Auf Grund eines Mayakalenders diskutiert heute die halbe Welt über einen möglichen Weltuntergang am 21.12.2012. Vom Ende der Zeit spricht auch das letzte Buch der Bibel, die Johannesoffenbarung. Doch das Ende ist dort nicht als einmaliges Ereignis in der Zeit beschrieben. Es ist vielmehr ein prinzipielles Gericht über alles, was vor Gott keinen Bestand hat. Und dieses Gericht dauert an bis zur Verwandlung der alten in die neue Schöpfung.
Von Andreas Schwendener, St.Gallen
Apokalypse bedeutet nicht Weltuntergang. Apocalypsis ist das griechische Wort für Offenbarung: Jemandem wird etwas offenbart. Jemand erhält Einblick in Dinge, die sonst verborgen sind. Im Fall der biblischen Apokalypse ist dies Johannes, der in einer Entrückung im Geiste längere Bilderfolgen schaut. Die Visionen geben Johannes Einblick in die Kräfte und Mächte, welche zwischen Himmel und Erde die Dynamik der Geschichte bestimmen.
Schöpfung und Untergang
In den Bildfolgen der Apokalypse, die einem Siebenerrhythmus folgen, ist der Weltuntergang ein Thema, aber er ist da kein einmaliger, zeitlich festlegbarer Akt in der Geschichte. Vielmehr geht in der Sicht der Apokalypse die Welt fortwährend unter, wie sie auch stets geschaffen wird. Die Apokalypse zeigt, wie die schöpferischen Kräfte, die zwischen Himmel und Erde wirken, vom Menschen immer wieder missbraucht und ins Zerstörerische gewendet werden. So entstehen Lügengebilde, die vor Gott keinen Bestand haben und darum fallen müssen. Inbegriff der menschlichen Eitelkeit und Masslosigkeit ist die Stadt Babylon. Sie muss untergehen und Platz machen für das himmlische Jerusalem.
So ist das Thema «Weltuntergang» zwar stets präsent, aber verteilt über alle 22 Kapitel der Apokalypse. Da gibt es Gottlosigkeit, Kriege, Hungersnöte, Erdbeben, Seuchen usw., selbst die Gestirne am Himmel geraten aus den Fugen. Doch stets geht das Leben weiter. Die Menschheit wird nicht ausgelöscht. Die Menschen erhalten immer neue Chancen, wobei in der Sicht der Apokalypse der grössere Teil der Menschheit diese neuen Chancen schlecht nutzt. Denn die Verführungen sind zu stark.
Anbetung des Tieres
Hier liegt wohl einer der grossen Unterschiede zu der aktuell behandelten Debatte um Weltuntergänge, bei denen es in der Regel um ein Umglück geht, das die Erde von aussen trifft und sie zerstört. In der Apokalypse ist der Mensch involviert. Die Katastrophenszenarien haben einen inneren Zusammenhang zum Handeln der Menschen. Der Mensch muss sich entscheiden, ob er Gott die Ehe gibt oder ob er den widergöttlichen Mächten folgen will, die in den beiden Tieren aus dem Abgrund ihre stärkste Verkörperung finden. Diese erscheinen, nachdem der Satan auf die Erde geworfen wurde. Alle Menschen sollen sich vor dem ersten Tier, das mit politischer Herrschaft zu tun hat, niederwerfen. Das zweite Tier, das die göttliche Macht oder die Religion imitiert, hilft dem erste Tier. Es verführt mit Wundern die Menschen dazu, dass sie das erste Tier anbeten. Fortan dürfen dann nur noch die «Gläubigen» einkaufen, die das Mahlzeichen 666 auf den Händen oder der Stirne haben.
Mahnung zur Wachsamkeit
Solche Schauungen, die wie Alpträume daherkommen, wollen nicht schockieren oder zu wilden Spekulationen anregen. Sie mahnen zur Vorsicht, zum Misstrauen gegenüber allem, was selbstherrlich daherkommt und sich als wahres Leben anpreist. Auch wenn die beiden Tiere der Welt Wohlstand und Grösse bringen, so wird ihre Herrschaft keinen Bestand haben. Der Untergang der grossen Babylon (Kapitel 18) ist verbunden mit einer rührenden Klage all derer, die ihren Reichtum verlieren. So haben alle Untergänge in der Apokalypse das Ziel, den Menschen zur Verantwortung zu rufen. Im Zusammenhang mit der Apokalypse sollte darum statt von einem Weltuntergang eher von einer Wahrung oder einem Gericht, von Läuterung und Verwandlung gesprochen werden. Denn die Katastrophen haben keinen Selbstzweck, sie wollen den Blick frei machen auf das grosse Ziel, das in allem wirksam ist, auf die Verheissung einer neuen Schöpfung.
Kollektives Totenbuch
Die Apokalypse ist ein schwieriges Buch, das vielfach missverstanden wird. Fundamentalisten machen daraus einen Fahrplan für das Kommen Jesu und das Gericht. Aufgeklärte Leute erklären alles, was mit dem antiken metaphysischen Weltbild zusammenhängt, für zeitbedingt. So wird die Apokalypse zu einem harmlosen Trostbüchlein für die ersten Christen.
Demgegenüber sollte die Apokalypse als eine Art esoterische Literatur verstanden werden. Wie wir nicht wissen, wie unser Leben im Tod weitergeht, so wissen wir auch nicht, was von Himmel und Erde übrig bleiben wird. Die Apokalypse aber will genau dieses geheime Wissen offenbaren.
Die Apokalypse ist ein Art Totenbuch für die Menschheit. Wie das tibetanische Totenbuch dem Verstorbenen helfen soll, den Weg durch die jenseitigen Sphären zu finden, gibt die Apokalypse eine Initiation in die Kräfte und Gewalten, welche die Auflösung und Neuschöpfung von Himmel und Erde bestimmen. Darum ist die Apokalypse kein sanftes Trostbuch für verfolgte Christen, sondern ein Instrument, die zerstörerischen und widergöttlichen Mächte in der Welt – in der Politik, Wirtschaft oder Religion – zu erkennen. (Mögliches Ende hier)
Das Ende ist nahe!
Auch Jesus war in gewisser Weise ein Apokalyptiker. Die Evangelien legen ihm eine «kleine Apokalypse» in den Mund, und zwar vor seiner eigenen Apokalypse, der Kreuzigung. Bevor er selber durch das Leiden geht und im Tod zu neuem Leben findet, blickt er auf die ganze Schöpfung, auf Himmel und Erde, welche eine analoge Verwandlung durchleben werden. Er redet vom Ende der Zeit und den Zeichen, welche das Ende ankündigen. Auch da steht die Verführbarkeit der Menschen im Zentrum, die zu Kriegen und Naturkatastrophen führen soll. Die urchristliche Botschaft ist eindeutig: «Die Zeit ist nah!» Doch diese Endzeiterwartung, diese Gegenwart der Endzeit, kann verschieden verstanden werden. Zu allen Zeiten, selbst in der Bibel, ja bis heute, wollen Menschen diese Nähe zeitlich fixieren. Doch diese Nähe ist vielmehr als eine Art Zeitdruck zu verstehen, als Gegenwärtigkeit des letzten Gerichts, das in jedem Augenblick zur Entscheidung herausfordert. Wenn das Höchste, Gott selbst, auf Erden erscheint, ist die Endzeit wirksam, ist die Zeit der Entscheidung allgegenwärtig, wird die Menschheitsgeschichte an ihrer letzten Bestimmung und Berufung gemessen, stehen die Menschen in all ihrem Tun und Lassen unter dem letzten Gericht, dem letzten Tag, dem Ende der Zeit. Von diesem Prozess, in den der ganze Kosmos involviert ist, wollen wohl die Bilder der Johannesoffenbarung zeugen.
Pfarrer Andreas Schwendener ist seit 15 Jahren Chefredaktor des St.Galler Kirchenboten. Zum Verständnis der Apokalypse betreibt er die Website www.johannesoffenbarung.ch