli
Gegen 16 Uhr fahre ich lose in Izmir, zur Zeit des grössten Verkehrs. Doch gleich vom Bahnhof aus erreicht man eine Art Autobahn, auf der man zügig vorwärts kommt. Ich hielt mich an die Wegweiser Richtung Osten: Ankara, Turgutlu und Usak, nicht nach Süden mit Aydin oder gegen Norden mit Manisa und Istambul. Auch auf diesem Weg aus Izmir heraus muss eine Anhöhe überquert werden. Lastwagen schleppen sich langsam die Strasse hinauf, aber auf der dreispurigen Autobahn kann man sie leicht überholen. Dann geht es wieder leicht abwärts und das breite Tal öffnet sich, das seit Jahrtausenden die Hauptverbindung nach Osten ist. In diesem breiten Tal liegen Sardes (Salihil) und Philadelphia (Alasehir). Die fast durchgängig dreispurige Autobahn, auf der aber auch Traktoren, Mopeds und aller Arten Vehikels verkehren, erlaubt ein schnelles Vorankommen. Kaum eine Stunde später, als es gerade ganz dunkel geworden ist, komme ich zur Ortstafel Salihli. Sie zeigt um die 90'000 Einwohner an, doch auch hier sind es heute mehr. Ich zweige ab und versuche mich an das Zentrum anzunähern. Da, wo viel los ist, wo noch viele Leute auf der Strasse sind, da muss das Zentrum sein. Tatsächlich ist da, wo ich das Auto parkiere und wo ich ein Hotel sehe, die zentrale Strasse, wie ich später erfahre. Das erste Hotel, in dem ich vorbeischaue, ist eine alte Karawanserei. Da gibt es eine grosse Vorhalle, von der aus alle kleine Zimmer wie Mönchszellen erreichbar sind. Kinder springen herum, die hier mit ihren Eltern logieren. In dieser Vorhalle ist wirklich viel Leben.
Ich muss hier noch anführen, was mein Reiseführer über die Hotels in Salihli sagt: «Achtung: Salihli als die Sardis nächstgelegene Mittelstadt besitzt weder eine Touristeninformation noch ein annehmbares Hotel.»

Mein neues Logement
Ich sage bei diesem ersten Hotel, dass ich mich vorerst noch weiter umsehe. In dem Zimmerchen mit zwei Betten ist wenig Platz. Einen Arbeitsplatz hätte ich da kaum einrichten können.
Ich erkündige mich bei einem Laden nach andern Hotels. Da meldet sich ein Herr zu Wort und sagt in Deutscher Sprache: Willkommen in Salihli. Es gebe da viele Hotels, es komme darauf an, was ich wünsche. Er kenne ein gutes Hotel, wo es Zimmer zwischen 8 und 30 Lira gebe. So lasse ich mich führen. Das Hotel Oyar (Tel. 0090 236 714 23 20) ist nicht weit weg von meinem Auto. Der Mann am Empfang spricht Englisch und zeigt mir die möglichen Zimmer. Auch dieses Hotel hat Zimmer in Reih und Glied wie in einem Gefängnis oder wie Mönchszellen im Kloster. Die Zimmer gegen hinten mit Dusche und TV kosten 13 Lira pro Nacht (etwa 12.50 Fr.), die Zimmer auf der andern Seite ohne Dusche, aber mit Lavabo, kosten 8 Lira pro Nacht. Das etwa vor 30 Jahren gebaute Haus ist als Herberge konzipiert. Im Untergeschoss sind Kohlenlager und Heizung, im ersten Stock ist ein öffentliches Badehaus. Da können die Leute warm duschen. Und im zweiten und dritten Stock ist das Hotel mit 24 Stunden warm Wasser und Heizkörpern, die aber nur in der Nacht Wärme abgeben.
Der Angestellte ist sehr zuvorkommend und geht auf meine Anliegen ein. Da sei ein Zimmer mit nur einem Bett, wo gut auch ein Tisch und ein Stuhl platziert werden könne. Ich nehme das Zimmer. Das Auto kann ich unten beim Kohlenlager platzieren, so dass es nachts eingeschlossen ist. Man hilft mir das Gepäck hinaufzutragen und aus der Empfangshalle wird ein Tisch und ein Stuhl in mein Zimmer gebracht.

Mein Zimmer im otel oyar Ausblick am Morgen auf Salihli

Erste Führung durch Salihli
Der Herr, der mich zu diesem Ort geführt hat, ist ein vornehmer und feiner Mann, der mir sogleich dies und das berichtet. Ich lade ihn ein zum Essen und lerne ihn da besser kennen. Wie ich später erfahre, ist er gleich alt wie ich, geschieden und lebt mit seiner Mutter. Er war in der Textilbrache tätig, aber da läuft jetzt nichts mehr. Aufgewachsen ist der Mann in Salihli, aber seine Mutter kommt aus Alesehir, dem alten Philadelphia, meinem nächsten Ort.
Beim Nachtessen höre ich von einem Bad mit warmen Quellen, wo es auch gute Massagen gebe. Da wollen wir später hingehen. Und der Mann berichtet mir von einem Deutschen, von Norbert, der seit 7 Jahren in Salihli lebt und für den Tourismus sich engagiere. Diesen Norbert ruft er vom Lokal aus an und ich kann mit im sprechen. Er sei mit seiner Frau auch hier, um den Türken die Bedeutung von Ostern, Weihnachten usw. zu erklären. Er hat heute Abend Gäste, Türken, die ihm zu Weihnachten gratulieren. Der Mann sagt mir, dass das hier so Brauch ist, dass man sich zu den religiösen Festen gegenseitig gratuliere.
Mit dem Mann erlebe ich dann eine nächtliche Führung durch Salihli, bei der ich ganz intime Sachen über die Stadt erfahre. Er zeigt mir das Haus, wo er aufgewachsen ist, dann den Ort, wo er zur Schule ging. Gebäude, die für mich sonst stumm bleiben, haben heute Abend eine Geschichte erhalten. Die verschiedenen Banken (sein Vater war bei der Agricultur-Bank tätig), Schulen, Studentenwohnheime, das Spital, die Eisenbahn. Spannend für mich ist vor allem der Tonfall, die Stimmung des Mannes, wenn er über die Veränderungen der Gebäude erzählt, die er hier miterlebt hat. Beim Schulhaus war früher ein Park, wo Hochzeiten gefeiert wurden und die Leute draussen Tee getrunken haben. Auch im Zentrum soll sich ein Park befunden haben, den ein Stadtpräsident leider habe zubetonieren lassen. Wo heute ein modernes Haus steht, war früher eine Karawanserei für Reisende mit Pferden. Eine noch bestehende Karavanserei ist der Ort, wo ich zuerst nach einem Zimmer nachgefragt habe. Der Ort mit seinem grossen Innenhof hätte auch ein besonderes Flair gehabt. Das alte Schulhaus aus der osmanischen Zeit ist ganz in der Nähe meines Hotels. Es ist intakt, aber steht wohl seit Jahrzehnten leer. Das wäre ein Haus, das renoviert werden müsste. Zu meinem Erstaunen lese ich satlik, zu verkaufen. Der Mann erzählt mir, dass bis vor kurzem die schönsten alten Häuser abgerissen worden sind, weil das Geld für Renovationen fehlt. Jetzt erst kommt das Bewusstsein, dass gewisse Gebäude geschützt werden müssten. Das alte Schulhaus will die Stadt nun verkaufen, damit sie es nicht selber renovieren muss.

Das alte türkische Bad wird erneuert Das alte Schulhaus ist zum Verkauf ausgeschrieben

Brautwerbung eines Vaters
Zurück im Hotel lerne ich einen Kurden kennen, der in Denizli (meiner letzten Station) ein Geschäft hat, in dem Wolle und Stoffe verkauft werden. Der Mann war vor 20 Jahren für 8 Jahre in Berlin und geniesst es, mal wieder Deutsch zu sprechen. Er arbeitet selber nicht mehr, sondern lässt arbeiten. Seine Tochter führt das Geschäft erfolgreich und geht jeweils an Messen in Deutschland. Er lädt mich ein, die Woche in Denizli in seinem Haus zu verbringen. Er sei wohlhabend und habe viel Platz. Wir tauschen uns auch aus über die Familie. Wie er von vier Mädchen hört, ist er ernstlich daran interessiert, eine Heirat zu vermitteln zwischen seinem Sohn und einem der drei älteren Mädchen. Ich finde das rührend und spiele mit. Ich fotografiere das Foto des Mannes, um es nach Hause zu schicken. Die drei Mädchen können dann selber entscheiden, ob eine den Burschen will. Der Kurde betont nochmals, dass er reich sein und alles bezahlen werde bei der Hochzeit.

Am Abend lese ich über das Sendschreiben an den Engel der Gemeinde in Sardes. Wie ich den TV anstelle, stelle ich fest, dass auf Platz 1 ein derber Erotiksender ist. Scheinbar schätzen das die Reisenden, die hier ein und ausgehen. Mich langweilen die Szenen nach einigen Minuten. Neben dem Erotiksender sind keine ausländischen Programme eingestellt, dafür wieder etwa 20 türkische Programme.

Dienstag, 27. Dezember 2005: Sardes /Salihli

Am Morgen wurde die Heizung schon früh abgestellt. Die Wärme reicht gerade, dass ich etwa bis 9 Uhr an meinem Tischen sitzen kann, um zu lesen. Dann muss ich mir ein warmes Lokal suchen. Unterweg schaue ich im türkischen Bad vorbei, das erneuert wird. Die Arbeiter laden mich zu einem Tee ein.

Die Wärmezufuhr im Hamam wird erneuert Teepause mit den Arbeitern beim türkischen Bad

Ich laufe dann die ganze Zentrumsstrasse hinauf und hinab und verweile für etwa zwei Stunden in einem Teehaus, in dem die Männer rauchen, TV schauen und Karte spielen. Ich kann da relativ anonym sitzen. Doch ich muss ein seltsamer Vogel sein mit meinen Büchern und Papieren. Die Kommentare bringen mir zu den 5. Sendschreiben nicht viele neue Informationen. Ich beginne auch über die vier apokalyptischen Reiter zu lesen und stelle bei den Exegeten eine gewisse Ratlosigkeit fest. Doch auch ich gerate in noch grössere Ratlosigkeit über die Bilder. Die Exegeten suchen stets Vorbilder in andern Schriften, und meinen, wenn sie diese benennen, dann sei das Bild hergeleitet. Ich merke, dass ich gegenüber den Bildern einen phänomenologischen Zugang will. Man muss die Bildsprache lesen lernen, wie das für die Traumdeutung auch nötig ist.
Da die vier Reiter je einem der ersten vier (von sieben) Siegel zugeordnet sind, kann es sich dabei nicht um die stets gleiche Bedeutung handeln, wie ich lese: nämlich endzeitliche Nöte, die nacheinander kommen sollen. Mit diesen ersten Siegeln muss mehr ausgesagt sein. Die anthroposophische Lektüre sprach davon, dass diese Siegel auf Zeiten vor Jesus verweisen, quasi auf den Weg der Schöpfung. Dem will ich nachgehen.

Das beste Hotel?
Am andern Ende der Hauptstrasse entdecke ich ein kleines, aber sehr saubres Hotel. Ich gehe rein und werde von einer jungen Frau begrüsst, die Englisch spricht. Die Zimmer, die sie mir zeigt, sind gepflegt und haben ein Warmluftgebläse. Damit ist es im Zimmer sofort warm. Auch ein Tischchen hat es da und viel Platz. Das Zimmer würde 20 Lira pro Nacht kosten. Ich plaudere etwas mit der Frau. Sie macht ein Fernstudium, da sie nicht vollzeitlich studieren kann. Im Sommer arbeitet sie am Meer in einem 5-Stern-Hotel, im Winter betreut sie dieses Haus. Dann kommt auch der junge Chef, dem das Haus gehört. Er ist ein Liebhaber von Vögeln und Fischen. Die Vorhalle hat drei Aquarien und drei Vogelkäfige mit kleinen Vögeln. Er lädt mich zum Essen ein, zu dem sich auch der Onkel gesellt, der 15 Jahre in Wien war und perfekt Deutsch spricht. Ich deute an, dass ich wahrscheinlich morgen hierher umziehen werde.
Doch wie ich zurück in meinem Hotel bin und die freundliche Art der Leute hier erfahre, schäme ich mich, dass ich abtrünnig werde. Denn man hat mir hier alles liebevoll eingerichtet. Ich erkläre meinen Zwiespalt und gehe auf mein Zimmer. Da sehe ich erst, dass ich hier Sonneneinstrahlung habe am Nachmittag, dass ich über die ganze Stadt sehe und an diesem späten Nachmittag bei offenem Fenster sitzen kann. Es ist also gar nicht so schlimm mit der Kälte. Und wenn es zu kalt ist, kann ich jederzeit in ein Teehaus gehen. Da kriege ich mehr Atmosphärisches mit. Ich muss ja nicht nach Salihli gehen, um in meinem Hotelzimmer den Tag zu verbringen. Also entscheide ich mich, hier zu bleiben. Ich werde heute Abend noch beim andern Ort vorbeigehen und die Sache klären.

Die Eisenbahnlinie im Süden von Salihli Eine Zigeunerfamilie mit den neuen Fernseher

Begegnung mit Norbert
Ich entscheide mich, hier den richtigen Namen von Norbert zu nennen, nachdem ich mir zuerst vorgenommen hatte, ihn zum Österreicher zu machen und ihn Karl zu nennen. Aber ich kam mir dabei unehrlich vor gegenüber allen möglichen Lesern dieser Seite, auch gegenüber einer allfälligen Leserschaft, die hier Angaben suchen sollte, die gegen Norbert und sein Wirken verwendet werden könnten. Ich will hier nichts vertuschen und mich in Lügengeschichten verwickeln. Was Norbert und seine Frau in Salihli tun, ist kein Verbrechen, im Gegenteil: Es ist eine edle und wichtige Arbeit, auch wenn in der Türkei teils kuriose Ängste vor Missionaren geschürt werden.
Norbert ist katholisch in Polen ausgewachsen. Mit 15 kam er nach Deutschland, wo er in Augsburg in einer Pfingstgemeinde ein persönliches Verhältnis zu dem gefunden hat, was Jesus gepredigt hat. Jesu Liebe zu den Menschen hat sich in sein Herz eingeprägt, und es wurde ihm klar, dass er von dieser Lebensfülle zeugen will. Lange war er ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe tätig, wo er zusammen mit Flüchtlingen aus dem Osten, aus Bosnien oder dem Irak an der Versöhnung durch den Heiligen Geist gearbeitet und gebetet hat.
Aber was hat ihn ausgerechnet nach Salihli verschlagen? Seltsamerweise hat die Geschichte nichts mit der in der Offenbarung genannten Gemeinde in Sardes zu tun. Die Eltern eines in der Pfingstgemeinde in Augsburg tätigen Mannes hatten in einer Zeitschrift gelesen, wie Kasaken aus China vertrieben worden sind und nach langem Exodus teils in Salihli Asyl erhalten hätten. Auch der König dieses Stammes lebte hier. Die Eltern dieses Pfingstlers waren von der Geschichte so berührt, dass sie damals nach Salihli fuhren und den Kontakt mit diesen Leuten aufgenommen haben. Der Sohn hat die Beziehung weiter gepflegt. Und daraus hat sich ein Kontakt ergeben, der bis heute seine Geschichte schreibt. Norberst Aufenhalt in Salihli ist ein Teil dieser Geschichte. In Ferienaufenthalten in Salihli hat Norbert zusammen mit seiner englischen Frau gespürt, dass sie hier eine Aufgabe haben. Seine Gemeinde in Augsburg hat dies freudig zur Kenntnis genommen und unterstüzte ihre Arbeit hier mit Gebeten und etwas Geld.
Ich sage Norbert ins Angesicht, dass ich in Sachen Glaube in Vielem wohl anders denke und empfinde als er. Ich hätte grossen Respekt vor allen Religionen und sei überzeugt, dass durch jeder Religion gewisse Aspekte Gottes erfahren werden könnten. Gerade die Erfahrungen in Akisahar hätten mir diese Sicht bestätigt. Ich selber sei vor allem am Dialog, am Austausch, dem gegenseitigen sich kennen lernen interessiert.
Ich habe mit Norbert lange gesprochen und bin mit ihm durch die Stadt gelaufen, zusammen mit dem Mann, der mich gestern auf Norbert aufmerksam gemacht hat. Dabei habe ich meinen Eindruck gewonnen von der Wichtigkeit ihres Lebens an diesem Ort, so dass ich auch mit diesen Zeilen davon zeugen will.
Allein die Tatsache, dass jemand drei Jahre investiert, um die Sprache des Landes zu lernen, ist ein Zeichen der Liebe und der Zuwendung zu der Türkei. Was ist das für ein Wert, mit den Leuten in ihrer Sprache sprechen zu können! Ich weiss das zu würdigen, weil ich jeden Tag in die Situation komme, wo Leute gerne mit mir reden wollen, aber ich kann den Dialog nicht pflegen.
Die vielen Türken, die durch die Emigration bei uns leben, sind darauf angewiesen, unsere Sprache zu lernen. Dadurch erfahren wir viel von ihrem Land und auch über die türkische Kultur und den Islam.
Wo aber haben die Türken in Salihli Gelegenheit, etwas über den Westen, über Europa, über das Christentum, über Deutschland oder die Schweiz zu erfahren? Natürlich über das Fernsehen. Aber über erlebte Beziehungen lernt man im Leben immer mehr als über noch so gut gemachte Medienprodukte.
Norbert erzählt mir von drei ausländischen Familien, die in Salihli zu leben und zu wirken versuchen. Da war eine polnische Familie, die nun aber in ihr Land zurückgekehrt ist. Ihr wurden viele Steine in den Weg gelegt. Offiziell müssen die Ausländer hier eine Arbeitsbewilligung haben, damit sie einen längern Aufenthalt erhalten. Eine solche hat man dieser Familie lange nicht gegeben, so dass sie alle paar Monate das Land verlassen musste, um das Touristenpapier zu erneuern. Eine weitere Familie aus Norwegen hat in Izmir gleich eine Aufenthaltsbewilligung von 5 Jahren erhalten. In Izmir sei man weltoffener und toleranter. Norbert und seine Frau hatten auch ihre Probleme mit der Arbeitsbewilligung, doch nun scheint es zu klappen. Zusammen haben sie nämlich eine Firma aufgebaut, die Reisen zu den sieben Gemeinden organisiert und betreut. Das Geschäft ist gut angelaufen, dann aber kamen die Schwierigkeiten mit der Arbeitsbewilligung, doch nun scheint alles auf gutem Weg.
Ich bestätige Norbert, dass die Idee mit den sieben Gemeinden der Apokalypse Zukunft hat. Die Gemeinden haben in der Apokalypse eine prominente Bedeutung, so dass sie in der Zukunft zu eigentlichen Pilgerorten werden könnten. Was hat da Salihli zu bieten? Wie ist Salihli darauf vorbereitet? Was tut Salihli, um diesen Tourismus zu fördern? Und wie wichtig wäre das für diese Orte, auch für Akhisar und Alasehir? Arbeitsplätze sind da dringend nötig!
Da kommt mir die Sorge der Behörden wegen drei Familien in einer Stadt mit 120'000 Einwohnern etwas kleinlich vor. Allerdings sind die Behörden, die hier das sagen haben, in der Hauptstadt Manisa.
Ich erfahre von Norbert viel über die Mentalität in diesem Land. Die Armut ist ein grosses Problem, das die Leute teils misstrauisch macht. Der Staat hat selber zu kämpfen, damit er zu seinem Geld kommt. Das Steuerwesen ist ein Kapitel für sich - weil der Staat die Leute nicht bei ihrem Verdienst erfassen kann, zieht er z.B. Steuern über das Benzin ein. Ein Liter kostet 2.55 Fr. Doch Norbert hält sich nicht bei diesen Unzulänglichkeiten auf. Er sieht die Gastfreundschaft, die menschlichen Seiten in diesem Land.
Ich bin beeindruckt von den herzlichen Beziehungen, die er in der Stadt hat. Wir bleiben da stehen für einen Schwatz, grüssen dort und verweilen in einer kleinen Druckerei bei einem Türken, der lange in Deutschland war. Er spricht mit uns, bearbeitet gleichzeitig den Kalender einer Partei im Computer, beobachtet über Internet die Fussballresultat (er hat gewettet und kennt vom Wetten her auch den FC St.Gallen) und bleibt in allem ein aufmerksamer Gastgeber. Wir sind über eine Stunde zu Gast in seiner kleinen Bude, in der wir zudem mit Getränken und Kürbiskernen bewirtet.

Mittwoch, 29.12.05: Sardes / Salihli

Das Wetter ist heute Morgen wärmer, ich kann bis 11 Uhr ruhig in meinem Zimmer arbeiten ohne zu frieren. Nach der Lektüre von mehreren Kommentaren schreibe ich meine Erläuterungen zum Sendschreiben an Sardes. Dabei bin ich weniger ausführlich wie in den Schreiben an Thyatira, auch nicht besonders originell. Was ich innerlich oft andern Auslegern vorwerfe, praktiziere ich selber. Um seine Deutungsideen zu belegen, hebt man bestimmte Aspekte hervor, andere übergeht man.

Das Sendschreiben an Sardes
Zudem merke ich, dass sich viele Elemente in den Sendschreiben wiederholen. Doch es macht mir auch Spass, immer von neuem und wiederum leicht anders die Grundthemen zu behandeln: Die Engel der Gemeinden, die Zuordnung der Gemeinde zu einer Zeitepoche, der Aufruf zur Nachfolge, die Verheissung usw.
Später lese ich im Buch von Emil Bock, einem Pfarrer der Christengemeinschaft, über die Sendschreiben und sehe, dass er geschickter vorgegangen ist mit seiner Behandlung der zwei Kapitel mit den Sendschreiben. Es schreibt über die gleich bleibenden Themen jeweils durch alle Gemeinden hindurch: Die Art, wie sich der Menschensohn präsentiert, was die Stärke jeder Gemeinde ist, was ihr Mangel ist und die Empfehlung an jede Gemeinde, und dann die Verheissungen. So kann er verschiedene Aspekte des Christsein über sieben Stufen hinweg verfolgen. Eine so gegliederte Auslegung möchte ich später auch einmal schreiben. Ich zitiere hier den Schlusssatz von Emil Bock über die sieben Gemeinden: «Recht gelesen, können so die 7 Sendschreiben ein Buch für sich sein, ein Vademecum der inneren Arbeit an uns selbst, ein Katechismus der Seelen-Übung, ein Brevier des selbstlosen Gebetes, durch das wir uns bereiten und öffnen für den , dessen Einwohnung die grosse Kommunion unserer Seele ist.»
Auch ich werde gegen den Schluss meiner Auslegung pathetisch und zum Prediger. Dieser Sprachstiel der Erläuterung hat in mir die Begegnung mit der Auslegung des Mystiker Bengels bewirkt. Man darf dazwischen auch fast prophetisch und selbstbewusst sagen, worum es geht.
>>> zu den Erläuterungen zum Sendschreiben an den Engel von Sardes

Auf dem Markt in Salihli
Ich gehe dann zuerst zum andern Hotel, bei dem ich mich provisorisch angemeldet habe. Man hat Verständnis, dass ich im alten Hotel bleibe. Ich kriege da ein Frühstück bei TV aus Frankreich. Der Manager fragt sich, was ich auf dem Markt suche und fotografieren will. Für ihn ist so ein Markt eine biedere Angelegenheit. Er werde da allenfalls hingehen, um Fisch zu kaufen. In der Tat merke ich, dass sich die Märkte wiederholen. Die Anlage interessiert mich, aber im Einzelnen wird immer dasselbe verkauft. Trotzdem werde ich unten einige Bilder vom Markt präsentieren. Ich zeige da auch ein Bild von meinem Mittagessen. Irgendwie behagt mir diese Esskultur. Ich schätze die Suppe zur Vorspeise, dann das frisch auf dem Grill geröstete Fleisch, den Salat und die vielen Zutaten. Zum Trinken das Airon, Jogurtwasser mit Salz. Auf dem Heimweg beobachte ich Strassenszenen: einen Zeitungsverkäufer, Schuhputzer, die Alten vor der Moschee, Reihen von Menschen vor einer Bank, …

Die folgenden Bilder lassen sich mit einem Klick auf das Bild vergrössern:

Gestern in der Druckerei Zentrum von Salihli Schuluniform in Salihli Honigwaben auf dem Markt
Der Donnerstagsmarkt Pferdewagen vor dem Markt Einblick in die Markthalle Vor der Moschee
Schuhputzer Ein Mittagsmahl Blick auf die Hauptstrasse Türksiche Pizza

Die apokalyptischen Reiter
Daheim lese ich weiter über die apokalyptischen Reiter und die Segelvisionen. Die klassischen Kommentare (Bousset, Hadorn, Ulrich B. Müller und auch Ernst Lohmeyer) sagen alle in etwa dasselbe: Hier würden die schon in der kleinen Apokalypse (Markus 13) genannten Zeichen der Endzeit mit den Siegelvisionen verknüpft. Doch für mich ist das nicht stimmig, wenn das himmlische Buch, welches das Lamm öffnen kann, bloss die Katastrophen der Endzeit hervorbringt. Die Siebenheit der Siegel muss für etwas Ganzes stehen und nicht bloss für ein Ende.
Die ganze Frage der Deutung spitzt sich zu mit der Erklärung des ersten Reiters, der auf einem weissen Pferd auszieht, um zu siegen, und eine Krone hat. Die alte Kirche hat ihn mit Christus identifiziert, andere mit dem Evangelium. Die von mir gelesenen Kommentare bringen ihn alle mit den Parther-Kriegern in Beziehung, welche damals eine Bedrohung gewesen sein sollen.
Dann gehe ich in ein Teeehaus und lese da Emil Bock. Er bietet eine phänomenologische Sicht auf die Bilder und erinnert zu Recht an das, was den Szenen voraus ging: Der ganze Himmel wartet darauf, dass jemand würdig ist, das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen. Nach Bock wird dann mit der Eröffnung der ersten vier Siegel der Weg des menschlichen Geistes in die Welt der Inkarnation, in die Welt der Dualität und des Todes geschildert. Das Pferd steht für das Denken, das im Anfang noch siegreich und weiss war, dann aber von der Emotion, der Habgier und dem Tod gezeichnet wird und sich dementsprechend verfärbt. Bock weist zu Recht auf die Funktion der vier Wesen hin, die diesen Prozess auslösen. Diese Wesen übergehen die andern Kommentare, blenden sie aus. Schade, dass ich meine Erklärung der vier Tierwesen noch nicht geschrieben habe. Sie haben tatsächlich eine Funktion für die Menschwerdung.
Auch das 5. und 6. Siegel deutet Bock aus dieser Bewegung des menschlichen Geistes in die irdische Geschichte. Im 4. Siegel ist der Tiefpunkt erreicht, aber viele Seelen beharren da und fallen noch tiefer. Die Seelen, die sich an den neuen Impuls des Aufstiegs halten, leiden und werden oft zu Martyrern. Sie werden im 5. Siegel sichtbar vor dem Altar, der den Himmel und die Erde verbindet. Beim 6. Siegel manifestiert sich die abfallende Bewegung der Geister in die Materie so mächtig, dass die Natur davon in Mitleidenschaft gezogen wird. Das ist ein Ausblick in die Zukunft.
Ich bestelle Tee um Tee und komme fast in einen Rausch. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf.
Ich erinnere mich an das Erdbeeben in Akhisar, dass ich da eine Lichtgestalt gesehen haben muss. Denn als ich aufgewacht bin, war es hell im Zimmer. Ich erinnere mich erst jetzt, dass das auf natürliche Weise ja gar nicht möglich war, dass ich also im Halbschlaf in der Schau eines Lichtes war.
Und ich korrigiere mich im Hinblick auf die Weihnachtserfahrung in Izmir, wonach Prophetie auch heute möglich sein soll. Die klassische Prophetie, wo Gott den Menschen unter Ausschaltung seiner eigenen Gedanken benutzt, hat mit Mohamed seinen Abschluss gefunden. Er ist der letzte klassische Prophet. Die neue Prophetie im Geiste ist eine, die aus dem Ich des Menschen kommt und dynamisch, entwicklungsfähig ist, nicht absolut und fordernd.
Wie ich so vor mich her denke und lese, kommt mein erster Freund aus Salihli ins Teehaus und holt mich auf den Boden, wie im Faust der Wagner den Faust auf den Boden holt. Ich muss mit ihm türkische Pizza essen gehen. Das ist in Ordnung. Ich darf das Essen nicht vernachlässigen. In dem Lokal bleiben wir lange sitzen, da wir mit diesen und jenen Leuten ins Gespräch kommen, auch mit dem Imam von nebenan, der aus Saudi Arabien stammt, aber recht weltoffen ist. Er raucht und hört sich ohne Verurteilung die Geschichten eines jungen Türken an, der in Deutschland lebt und die Freiheiten dort über alles preist.
Erst gegen 9 Uhr abends kann ich mich frei machen, um hier zu schreiben. Das braucht seine Zeit, sodass es wieder spät wird, bis ich zu meinem Feierabend komme.
Als ich dann endllch in meinem Hotel die Daten auf den Server bringe, sitzen das noch türklische Geschäftsleute, die etwas getrunken haben. Sie rufen mich. Ich gehe mit dem Laptop hin und sie haben grosse Freude an den Bildern der Orte, die ich besucht habe. Trotzdem vestehen sie nicht recht, was ich da in Salihli suche. Darum beginne ich ihnen auch von der Offenbarung zu erzählen und vo den Sendschreiben. Wir schauen auch viele alte Bilder zur Offnbarung an. Sie sind ganz verbrlüfft, dass diese Orte in der Bibel erwähnt sind.

Donnerstag, 29. 12. 05: Sardes / Salihli

Das 6. Kapitel der Johannesoffenbarung
Heute Morgen koche ich meinen Tee und beginne mit der Auslegung der Siegelvisionen. Vorerst aber will ich die Seite zu diesem Kapitel mit Bildern versehen. Ich habe gegen 20 Bilder zum 6. Kapitel auf meinem Computer, die ich alle anschaue und mich für fünf Bilder entscheide, welche auf dieser Seite vergrössert werden können und einen Kommentar enthalten. Allerdings nimmt diese Arbeit viel Zeit in Anspruch. >>> zum 6. Kapitel
Es wird Mittag, bis ich mit der eigentlichen Auslegung beginnen kann. Dabei knüpfe ich am Text in Kap. 4 und 5 an, welcher das Buch mit den sieben Siegeln erstmals ins Blickfeld bringt. Die vorausblickende Freude der ganzen Schöpfung im «Neuen Lied», das im Himmel erklingt, zeigt, welche Bedeutung der Tatsache zukommt, dass das Lamm die Siegel des himmlischen Buches öffnen kann. Das Buch enthält die Geschicke der Erde, der Menschheitsentwicklung, die von Anfang an von Christus gehalten und vorangetrieben ist. Es geht da nicht nur um Katastrophen der Endzeit, wie viele Exegeten sagen.

Die Liebe Gottes und die Mission der Freiheit im Geist Gottes

Dann läutet das Telefon – sogar das habe ich hier in diesem einfachen Hotel für 12. Fr. die Nacht. Norbert meldet sich. Ob wir zusammen etwas machen wollen. Ich schlage vor, dass wir zu den vorgriechischen Grabhügeln fahren. Er stimmt ein und meint, dass wir dann noch zum warmen Bad fahren können. Da ich noch nicht gegessen habe, will er mich zu sich einladen, sie hätten noch Truthahn von Weihnachten her. Er holt mich mit seinem Auto ab und ich komme in eine gediegene Wohnung am südlichen Rand der Stadt. Sie bezahlen dafür fast 400 Franken im Monat, das ist hier viel Geld. Ich lerne auch Louise kennen, die Frau von Norbert. Sie ist eine zierliche, feine und hübsche Frau, ursprünglich aus Irland.
Beim Essen sprechen wir über ihre Arbeit in Salihli. Erst bei einer tieferen Begegnung mit Menschen vor Ort sprechen sie davon, dass sie hier von der Liebe Gottes Zeugnis geben wollen. Dann seien die Leute meist irritiert und würden all die in den Medien verhandelten Vorwürfe vorbringen - vor kurzem waren da im TV Talkshows über die Missionare in der Türkei, wo auch üble Beispiele präsentiert worden sind. Es ist wahr, dass sich hier allerlei Leute tummeln, auch Zeugen Jehowas, Hare Krischna, … und auch von freikirchlicher Seite lassen sich problematische Geschichten belegen. Norbert fasst die Aufgabe des Missionars sehr weit. Jeder Gottgläubige ist im Grunde ein Missionar für seinen Glauben. Wer glaubt, ist ein lebendiger Brief für die Sache Gottes, wie Paulus das formuliert hat. Es geht darum, die Liebe Gottes, die man erfahren hat, weiter zu schenken im Alltag, zu zeigen, wie Versöhnung, Vergebung, Liebe und Freiheit im Geiste möglich sind und von Gott geschenkt werden, wenn man Gottes Hinwendung zu den Menschen aufnimmt und sich davon führen lässt.
Nach dem Essen erzählt mir Louise bei Kaffe und Weihnachststollen aus ihrem Leben, da ich dies und das nachfrage. Was für eine spannende Biographie! Ich mache mir bei ihren Erzählungen Notizen, um allenfalls später ein Portrait der Frau zu schreiben. Die Lebensgeschichte erzählt auch vom Wirken der Pfingstkirchen. Der Empfang des Heiligen Geistes spielt eine zentrale Rolle. Der Geist wird erfahren als innere Ruhe, als Freude und Lebensvorschau. Gott spricht über den Geist mit den Menschen, hilft bei Entscheidungen und führt durchs Leben. Das wird an dieser Lebensgeschichte sichtbar. >>> Zum Portrait von Louise und Norbert.
Am späten Nachmittag gehen wir raus, um etwas zu Laufen in Richtung der Hügel und Berge, wo ein Fluss aus den Tälern herabkommt. Da sprechen wir viel über die Volksreligiosität, die bei den Leuten hier oft stärker verwurzelt sei als der Islam. Man glaube das blaue schützende Auge, an Amulette, pflege das Kaffesatzlesen, stehe oft unter Zwangsvorstellungen, dass diese oder jenes Verhalten etwas Negatives bewirke, auch kennt man das gegenseitige Verfluchen. Der Islam bringt da einen grosseren Horizont, hebt den Blick zum Schöpfer des Universums. Lange reden wir über den Unterschied von Islam und Christentum, denn viele Vorstellungen entsprechen einander. Gerade aus de Geist der Pfingstkirchen ergibt sich aber ein klarer Unterschied. Im Geist kommt Gott den Menschen nahe, sie lernen ihn als einen nahen und vergebenden Gott kennen, der das Herz lenken kann und tiefen Frieden vermittelt. Ich meine, dass dieser Friede auch durch den Islam erfahrbar ist, wenn auch in anderer Färbung. und durch die Botschaft des Korans. Doch die Mystik des Islams lehre in Menschenbild, in dem Gott tatsächlich auch im Herzen der Menschen Wohnung nehmen kann. Der Weg dazu führt nicht über Christus, sondern das Wort Gottes als Koran. Die Rezitation der Verse, die vom Himmel kommen, erfüllen das Herz und lassen das Licht des Himmels in das Herz fliessen. Für Norbert und Louise ist dieses Sicht des Islams etwas theoretisch. Doch auch für sie ist der Respekt vor dem Islam und dem Koran ein wichtiger Grundsatz ihres Wirkens vor Ort. Nach sieben Jahren in der Türkei wissen sie um die Grenzen und Möglichkeiten einer christlichen Arbeit vor Ort. Manchmal sind sie hier in Salihli auch etwas alleine, haben ihre Tiefpunkte und hinterfragen ihr Tun immer auch selbstkritisch. Norbert sagt mir, dass er wisse, dass andere Leute das vilelleicht besser machen könnten, aber die machen das nicht. Wer nimmt die Mühe auf sich, die Sprache zu lernen und hier an solch abgelegenen Orten mit den Menschen zu leben? Ich spüre, das allen ihr Dasein in der 90'000 Einwohner zählenden Stadt ein Segen ist und eine unscheinbare Wirkung hat. Wenn ich mit ihm durch die Strassen gehe, kennt er soviele Leute. Alle sind glücklich, wenn Norbert sie grüsst, wenn er auf einen Schwatz vorbeikommt. Es reicht schon, wenn Norbert und Louise hier ein Bild von Christenmenschen vermitteln, das etwas gesundes, fröhliches, zuversichtliches vom Leben ausstrahlt. Dieselbe Mission erfüllen ja die Muslime, die unter uns leben. Sie lassen uns erfahren, dass Muslime Menschen sind mit Sorgen und Freuden, die auch das Leben suchen und mit ihrem Hintergrund den Gesetzen des Lebens Achtung schenken.
Das Gegenseitige sich wahrnehmen, Kontakte pflegen über die Religionen hinweg hilft, sich ein eigenes Bild der andern Religion zu verschaffen und nicht bloss über Skandale aus den Medien oder Theorien und Dogmen seine Meinung über die andere bilden zu müssen.

Norbert und Louise auf dem Balkon ihrer Wohnung Die grosse Stube, die am Sonntag zur Hauskirche wird Unterwegs am Stadtrand in Richtung der Hügel Blick auf Felder und auf eine bald fertiggestellte Moschee

Besuche bei Freunden
Auf dem Rückweg von unserm Spaziergang lädt uns eine kurdische Familie am Rand der Stadt in ihr kleines Häuschen ein zu einem Tee. Die 19-jährige Tochter bereitet den Tee. Der kleinste Bub ist eben von der Schule gekommen. Der grössere ist 17 Jahre alt und hat von Norbert dessen Fussballschuhe erhalten. Darüber freut er sich heute noch. Auch dieser Bursche kennt den FC St.Gallen. Fussball ist die grosse Leidenschaft, man verfolgt die Spiele europaweit, und wer Geld hat, wettet gerne auf die Spiele.
Diese Familie ist arm. Die Eltern sind vor 20 Jahren aus dem Bürgerkriegsgebiet im Osten geflohen und haben hier eine Bleibe gefunden. Die Mutter hat nie Schreiben und Lesen gelernt. Dafür das kunstvolle Weben. Sie zeigt uns eine Tasche mit wunderbaren gewobenen Ornamenten. Solche Taschen hätte sie früher gemacht. Nun ist sie in Salihli zusammen mit 20 andern Frauen in einem Intensivkurs, um Schreiben und Lesen zu lernen. Fünf Mal in der Woche ist sie abends von 6 bis 9 Uhr in der Schule. Sie zeigt uns die Schulhefte mit den Schreibübungen, die ich wie kleine Kunstwerke bewundere und einige Seiten fotografiere. Beim Abschied mache mich Norbert auf den Brauch aufmerksam, dass in der Türkei der Gastgeber die Schuhe der Gäste, wenn diese gehen, so hinlegen, dass sie vom Haus weg weisen. Wenn der Gast kommt, legt er sie so hin, dass sie zum Haus weisen. Ich habe mich bei der kurdischen Familie sehr wohl gefühlt. Zu knabbern gab es Kichererbsen und salzig geröstete Sonnenblumenkerne, die aber erst geschält werden mussten.
Dann schauen wir auch noch bei einer Familie hinein, die für Norbert von grosser Bedeutung ist. Hier kann er seine Muttersprache, Polnisch, sprechen. Die polnische Frau hat in Deutschland eine Türken geheiratet, der dann aber keine feste Aufenthaltsbewilligung erhalten hat. So mussten sie sich hier neu orientieren. Von den Grosseltern konnte er eine Fruchtbaumplantage übernehmen, die er jetzt pflegt und davon lebt die Familie. Sie produzieren 1.-Klass Aprikosen und Pfirsiche, die ihnen ein gutes Einkommen ermöglichen. Aber während der letzten zeit Jahre hat der Frost im April die Ernte schwer beeinträchtigt. Hier bin ich in einer Stube mit Christbaum. Die Familie gefällt mir sehr gut, ein glückliches Paar. Aber die polnische Frau hat es nicht leicht. Sie ist viel alleine und findet in ihrem Beruf als Krankenschwester keine Arbeit. Sie geniesst es, wenn Norbert auf Besuch kommt. Ich rede mit dem Vater auch über die Religion des Kindes. Er ist sehr weltoffen, steht zu seinem Islam so wie er zum Christentum seiner Frau steht. Das Kind soll später selber wählen. Es wird beide Religionen kennen lernen. Von der Mutter lernt der Knabe auch Polnisch.

Norbert mit den beiden Kurdenbuben Die Mutter zeigt uns ihre Schreibübungen Das Schreibheft der kurdische Frau Die gastliche Stube der kurdischen Familie
Die Schuhe der Gäste beim Verlassen des Hauses Polnisch-türkische Familie mit Christbaum Eine der wenigen gemischten Ehen in Salihli Für Neujahr und Bajram wird die Strasse beleuchtet

Norbert ist ein sehr geselliger Mensch. Er lebt von Kontakten, liebt es, Menschen zu begegnen. Das ist seine Stärke, sein Charisma (Gnadengabe). So begleitet er auch mich noch heimwärts, aber da und dort bleibt er stehen. Er führt mich auch noch in ein Fotogeschäft, das modern ausgerüset ist und grossen Erfolg hat. Abend um 9 arbeiten noch alle. Die Türken lieben Fotos. Norbert erzählt mir, wie seine Eltern hier ein Foto von sich machen liessen. Doch vom Resultat waren sie entrüstet. Alle Falten waren weg. Sie sahen 30 Jahre jünger aus. Der Fotograph konnte nicht begriffen, dass sie auf den Falten beharrten.
In der Türkei muss man präsentieren und tut alles dafür, gegen aussen den besten Eindruck zu vermitteln. Darum ist das Wegretouchieren der Falten hier eine Selbstverständlichkeit. So erfahre ich diese und das von Norbert, der die Welt der hier lebenden Menschen von allen Schatten- und Lichtseiten her kennt. Nach der langen Tour bin ich müde und bringe die Seite nicht mehr fertig auf das Netz.

Gefahren als Fussgänger
Hier will ich noch eine Bemerkung machen über die Gefahren als Fussgänger. Heute bin ich zum zweiten Mal fast überfahren worden. Man ist sich als Schweizer gewohnt, dass die Autos und Töffs die Fussgänger beobachten. Hier ist es umgekehrt. Man muss als Fussgänger stets alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Wenn man am Strassenrand geht, ist kein Schritt seitwärts erlaubt. Die Autos rasen mit 10 cm Abstand an einem vorbei. Heute ist mir zum zweiten Mal passiert, dass ich beim Überqueren der Strasse nach links schaue, dann nach rechts - und ich zögere aus unerfindlichen Gründen mit Laufen - da hat wohl mein Schutzengel mich einen Moment gehalten. Denn wie ich mich bewege, streift mich ganz zart ein Motorrad, das weiss ich woher kam, und in die Strasse abbog, 10 cm an mir vorbei. Ich war glücklicherweise erst 10 cm nach vorne gerückt. Mit klopfendem Herzen gehe ich weiter. Norbert klärt mich auf über die kleinen Rechte der Fussgänger. Ich danke dem Himmel und werde in Zukunft noch besser aufpassen im Verkehr.

Freitag, 30. 12.05: Sardes / Salihli

Heute morgen schreibe ich zuerst die Berichte vom gestrigen Tag. Dabei wird es Mittag. Auf dem Programm ist heute ein Ausflug nach Sardes, der antiken Stadt. Ich will aber auch an der Auslegung der Siegelvisionen weiter arbeiten.
Sardes war die Hauptstadt des lydischen Reiches. Im 7. Jh. vor Christus war das Reich der Lydier, das den Orient mit dem Okzident verbunden hat, berühmt. Gyges hiess der erste Dynast, Kroisos war der vierte und letzte König. Er ist bekannt für seinen Reichtum. Ein Orakel sagte Kroisos voraus, dass ein grosser Reich fällt, wenn er den östlichen Grenzfluss Halys überquert. Sein eignes Reich fiel 547 v. Chr. im Kampf gegen die Perser. Unter den Persern war Sardes Endpunkt der berühmten, 2500 km langen Königstrasse von Susa her und Sitz eines Strapen, eine persischen Provinzgouverneurs.
Das heute gut erhaltene Gymnasium geht auf die Römer zurück, welche Sardes nach einem Erdbeben wieder aufrichten liessen. Bekannt ist in Sardes auch die ausgegrabene Synagoge mit Mosaiken. Das berühmteste Bauwerk aber ist der Artemis-Tempel, das Heiligtum der griechischen Nachfolgerin der altkleinasiatischen Muttergottheit Kybele, etwa ein Kilometer bergwerts gelegen. Der Bau entstand Ende des 4. Jh., wurde aber nie vollendet. Nur zwei Säulen stehen noch in voller Grösse. An diesen Tempel haben die Christen eine Kirche gebaut, deren Grundriss erhalten ist.
Der Berg über Sardes war mit einer einer berühmten, durch drei Mauern befestigten Akropolis versehen, die lange als uneinnehmbar galt. Von dieser Königsburg ist heute wenig übrig geblieben.

Ankunft in Sart, Blick auf die Ruinen, wo Schafe weiden oder sich ein islamischer Friedhof befindet.
Blick von den Bergen bei Sardes, an deren Fuss sich alte Höhlenwohnungen befinden.
Die Ruinen der Stadt Sardes sind teils vom heutigen Dorf Sard überbaut. Viele Häuser zeigen Steine der alten Stadt.
Der Artemis-Tempel aus dem 4. Jh. vor Chr., bergwärts an einem Fluss gelegen, daran angebaut eine Kirche (3. Bild)


Meditation zum Ort des Artemis-Tempels


An diesem Ort spricht die Natur: Die zerklüfteten, umspühlten Bergzipfel, die Bewegung der Hügel, der nahe Fluss.
Und dann die Stille, hinten, am Aufgang zum Weg nach Ödemis.
Mit den wuchtigen Steinen sollte der Natur von Seiten der Menschen eine Antwort gegeben werden:
Dank der Schöpfung. Freude über die Jahreszeiten und ihre Gaben. Mutter Natur hat gesprochen, hat ihren Reichtum verschenkt, überfliessen lassen.
Die Stille des Orts wird zur innern Auffahrt in das Reich der Schechina, der Braut. An diesem Ort spricht Mutter Natur.
Ich schau auf zu den Bergen, und koste die Früchte.

Lese spät abends im Internet einen Artikel über die Universitäten in der Türkei. Da schwelt ein Streitrund um den Einfluss des Islams: >>> https://www.zeit.de/2006/01/Ausst_Berlin_2fIrak?page=all

Nacht beginne ich endlich zu zeichen: Die vier apokalyptischen Reiter und die folgenden Siegelvisionen.

Samstag, 31.12.05: Salihli / Sardes

Sieben Siegel, Posaunen und Zornschalen
Am letzten Tag des Jahres 2005 lese ich am Vormittag den Kommentar von Wilhelm Bousset zum 6. und 7. Kapitel, den Siegelvisionen. Ich habe meine eigene Auslegung zu diesem Teil der Offenbarung angefangen, bin aber über die Bedeutung des himmlischen Buches mit den sieben Siegeln immer noch sehr unschlüssig. Einerseits deuten die irdischen Geschehnisse auf Zeichen und Plagen der Endzeit, doch ich meine, dass das himmlische Buch die Geschichte der Erdenmenschheit als Ganzer enthalten muss. Solches meine ich aus dem Kontext der vorangehenden Texte schliessen zu können.
Ich merke, wie das Verständnis der sieben Siegelvisionen massgebend wird auch für die anderen Visionsreihen: die sieben Posaunen und die sieben Zornschalen. Jedes Mal wird ein siebenfacher Zyklus von irdischen Katastrophen geschildert, wobei gewisse Paralellitäten zu beobachten sind. Die vier ersten Visionen sind jeweils kurz, ähnlich gestaltet und sie drängen auf das hin, was mit den restlichen drei Visionen eröffnet wird. An fünfter Stelle geht es meist um die Gemeinde, die verfolgt wird, im sechsten um die grosse Macht der Feinde, die aber unter das Gericht kommen. Im siebten Bild wird die neue Welt wichtbar und ein neuer Zyklus entfaltet sich. Die hintereinander geschilderten Visionsreihen dürfen nicht linear hintereinander gesetzt werden - eben weil sich drei Mal eine ähnliche Bewegung von der Erschütterung der Erde in den ersten vier Visionen hin zum Geschickt der Menschenwelt in der 5., 6. und 7. Vision zeigen. Doch die Bilder werden immer konkreter, realistischer, irdischer, politischer: Bei den Siegelvisionen ist noch alles kosmisch, grundsätzlich und offen angedeutet, bei den Posaunen sind die Konturen deutlicher, die Unterwelt steigt hervor als schreckliche Kriegsheere, bei den Zornschalen sind die Feinde Gottes beim Namen genannt, aber das Geicht kommt über sie herein. Es ist, als ob mit jedem Zyklus wie mit einem Vergrösserungsglas näher an das herangegangen wird, was in der 5. und 6. Phase beschrieben wird und vom Kampf zwischen den Heiligen und ihren Feinden handelt. Doch auch das Ziel der Welt, die Errichtung der neuen Gemeinschaft im Himmel, wird konkreter. Der himmlische Tempel gewinnt Kontur.
Von Nutzen ist mir hier auch die Übersicht über die 22 Kapitel der Offenbarung, die ich vor einigen Monaten noch zuhause hergestellt habe. >>> zur Gliederung der Johannesoffenbarung

Das alles lässt mich schliessen, dass mit dem Siebenerschema etwas Grundsätzliches und umfassendes der Menschheitsgeschichte ausgedruckt wird. Massgebend für die Heilsgeschichte sind die Phasen 5, 6 und 7. Die ersten vier Phasen handeln von der Naturgeschichte, die letzten drei von der Heilsgeschichte. Aber alle sieben Phasen sind von Gott gehalten. Es ist das Lamm, das von Anfang an alle die sieben Siegel öffnet und so die Weltgeschichte in Bewegung bringt und sie auch durch seine Würde trägt und leitet.

Das neue Jahr begrüssen
Am Nachmittag gehe ich einmal durch die Stadt und beobachte das Gedränge. Alle wollen noch etwas einkaufen für den Silvester. Die Konditoreien preisen Torten an, an der Strasse verkaufen Frauen Truthähne, auch allerlei Schnickschnack zur Dekoration wird feilgeboten.
Dann telefoniere ich mit der Familie daheim, um auch da ein gutes neues Jahr zu wünschen.
Möge uns das Jahr 2006 irdisch seinen Segen schenken und auch himmlisch nähren.
Im Fernsehen laufen vor allem Unterhaltungssendungen mit Musik, einer grossen Lotterie und Interviews mit berühmten Leuten. Ich schaue und höre die grosse Beatles-Reprospektive auf TR2. Zwei Stunden lang alte Beatlessongs mit Originalfilmen. Die Türken holen die Hippies-Zeit nach.
Bereits werden Bilder ausgestrahlt, wie im fernen Osten das neue Jahr begrüsst worden ist, besonders aufwendig in Australien, Japan und China. Es rührt mich seltsam an, überall, rund um den Erdball die grosse Zahl 2006 beleuchtet und gefeiert zu finden, schliesslich ist es die Zeit, seit dem das Himmelreich durch Christus allen Menschen eröffnet worden ist und mit den Seinen wandelt er seither die Welt durch sein Kommen. Von der Dramatik, welche dieses Kommen noch mit sich bringen wird, handelt die Apokalypse.

Vom Ursprung und Wesen der Apokalyptik
Ich verbringe den Abend etwas einsam, allein in meinem Zimmer. Ich lese einen ganzen Aufsatz über die Entstehung der Apokalyptik von H.H. Rowley. Ich merke dabei, dass ich noch mehr über die damalige Zeit wissen muss. Die politischen Umstände in Palästina in den zwei Jahrhunderten vor Christus sind sehr entscheidend für das Verständnis der Apokalyptik. Das ist der Boden, auf dem die Visionen vom Ziel der Welt entstehen konnten. Ich wusste gar nicht, wie sehr die Juden unter dem Seleukidenkönig Antiochus IV leiden mussten. Da entstand das Buch Daniel und mit ihm die eigentliche Apokalyptik.
Die Apokalyptik ist aus der Prophetie herausgewachsen, beide Elemente der Prophetie - die Vorhersage und das ethisch-religiöse Verhalten - hat sie spezifisch transformiert.
Stets geht es um Politik, um Religionspolitik. Die frühen Propheten haben im 7. Jh. von Chr. noch eine Politik gegen die eigenen Könige vertreten, welche sich von gut bezahlten Hofgeistlichen leiten liessen und mit Bündnispolitik oder Krieg ihre Sache zu verteidigen suchten. Dem gegenüber betonten die frühen Propheten, dass es auf das ethische Verhalten des Volkes ankommt, auf die Gotterfurcht und die Treue gegenüber Jahwe. Bereits haben sie von einem «Tag Gottes» gesprochen, welcher der Wahrheit und Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen wird. Jesaia schildert ein Friedensreich, wo der Löwe mit dem Schaf weiden wird, er sieht die Stämme Israels sich neu um den Berg Zion sammeln: Joel spricht vom Geist, der über alle Menschen kommen wird und Sacharia sieht die Herrschaft Jahwes über die ganze Erde verbreitet. Nach Micha soll die Davidische Linie wieder zu Ehren kommen, aus Bethlehem soll er Gesalbte kommen. Jesaia sieht dies Reis sprossen.
Nach Jahrhunderten der Unterdrückung, dann vor allem unter Antiochus IV, der den Tempel entehrt, die jüdische Religion verbietet und deren Bücher konfisziert, spitzt sich die Lage zu. Die Makabäer wagen den Aufstand. Im Buch Daniel werden in Bildern, die einige Jahrhundert vorher angesiedelt werden, die Szenen der Gegenwart beschrieben. In Nebukadnezar konnte Antiochus erkannt werden. Daniel und die Seinen sind die neuen Helden, die Heiligen, die zu Gott halten und von Gott wunderbar bewahrt werden. Gott ist auf der Seite der wenig Getreuen, die Heidenvölker werden zu Feinden des Glaubens, welche den Getreuen Leiden bringen. Daniel 7 bringt das aus dem Orient stammende Schema der vier Reiche, die einander ablösen. Die vier Reiche werden je durch Tiere aus dem Abgrund dargestellt, das letzte Reich, welches das vierte Reich ablösen wird, kommt von oben durch den Menschensohn, welcher bei Daniel noch eine Idealfigur ist, welche die «Heiligen des Allerhöchsten» repräsentiert. Erst im Wirken Jesu auf Erden hat die Gestalt des Menschensohns individuelle Züge erhalten. Jesus selbst hat sich immer wieder als der Menschensohn bezeichnet, nicht aber öffentlich als Messias. Im Christentum ist dann die Messiasgestalt und der Menschensohn zusammengewachsen. Das kommende Reich wird durch den mit den Wolken kommenden Christus durchgesetzt. Die Apokalypse des Johannes beginnt mit der Erscheinung des Menschensohns. Er gibt den sieben Gemeinden eine Botschaft und zeigt Johannes in Bildern, wie sich auf Erden das verheissene Reich gegen alle Widerstände durchsetzen wird.
Soweit meine Zusammenfassung von der Entstehung der Apokalyptik.
Mir wird der politische Charakter der Offenbarung bewusst. Das Muster des Konflikts ist überzeitlich und lässt sich auch auf andere Religionen übertragen. Gottes Weisungen gelten dem ganzen Leben. Doch die Politik lässt sich da nur bedingt einspannen. Ist die Politik religiös, wird sie leicht korrupt, hörig und anpasserisch. Diesen Vorwurf musste die jüdische Tempelobrigkeit mit ihren Hellenisierungstendenzen in der Zeit vor Christus sich machen lassen, in diesem Sinne spricht auch die Apokalypse von Juden, die eigentlich keine Juden mehr sind, sondern in ihrer Anpassung an die heidnische Politik zur «Synagoge des Satans» geworden sind. Und auch die in den Sendschreiben verurteilt Nikolaiten werden wegen ihrer Synkretismus verurteilt. Denselben Vorwurf, sich der säkularen Welt angepasst zu haben, bringen die Freikirchen gegen über den Landeskirchen vor. Auch hie in der Türkei werfen die religiös Orientierten den staatlichen Religionsvertretern einen Verrat des Islams vor.
Die Apokalypsen kennen aber eine Steigerung dieses Konflikts. Da ist der Staat nicht mehr von der gleichen religiösen Partie, sondern deklarierte Gegenmacht zu der Versammlung der Gläubigen. Der Staat verfolgt die Getreuen und will sie ausrotten, doch Gott wirft sich auf die Seiten der Seinen, sammelt sie im Himmel und rächt die Untaten der Feinde. Gott selber wird den Seinen zur Herrschaft verhelfen, bedingt auf Erden, aber in ewiger Herrlichkeit im Himmel beim Thron Gottes.

Das Ende der Welt in der Sicht des Korans
Übrigens spricht auch der Koran von einer allgemeinen Verschlechterung der Zeiten vor dem Jüngsten Gericht. Das islamische Gesetz werde dann gering geachtet, ja verhöhnt. Dann tritt ein Mahdi - ein von Gott Geleiteter - auf und stellt vorübergehend die Rechtsordnung wieder her. Das ist das goldene Zeitalter der Kalifen. Doch nacheinander stürzen der Antichrist, ein apokalyptisches Tier und die kriegerischen Völker Gog und Magog alle Welt in die Gottlosigkeit. Endlich kehrt Jesus aus den Himmeln auf die Erde zurück, tötet den Antichrist mit seiner Lanze und besiegt Gog und Magog. Er wird sich zum Islam bekennen, heiraten, Kinder zeugen, alles Schweine schlachten, die Kopfsteuer der Nichtmoslems aufheben und sein irdisches Reich des Friedens und der Gerechtigkeit aufrichten. Nach vierzig Jahren wird er sterben und in Medina neben Mohammed beigesetzt werden. Endlich verkündet ein Engel mit der Posaune den Beginn des Jüngsten Gerichts. Alles Leben stirbt, die Welt wird zerstört. Gott schafft eine neue Ordnung, erweckt die Erzengel zu neuem Leben, die Seelen vereinigen sich mit den früheren Leibern. Gott steigt zur Erde und alle sehen ihn so klar wie den Vollmond bei Nacht. Er richtet einen jeden nach dem Buch, in dem die Taten eines jeden stehen. Auf die Verdammten warten Feuer, Kälte, Schlangen, Skorpione, Schläge und Gestank, auf die Seligen kühle Ströme herrliche Fruchtbäume und die schwellenden Brüste der Huris, der bis zu dieser Stunde unberührten Jungfrauen. (Nach Horst Dallmayer: Die sieben Leuchter)

Sonntag, 1. Januar 2006: Sardes / Salihli

Heute Morgen erwache ich sehr früh und schlafe nicht mehr, obwohl ich spät zu Bett ging. Ich nutze die frühen Stunden und fahre zu den Königsgräbern der Lyderkönige, 20 km von hier gelegen. Doch da komme ich in einen dicken Nebel, sodass ich umkehren muss. Denn die riesigen Grabhügel wirken nur aus der Distanz. Die Türken nennen den Ort «Tausend Hügel», auch wenn es nur etwa 40 Grabhügel sind.
Wieder daheim schreibe ich die Texte für den gestrigen Tag. Da mache ich mir Gedanken über das 6. und 7. Kapitel der Johannesoffenbarung, über die Apokalyptik im Allgemeinen und führe auch die Vorstellungen des Korans über das Ende der Welt an.

Die lydischen Grabhügel
Nach dem Mittagessen lese ich im Buch von Rowley über andere Apokalypsen, entscheide mich dann aber, wie die Sonne scheint, nochmals zu den Grabhügeln der Lydier zu fahren. Der Ausflug hat sich diesmal gelohnt. Ich versuche über eine Nebenstrasse zu einem der Grabhügel hinzukommen, bleibe aber mit dem Auto im Matsch stecken. Nur mit Not kann ich rückwärts wieder auf die Landstrasse gelangen.
Dann aber halte ich bei einem Grab gleich an der Strasse. Am Hügel hütet eine Frau Schafe. Ich deute ihr an, dass ich auf den Hügel will. Sie ermuntert mich, da rauf zu steigen. Oben erlebe ich eine berührende Stille, verbunden mit einer wohltuenden Umsicht. Ich setze mich nieder und denke an die Könige und Prinzen der alten Stadt Sardes, die hier ihren Friedhof haben. Frieden ist tatsächlich bis heute über diesen weiten Feldern, in denen die künstlichen Hügel wie Mahnmale des Glaubens oder wie kleine Sinais - Gottesberge - sich erheben. Ich verweile in Andacht und denke über mein Leben nach.
Wie ich nach dem Untergang der Sonne wieder hinunter steige, bringt ein Schaf gerade ihr Junges zur Welt. Die Hirtin beobachtete, wie sich das Mutterschaf leckte. Da geht sie hin und sieht, wie ein Kopf rausschaut. Mit einem geübten Handgriff zieht sie das Schäflein raus, das die Mutter sofort leckt und die Haut, die das Kleine bedeckt, frisst. Auch ein Hirte kommt dazu und zeigt mir den Eingang zu dem Grab. Da hat man wohl vor 50 Jahren Schienen gelegt, um in den Berg zu fahren und allerlei Gegenstände heraus zu transportieren. Die Grabgaben sind jetzt im Museum in Manisa.


Im Teehaus: Welten prallen aufeinander
Wieder in Salihli ist es bereits dunkel. Ich sitze in mein Teehaus und lese weiter in dem Buch von Rowley.
Im Teehaus läuft auch der TV. Immer mal wieder schaue ich rein. Der Kontrast zwischen diesen älteren Männern, die in der türkischen Kultur leben, und den Bildern im Fernsehen, welche Kitzel und Glanz der globalen Unterhaltungsindustrie beschwören, macht mich nachdenklich. Da die Männergesellschaft im Teehaus - seit Jahrhunderten unter sich in orientalischer Gelassenheit. Dann plötzlich im Teehaus das Fernsehen, das ein Fenster zur Welt öffnet.
Es werden Bilder und Szenen gezeigt, wie weltweit und in der Türkei der Jahresübergang gefeiert wurde. Mit den grossen Feuerwerken und Inszenierungen der asiatischen Industriestaaten oder mit Australien kann die Türkei nicht mithalten. Aber da zeigen die Fernsehanstalten, was sie nur immer an modernen Traditionen auftreiben konnten. Aus Istambul werden Strassenszenen gezeigt, wie Champagnerflaschen geöffnet werden, wie junge Leute leicht bekleidet zu Rockklängen tanzen oder in einem Luxusrestaurant die oberen 10'000 gediegen Essen und von Bauchtänzerinnen unterhalten werden.
Der Drang der Türken, dem Wohlstand, den Luxusgütern und dem freien Leben nachzueifern, wird von den Fernsehanstalten richtiggehend angeheizt, weniger von den staatlichen Programmen, als von den Privaten, die auch viel Werbung bringen. Da werden die Produkte der Industriestaaten glorifiziert. Es wird mit dem Stolz und dem Prestigedenken gearbeitet, durch gewisse Produkte Anerkennung zu finden.
Das sind alles Ziele und Besitztümmer, die für die Leute im Teehaus immer unerreichbar bleiben werden. Da sitzt nebenan der junge Mann, der eben noch mit einer Schachtel von Messern, Scheren usw. durch das Teehaus ging, um seine Produkte auf der abendlichen Tour anzubieten. Manchmal scheint es mir, dass die Leute hier ausser dem Handel und dem Verkauf keine anderen Ideen haben, wie zu Geld zu kommen ist.
Die Versuche der gläubigen Muslime, in diesen schnellen gesellschaftlichen Veränderungen die Notbremse zu ziehen, scheinen mir im Moment eher hilflos. Zwar mag es ein grosses Potential von älteren Menschen geben, welche der «Erlebnis- und Fungesellschaft» Einhalt gebieten wollen kraft der Grundsätze des Islams, aber sie stehen auf verlorenem Posten. Die Jugend und die Medien ziehen auf die andere Seite. Sie wollen eine moderne, frei Gesellschaft und nehmen die Nebengeräusche in Kauf.


Die Bedeutung der Apokalyptik in biblischer Zeit

Nun aber zu dem Buch, das ich im Teehaus lese. Hier behandelt Rowley die Apokalyptik im Allgemeinen. Es packt mich richtig, sodass ich gegen vier Stunden im Teehaus sitze und lese: Über andere Apokalypsen vor und nach Christi Geburt. Da treffe ich auf viele Bilder und Elemente, die auch in der Johannesoffenbarung vorkommen. In einigen Apokalypsen sind gewisse Bilder ausführlicher entfaltet als bei Johannes. Ich kann die Entwicklung der apokalyptischen Themen verfolgen: Die Ausbildung der Engellehre, die Ideen von Weltzeitaltern, die Schichtung der Himmel, das Gegenreich und der Gegenmessias. Aufschlussreich sind die verschiedenen Ideen von der Erneuerung des Reiches und der Rolle des Messias. Generell pendeln die Anschauungen zwischen einer irdisch vorgestellten, nationalen Weltherrschaft der Juden, welche die getöteten Märtyrer dank ihrer Wiederbelebung oder Auferstehung miterleben, oder es werden wunderbare Jenseitswelten geschildert, welche den Gerechten die auf Erden nicht mögliche Fülle verspricht.
Spannend wird es da, wo Rowley die «Kleine Apokalypse» behandelt, welche Jesus in den Mund gelegt wird (Markus 13). Jesus hält diese Rede über die Endzeit, wie er vor Jerusalem mit den Jüngern auf den Tempel blickt. Es werde da kein Stein auf dem andern bleiben. Kriege, Abfall vom Glauben und «Gräuel der Verwüstung» sind die Zeichen des anbrechenden Endes, wo mit dem Kommen des Menschensohns ein Gericht über die Welt ergeht und der Tag Gottes sich offenbart. Wie weit diese Reden über die Endzeit tatsächlich auf Jesus zurückgehen, ist umstritten. Für Rowley ist es klar, dass Jesus sich als der Menschensohn des Danielbuches verstanden hat. «Der Menschensohn war meiner Meinung nach ursprünglich eine Kollektivvorstellung; er wurde dann in späterem Denken individualisiert zur Person dessen, der Führer und Repräsentant des Kollektivs sein sollte und der die Sendung des Kollektivs in besonderer und erhabener Weise in sich selbst verkörperte und ausdrückte. Da Jesus als Jude mit diesem charakteristischen Zug des hebräischen Denkens vertraut war, konnte er, wenn er vom Menschensohn sprach, sowohl an sich selbst als Menschensohn denken, als auch gleichzeitig an das Reich, das er repräsentierte, für das der Menschensohn Symbol war. Jesus war als Menschensohn gekommen, den Menschensohn zu bringen, das ewige Reich der Heiligen zu stiften. Aber von dem Augenblick an, da Jesus zu der Erkenntnis kam, dass er auch der leidende Gottesknecht sei und dass diese beiden bis jetzt völlig getrennten Gestalten in ihm nun verbunden würden, von diesem Augenblick an wusste er, dass er in seinem irdischen Wirken nicht die Vollendung des von Daniel 7 erhofften ewigen Reiches repräsentieren könne. Jesus war also gekommen, als leidender Gottesknecht das Reich durch Leiden zu gründen, aber wenn er den Menschensohnanspruch nicht völlig aufgeben wollte, wenn er die Vorstellung vom Menschensohn als Herrlichkeitsgestalt nicht verkehren wollte, dann musste er daran festhalten, dass die Vollendung des Reiches glorreich sein werde, dass es mit Autorität und Macht ausgestattet sein werde. Daher muss der Begründung des Reiches in seinem Leiden die Vollendung in Herrlichkeit folgen.» Soweit Rowley (Seite 110) zum Selbstverständnis Jesu. Er führt dann einige Stellen an, wo Jesus vom künftigen Kommen des Menschensohns spricht. Da komme das kollektive Verständnis noch zum Ausdruck, man könne darin auch das Kommen des Reiches sehen. Wenn die kleine Apokalypse vom Kommen des Menschensohns in den Wolken mit grosser Macht und Herrlichkeit spricht, so sei das ein Symbol für das kommende Reich in seiner Vollendung. Jesus ist auch als Auferstandener im Geist bei den Seinen. Aber das Reich drängt zur Vollendung im zweiten Kommen des Menschensohns Repräsentant und Haupt der alles verwandelnden Neuen Schöpfung.
Mit diesem Kommen in den Wolken des Himmels beginnt die Johannesoffenbarung.

Montag, 2. Januar 2005: Sardes /Salihli

Nochmals Siegel, Posaunen und Zornschalen
Die Studien über die Apokalyptik im Allgemeinen habe ich in diesen Tagen aufgenommen, weil ich mit der Deutung der sieben Siegel nicht vorankomme. Gestern machte ich mir meine eigenen Gedanken über die drei Plagenreihen, welche mit den sieben Siegeln, den sieben Posaunen und den sieben Zornschalen drei mal in der Johannesoffenbarung ansetzen. Die Exegeten finden da wenig Sinn, zumal wenn sie in den Siebenerzyklen bloss die Plagen sehen, welche die Endzeit ankünden.
Rowley erklärt sich die drei Zyklen folgender Massen:
«Man hat viel erörtert, ob diese Plagenreihen parallel oder suksessiv aufzufassen sind. Im folgenden Ablauf der Visionen sind sie selbstverständlich suksessiv. Aber das gehört wahrscheinlich zur Darstellungskunst des Verfassers. Gerade wie wenn bei der Besteigung eines Berges der Gipfel nahe zu sein scheint, die nächste Anhöhe aber doch nur den Blick auf eine weitere freigibt, die, wenn man sie erreicht hat, vielleicht wiederum einen andern Gipfel vor Augen rückt, so bietet der Autor dieser Apokalypse dem Leser diese drei aufeinander folgenden Plagenreihen. Jede verspricht, zur Schlussszene des Dramas zu führen, dient aber doch nur dazu, die Spannung zu erhalten und den Ablauf vor dem Schleppen zu bewahren. Darüber hinaus wird das Gefühl für die ungeheure Gewalt der Schlussszene gesteigert, die man erfährt, wenn man diese endlich nach der vorausgegangenen dreifachen Plagenreihe erreicht.»
Am Abend beschäftige ich mich skizzierend und zeichnend mit dem Vergleich dieser drei Plagenreihen und versuche sie von den Bildern her zu differenzieren, aber auch Analogien zu entdecken. Die Siegel öffnet das Lamm, die Posaunen werden vor dem Altar den Engeln verteilt, die Zornschalen kommen aus dem Heiligtum selbst. Das sind Nuancen, die entschlüsselt werden müssen. Ebenso frage ich mich, was die auslösenden Symbole sagen: Siegel öffnen, Posaunen blasen, Zornschale auslehren. Auch das sind klar unterschiedliche Bilder, die in der Bildsprache etwas aussagen.
Ich lese dann die 3 untereinander aufgezeichneten siebenfachen Bildreihen von oben nach unten und von links nach rechts. Da ist mir auch die Übersicht zu den 22. Kapitel eine Hilfe. Da sehe ich die 7 x 7 Phasen und Zyklen in einem Bild. Die Siegel sind hier die 2. Phase, die Posaunen die 3. Phase und die Schalen die 5. Phase. Dann offensichtlich spiegeln auch die 7 Phasen der ganzen Apokalypse den Geschichtsplan der Erde. Die Mitte ist die himmlische Frau, die das Kind gebiert und wo das Meer den Drachen hervorbringt. Der Zyklus folgt auch bis zum Zusammenprall der Mächte (5. Stufe), dem Gericht (6. Stufe) und der neuen Welt (7 Stufe). In diesem Sinn kann der Schalenzyklus der 5. Stufe, dem Zusammenprall der Mächte, zugeordnet werden.

Während bei den Siegeln, den Posaunen und den Zornschalen die Bilder 1 bis 4 jeweils natürliche Katastrophen zeigen, steigert sich in den Bildern 5, 6 und 7 die Auseinandersetzung zwischen den Mächten so, dass sie stets konkreter, irdischer, endzeitlicher werden.
Zu den Bildern 1 bis 4: Hier sind natürliche Leiden und die Schöpfung im Blick. Die vier Siegel bringen durch Reiter Sieg, Krieg, Teuerung und Pest. Die Posaunen zerstören jeweils einen Drittel der Erde, des Meeres, der Flüsse und der Gestirne. Genauso, aber bereits im Blick auf menschliches Leiden, die Zornschalen. Das getroffene Land bewirkt Geschwüre, das getroffene Meer und die Flüsse ein grosses Sterben, ebenso die getroffene Sonne durch die Hitze. Die Elemente Land, Meer, Flüsse und Gestirne haben eindeutig einen Bezug zu den ersten vier Schöpfungstagen in Genesis 1. Das zeigt, dass mit jedem Plagenzyklus die ganze Schöpfung im Blick ist. Das gilt auch für die 5 Stufe (Wassertiere und Vögel), der 6 Stufe (Tiere und Mensch), 7. Stufe (Sabbat, Ruhe und Feier Gottes).
Zum jeweils 5. Bild: Bei den Siegeln erscheinen die Getöteten Zeugen vor dem Altar und bitten um Rache. Bei den Posaunen fällt ein Stern vom Himmel, der die Unterwelt öffnet und Krieger hervorbringt. Bei den Zornschalen zeigt das 5. Bild die Zerstörung des Throns des Satans.
Zum jeweils 6. Bild: Überall kommen die vier Engel vor, welche die Winde an den vier Ecken der Welt bedienen. Beim 6. Siegel werden sie nach dem Erdbeben zurückgehalten, damit die 144'000 versiegelt werden können und sich ein Blick auf die grosse Scharr der Heiligen auftun kann. Beim 5. Bild der Posaunen werden die Engel losgelassen, sodass die Krieger aufziehen. Beim 5. Bild der Zornschalenreihe wird der Euphrat ausgetrocknet, sodass die von Dämonen angeführten Heere sich bei Harmagedon sammeln.
Zum jeweils 7. Bild: Bei den Siegeln die Stille, aus der die sieben Posaunen hervorkommen. Bei den Posaunen der offene Tempel, aus dem die Zornschalen kommen. Bei den Zornschalen der Fall Babylons.

Nach solchen Quervergleichen stellt sich dann die Frage, wie diese hintereinander, also suksessiv aufgeführten Plagenzyklen sich zu einander verhalten, wie sie gedeutet werden sollen.

Entwicklungsdenken und Apokalyptik
Hier stosse ich an die Grundfrage, die mich seit Tagen umtreibt. Es geht um den Zusammenprall des Entwicklungsdenkens und der Apokalyptik. Das Entwicklungsdenken beschreibt überblickend und in ruhigen Zeiten die Gesetze des Werdens und Vergehens. Die Apokalyptik schaut den Abbruch der Übung. Gott hat lange genug zugeschaut und der Entwicklung Raum gegeben. Jetzt greift er ein und reisst den Schleier der Täuschungen ab. Die eitle Welt muss fallen im hell einfallenden Licht des kommenden Tages Gottes, der umschmelzt, was keinen Bestand hat und hervorbringt, was Gott seit jeher verheissen hat. Uns ist die Apokalyptik fremd, da für uns die Zeiten andauern und die Welt stabil erscheint. Wir neigen dem Entwicklungsdenken zu. Die Kunst besteht wohl darin, diese Sichtweisen auf einander zu beziehen und die in der Apokalyptik in schnellen Bildfolgen offenbare Endzeit wie ein Totenbuch der Erde zu lesen. Auch die Totenbücher der Ägypter oder der Tibeter zeigen Bilder von der totalen Umwandlung, die mit dem Tod eintreten. Die Lebenden sollen diese Bilder studieren, um die Welt und das Leben in ihren hintergründigen und bleibenden Dimensionen schon hier in der Lebenszeit zu fassen. So will uns die Apokalypse darauf vorbereiten, hier mit den Kräften zu leben, die Bestand haben und in der grossen Auslössung in die Neue Schöpfung übergehen.
Ich erinnere mich an das Schema, das die indische Auffassung von Weltaltern zeigt ( >>> zu der indischen Lehre der sieben Zeitalter). Da haben wir eine klassische Entwicklungslehre. Die Menschheit verfällt mit jedem Zeitalter in grössre Distanz zu Gott, bis im untersten, dunkeln Kali-Yuga die Wende zur Rückkehr kommt. Diese Rückkehr ist von dem Brahma schon eingeplant. Die Menschen nähern sich über viele Leben wieder bessern Zeiten, wo sie die Wahrheit eher sehen und ihr Karma zum positiven läutern können.
Genau diese Entwicklungsidee hat die Anthroposophie Rudolf Steiners mit dem Christentum, mit der Idee der Gnade durch Christus, verbunden. Dank Christus und seinem Opfer ist ein Wiederaufstieg der ganzen Evolution möglich. Durch vielfache Verchachtelungen von Siebnerrhythmen beschreibt Steiner in der «Geheimwissenschaft» die Evolution und die Involution der Erde in jeweils sieben Verkörperungen. Jede Erdverkörperung hat selber wieder sieben Phasen und jede der sieben Phasen hat sieben Zeiten. So kommt er leicht zu drei mal sieben Zyklen, welche die Auflösung der Welt zeigen. Genau diese auf verschiedenen Stufen sich abspielenden sieben Phasen der sich auflösenden Welt sieht Steiner in den 7 Siegelzyklen, den 7 Posaunenzyklen und den 7 Zornschalenzyklen gespiegelt. Ich zitiere Fred Poepping: «Diese grosse Erdentranssubstantiation ist es, die uns die Apokalypse in ihren Symbolen beschreibt. In diesem Sinne entsprechen:
die Sendschreiben der physisch-materiellen Erdenentwicklung, wie sie im engeren Sinne in den sieben nachatlantischen Kulturperioden sich abspielen.
Die Siegel der sich verätherisierenden Erde, die zum astralischen Zustand übergeht.
Die Posaunen der vom Astralischen zum geistigen Zustand aufsteigenden Erdenmenschheit.
Die Zornschalen der vergeistigten Erde, die sich zum nächsten Planeten, dem Jupiter, hinüberentwickelt.
… Dem Inkarnationsprozess der sich ins Stoffgebiet verkörpernden Erdenmenschheit folgt der Exkarnationsprozess der sich wieder vergeistigenden Erdenmenschheit, der heute bereits begonnen hat, nachdem der tiefste Punkt der Verfestigung ins irdische überschritten ist.» (Poepping, Fred: Die Apokalypse des Johannes als Schulungsbuch, Verlag die Kommenden, Freiburg i. BR.)
So sehr mich diese Sicht überzeugt und besticht, habe ich meine Bedenken, zumal mich die Theologen belehrt haben, dass es hier immer nur um Vorzeichen zur Endzeit geht.
Doch als Bilder, welche die Endzeit einleiten, repräsentieren die Zyklen durch die Zahl Sieben doch eine gewisse Ganzheit, welche jeweils das Ganze der Schöpfung im Hinblick auf ein reinigendes Tun Gottes entfalten. Das Buch mit den sieben Siegeln in Gottes Hand ist die ganze Erdgeschichte, die Posaunen, die aus dem 7. Siegel entspringen, behandeln dieselbe Erdgeschichte aus dem Blick der Zwischenwelt, dem Altar zwischen Himmel und Erde. Die Posaunen haben etwas Aufweckendes. Als Bilder beim Gericht zeigen sie an, dass jetzt ein Aufwachen in andern Sphären und Werten angesagt ist.
Die Zornschalen zeigen eine weitere Stufe der Auflösung. Sie kommen aus dem innern des Tempels dienen dazu, Gott Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und alles Übel durch Strafen zu läutern und den Tempel rein und frei zu machen.
Doch wie weit dieses Schema im Einzelnen Stand hält, will ich prüfen, indem ich die einzelnen Bilder noch genauer analysier und schauend zu lesen versuche.

Die Beschneidung
Zum Abchluss von Salihli noch ein Bild aus einem Kleidergeschäft. Es zeigt das Kleid, das die Burschen für ihre Beschneidung erhalten. Wei ein junger Prinz dürfen sie sich dann fühlen, wenn sie so auch ins Fleisch gezeichnet Mitglied der muslimischen Gemeinschaft werden. Die Beschneidung hat Abraham (?) - oder erst Moses ? - eingeführt als Zeichen für jene, die zu dem Volk Gottes gehören. Als die Apostel die Griechen zum Glauben an Jesus brachten, stellte sich die Frage, ob die Beschneidung nötig ist für das neue Gottesvolk, die Christen. Man hat auf sie verzichtet. Paulus spricht von der Beschneidung im Herzen.
Die Muslime aber haben dieses Zeichen übernommen von den Juden und praktizieren sie durchgehend.

Wie ich im Empfangsraum meines Hotels die letzten Meldungen aus Salihli (Sardes) auf den Server bringe, zeige ich das letzte Bild mit dem Festkleid für das Beschneidungsfest dem Hotelmanager - der übrigens ein emanzipierter Mann ist, gut Englisch spricht und selber Hand anlegt beim Putzen. Er erzählt mir von der Beschneidung seines Sohns und über das Brauchtum im Allgemeinen. Ein solches Kleid würden sich nur Reich leisten können. Das Beste sei die Beschneidung bei der Geburt. Ihr Kind sei schon am 7. Monat geboren. Da wollte man es nicht belasten mit der Operation. Der Bursche war etwa 7 Jahre alt, als er vom Hausarzt des Grossvaters mit einer kleinen Operation beschnitten wurde. Der Vater hat das ganze Geschehen mit der Kamera aufgenommen und zeigt mir auf dem Computer den Film in guter Qualität. Er dauert etwa eine halbe Stunde. Auch alle Gespräche sind hörbar, wie der Knabe fragt, Angst hat, beruhigt wird, Erklärungen bekommt usw. Am Schluss steht er da in einem weissen Hemdchen, wie einer der seligen Heiligen in der Apokalypse.

Abschied von Norbert, dem Hotel und von Salihli
Gegen zwei Uhr kommt Norbert. Wir essen gemeinsam gleich um die Ecke bei einem Bekannten von ihm. Norbert mag die Familie. Ein Sohn arbeitet derzeit im Lokal. Er studiert in der nördlichsten Stadt der Türkei Biologie.
Norbert macht mich, wie ich mit meinem Taschentuch die Nase putze, darauf aufmerksam, dass hier viele ungeschriebene Gesetze herrschen. Die Nase putze man sich nicht in einem Lokal. Man gehe dazu raus. Beim Abschied umarmen wir uns links und recht nach türkischer Sitte und versprechen einander, im Kontakt zu bleiben.

Gegen 4 Uhr fahre ich los, nachdem ich für die 7 Tage 90 Liras bezahlt habe. Man hat mir geholfen, das Gepäck zu tragen und ins Auto zu bringen. Es gehe mit dem Auto etwa 45 Minuten bis Alasahir, ruft mir der Hotelbetreuer nach. Und ich musste versprechen, wieder zu kommen.

 



 





 

 

 



 

 

 

 
 
Impressum | Kontakt | Copyright