Schon mit dem Bekanntwerden der Johannesoffenbarung in der frühen Kirche war man sich über den geistlichen Wert dieses Buches uneinig. Sollte ein so schwer verständliches und esoterisch wirkendes Werk überhaupt in den neutestamentlichen Kanon aufgenommen werden? Viele Bilder wirkten für die griechische Umwelt exotisch, fremd und «judaisierend». Andererseits passte die Johannesoffenbarung wunderbar in den Kanon der Heiligen Schriften. Die Bibel beginnt mit der Schöpfung, führt vom alten zum neuen Bund und durch die Apostelgeschichte und die Paulusbriefe zur Gründung der christlichen Gemeinden. Die Johannesoffenbarung, welche den Gang der Welt bis hin zu einer neuen Schöpfung und zur Herabkunft des himmlischen Jerusalems beschreibt, sollte den Kanon krönen und abschliessen. Diese vor allem im Westen vertretene Meinung setzte sich durch.
Damit aber war die Schwierigkeit der Auslegung keinesfalls behoben. Im Gegenteil. Die Johannesoffenbarung war nun eine Heilige Schrift im Kanon der Christenheit, die zudem beanspruchte, eine Offenbarung Jesu Christi zu sein.
Seither zeigt kein anderes biblisches Buch eine so grosse Vielfalt an Verständnisweisen wie die Johannesoffenbarung, denn die Visionen lassen sich nicht eindeutig erklären. Die aus den alten Kulturen oder aus den Tiefen der Seele stammenden Bilder sind offen für viele Tendenzen, Stimmungen und Bedürfnisse.
Immer wieder hat die Johannesoffenbarung auch «Nonkonformisten» Sprache verliehen: den Kritiker der Macht, den Schwärmern, Enthusiasten und Untergangspropheten. Das Buch birgt politischen Zündstoff, den die Grosskirchen gerne zu entschärfen versuchen durch spiritualisierende, zeitgeschichtliche oder psychologische Erklärungen. Luther verhehlte nicht, dass er das Buch lieber nicht im Kanon gehabt hätte, Zwingli und Calvin haben alle möglichen Bücher der Bibel ausgelegt. Von der Apokalypse haben sie die Finger gelassen.
Bis heute sind es eher Freikirchen, Fundamentalisten oder Esoteriker, die sich emphatisch und lautstark zum Sinn der Johannesoffenbarung vernehmen lassen.
Neuerdings findet die Offenbarung des Johannes auch in den aussertheologischen Wissenschaften, in der Kunst und Kultur ihre Interpreten und Kommentatoren.
An dieser Stelle der Internetplatform (siehe Navigation links) sollen diese verschiedenen Sichtweisen kurz vorgestellt werden.