Die Anfänge: Von der vorkonstantinischen Kirche ist nicht bekannt, dass Motive der Johannesoffenbarung dargestellt worden sind. Mit dem Sieg des Christentums im 4. Jh. werden Einzelmotive herausgegriffen, vor allem die Theophanien, die Darstellung der Erscheinung der göttlichen Herrlichkeit Christi. Diese Textstellen wurden in der Liturgie verwendet - weit eher, als die Katastrophenmotive. Die Himmelsvisionen waren auch für die Kirchenväter von grosser Bedeutung. Die wichtigsten frühchristlichen Motive sind die Zeichen Alpha und Omega, das Gotteslamm inmitten der vierundzwanzig Ältesten und die Darstellung der vier Tiere, die schon sehr früh auf die vier Evangelisten gedeutet wurden. Diese Motive entwickeln ein Eigenleben und werden zu den bedeutendsten Themen der christlichen abendländischen Kunst überhaupt.
Die Wurzeln der zyklischen Apokalypse-Illustration werden im 5./6. Jahrhundert vermutet. Beda erwähnt um 680 einen monumentalen Apokalypsezyklus, der nicht mehr existiert.
Das Frühmittelalter: Die beträchtliche Zahl von illustrierten Apokalypse-Handschriften aus dem Frühmittelalter werden von den meisten Gelehrten in drei voneinander unabhängige Gruppen geteilt, die je ihre Urbilder haben müssen.
1. Die spanische Gruppe: Diese stilistisch geschlossenen und häufig vertretenen Illustrationen gehen auf den Kommentar des asturischen Mönches Beatus de Liébana (8. Jh.) zurück. (z.B. Facundus Apokalypse)
2. Die gallische Gruppe: Die Gruppe um die Apokalypsezyklen von Trier und Cambrai (8./9. Jh.), die im nordostfränkischen Raum gewirkt hat und sich auf eine hypothetische altchristliche Vorlage aus dem 5./6. Jh. bezieht.
3. Die italienische Gruppe: Sie fusst auf einer verschollenen italienischen altchristlichen Vorlage des 5./6. Jh. und hatte
Einfluss bis nach Oberdeutschland. Dazu gehören die Apokalypse von Valenciennes und die Bamberger Apokalypse der Reichenauer Schule (um 1000). Die Illustrationen sind einfach, klar, textnah und oft monumental in der Anordnung.
Eine späte (12. Jh.) Variante dieser Gruppe ist ein Beatuskommentar aus der Staatsbibliothek Berlin.
Das Hochmittelalter: Die Apokalypse-Illustrationen entwickeln einen relativ homogenen gotischen Stil. Hier ist vor allem die «englisch-französische» Illustrationsgruppe des 13. bis 15. Jh. zu nennen, aus der dann die spätmittelalterliche deutsche Illustration des Stoffes hervorgegangen ist.
Zudem haben die Schriften von Joachim von Fiore (1130–1202) die Illustratoren zu neuen Entwicklungen angeregt. So schrieb der Franziskaner Alexander von Bremen zwischen 1235 und 1248 einen Kommentar aus dem Geist Joachims, um den sich eine eigene Illustrationstradition entwickelt hat. Von späterem Einfluss waren auch die Offenbarungsillustrationen in der Bible moralisée.
Von grosser Bedeutung für die Folgezeit war der im 13. Jh. entstandene englische Apokalypsezyklus, ausgehend von der Miniatorenschule von Saint Albans. Zunächst als Bilderbuch (ca 90 Szenen) mit wenig Text konzipiert, schliesst dieser Zyklus eine ganze Reihe von Bildern aus der Johannes-Vita ein und enthält auch Kommentare. So wurde die Tradition des Nebeneinanders von Text, Bild und Kommentar begründet.
Später versucht man, den ganzen Text der Offenbarung in den Bilderzyklus einzufügen, was das Zusammenziehen von Szenen in einem Bild befördert hat.
In das Hochmittelalter gehört auch die grossartige Visualisierung apokalyptischer Motive auf Wandteppichen (Angers 1373–80) oder auf Kirchenportalen und Kirchenfenstern. In St.Denis und Chartres begonnen setzt sich diese Kunst fort über Reims, Amiens und Beauvais bis hin zum Kölner Dom. Angestrebt wird ein Abbild des himmlischen Jerusalems.
Das Spätmittelalter: Um 1430 entstanden in Holland die sog. Blockbuchapokalypsen. Sie vereinigen auf etwa 50 Tafeln je zwei Darstellungen mit Auszügen aus dem Bibeltext und Kommentaren.
Der Buchdruck ermöglichte den Druck von volkssprachlichen Bibeln. Die sog. Kölner Bibel (um 1478) brachte erstmals neun Bilder zur Apokalypse, die von der englisch-französichen Bildtradition abhängig sind. Der Bildinhalt der ganzen Offenbarung wird auf neun Holzschnitte mit 23 Szenen zusammengedrängt. Auf die Kölner Bibel gehen auch die Bilder in mehreren volkssprachlichen Bibeln zurück, etwa die der Grüninger-Bibel aus Strassurg von 1485.
Im Jahr 1498 gab Albrecht Dürer im Selbstverlag seine Apokalypse mit 15 Grossfolioblättern mit dem Bibeltext auf der Rückseite heraus. Dürer hat eine konzentrierte und dynamische Bildvision geschaffen, die in Ordnung und Themenauswahl von souveräner Freiheit zeugt. Er illustrierte nicht, sondern bot eine unüberbietbare Gesamtschau.
Dürers Bruch mit der Tradition wurde später nur teilweise aufgegriffen. Lucas Cranachs 21 Holzschnitte zur Offenbarung in Luthers Neuem Testament von 1522, die auf Dürer zurückgreifen, setzen die visionäre Autonomie Dürers nicht fort, sondern kehren zurück zur Illustration. Von Cranachs Bildern geht die Illustration der Folgezeit aus, von der Schweiz über Frankreich, die Niederlande und Böhmen bis hin zum Athosberg. Cranachs Bilder sind nicht wie jene von Dürer Vision einer Untergangszeit, sondern – dem Geist der Reformation folgend – reine Textillustration im Dienste der Bibelauslegung. Davon inspiriert sind auch die Holzschnitte von Gehrung und Hans Holbein aus Basel, welche die Zürcher Bibel von 1531 aufgenommen hat.
Renaissance, Barock: In der Zeit der Gegenreformation tritt die Apokalyptik zurück. Das Tridentinische Konzil fordert 1563 eine massenwirksame Kunst, die anschaulich und nachvollziehbar die Hauptgeheimnisse der Kirche formuliert. Dazu eigenen sich die esoterisch und verschlüsselt wirkenden Bilder der Apokalypse nicht. Eine Ausnahme bildet das himmlische Jerusalem. Es wird in vielen Barockkirchen als zentrales Leitmotiv des Kirchenbaus behandelt, so zum Beispiel im Dom von St.Gallen.
Vereinzelt werden in dieser Zeit Motive der Apokalypse von den grossen Meistern aufgegriffen, so der Engelsturz oder die himmlische Jungfrau.
Neuzeit: Im 19. Jh. sind in der Kunst zur Apokalypse kaum neue Impulse zu finden. Die populäre Abwandlung der alten Motive läuft aus und kommt oft in die Nähe des süsslichen Kitsches. Ende des 19. Jh. und im 20. Jh. befreit sich die Auseinandersetzung mit der Apokalypse
aus den Abhängigkeiten von Tradition und Kirche, wie das etwa in den Holzschnitten von A.F. Cosyns sichtbar wird.
Die beiden Weltkriege haben die Aktualität der Apokalypse erffahren lassen. Die Holzschnitte von Karl Rössing sind eine direkte Verarbeitung des Zweiten Weltkriegs. Hier werden die alten mythischen Bilder plötzlich transparent für reale Mächte in der Geschichte. Max Beckmanns 27 Lithographien zur Johannesoffenbarung zeigen eine völlig eigenständige, neu geschaute Verarbeitung der Motive. Damit weist er den Weg zu einer modernen Auseinandersetzung mit der Apokalypse, welche nicht mehr bloss die alten Motive abwandelt und dabei einer längst erloschenen Metaphysik folgt. Eine neu, mit der Gegenwart korrespondierende Metaphysik haben wir allerdings noch nicht. Doch einer solchen wird nicht zuletzt durch die Kunst der Weg bereitet, wenn im inneren Nachvollzug der Offenbarung der irdische Mensch als Subjekt vor Gott nicht ausgeklammert wird. Das Zeitalter des Individualismus führt zum Bruch mit der Tradition und fördert die Vereinzelung, doch wo der Einzelne sich im Einen findet, wird die Tradition in neuem Reichtum aufleuchten. (10.11.05)
Quellen für den oben stehenen Text:
-
Martin, Peter: Martin Luther und die Bilder zur Apokalypse; Wittig 1983
- Zink, Jörg: DiaBücherei Christliche Kunst, Band 24; Verlag am Eschbach, 1988