Seit dem Bekanntwerden der Johannesoffenbarung (erstmals erwähnt von Papias von Hierapolis und Melito von Sardes um 130 n. Chr.) wird über die Urheberschaft dieser Schrift gerätselt, phantasiert und getritten …, bis es um 300 n. Christus allgemeine Lehre wird, dass der Autor der Apostel Johannes ist. Mit der Aufklärung kam die Autorschaft wieder ins Gespräch. In den letzten 200 Jahren wurde viel geforscht, wobei sich verschiedene Ergebnisse, Thesen, Vermutungen, Erkenntnise, und Folgerungen einander die Klinke in die Hand geben. Einmal ist er der Apostel Johannes, dann «der alte Presbyter von Ephesus», dann ein Wanderprophet aus Palästina, dann ein Pseudonym für das Gedankengut aus dem sog. «Johanneischen Kreis, dann doch wieder einer, der nahe bei Jesus war, nämlich der Lieblingsjünger, «den Jesus lieb hatte» und der bleiben soll bis Jesus wieder kommt (Joh. 22), nach Rudolf Steiner gar Lazarus, den Jesus vom Tod auferweckt hat. Demnach ist die Todeserfahrung des Lazarus die grosse Einweihung, welche den späten Jünger zu dieser hohen Mission bereitet hat.
Das Zeugnis der Apokalypse
Der Verfasser der Apokalypse nennt sich selbst Johannes (>>> Apk. 1,1; 1,4; 1,9 und Apk. 22,8). Er bezeichnet sich nicht als Apostel, sondern Knecht Christi, Bruder und Genosse der Gemeinde – was aber allein noch nicht dagegen spricht, dass er nicht ein Apostel sein kann. In erster Linie will der Verfasser Prophet sein. Immer wieder wird seine Würde als Prophet hervorgehoben. Fest steht, dass die Apokalypse ihre Heimat in der Provinz Asien hat. «Der Johannes, der hier ohne weitere Bestimmung genannt wird, oder sich nennt, muss eine Persönlichkeit der kleinasiatischen Kirchenprovinz von hoher Autorität gewesen sein.» (W. Bousset) Aus den Sendschreiben (Apk. 2-3) kann geschlossen werden, dass dieser Johannes in den sieben Gemeinden, den Adressaten der Offenbarung, eine bekannte prophetische Gestalt war. Bei der Frage, wer dieser kleinasiatische Johannes war, gehen die Meinungen bis heute auseinander.
Der Apostel Johannes?
Die Offenbarung wird schon vor 160 nach Christus von Justin (Dial 81) als Werk des Apostels Johannes, des Zebedaiden, erwähnt, wenig später auch Clemens von Alexandrien. Irenäus sieht im Apostel Johannes den Autor des Evangeliums wie auch der Apokalypse. Im 3. Jahrhundert wurde diese Sicht zur offiziellen Kirchenlehre: Der Autor aller johanneischen Schriften ist der Zebedäussohn und Apostel Johannes. Das wird heute in gelehrten Kreisen fast durchgängig abgelehnt. Man nimmt an, dass mit dieser Gleichsetzung vor allem die Kanonisierung betrieben und erleichtert wurde. Denn lange war die Apokalypse umstritten. Man war sich uneins darüber, ob sie als heiliges Buch gelten kann und in den Kanon aufgenommen werden soll. Indem sie dem Apostel und Jesusjünger Johannes zugeschrieben wurde, erhielt sie apostolische Würde. Sie konnte als Gedankengut gelten, das aus der direkten Nähe Jesu kommt.
Diese Gleichsetzung wurde vereinzelt schon früh bestritten, z.B. um 200 nach Chr. von den sognannten «Aloger», welche das johanneische Schrifttum ablehnten, vor allem dessen Identifikation des Christus mit dem Logos. Daher ihr Name «Aloger», Gegner des Logos. Die «Aloger» wollten damit den Apostel Johannes in Schutz nehmen. Sie hielten es für absurd, ein so hellenisierendes und teilweise gnostisches Evangelium einem Jesusjünger zuzuschreiben. Für sie waren die Johannesschriften Werke eines Gnostikers, der die Autorität des Apostels Johannes missbraucht hat, um seinem Werk Geltung zu verschaffen. (Der Hellenismus war allerdings so verbreitet und selbst vom Judentum breit aufgenommen worden, dass griechische Einflüsse auch bei den Jüngern Jesus vorausgesetzt werden könnte)
Früh gab es auch von gelehrter Seite Zweifel an der Einheit der johanneischen Schriften. Bischof Dionys von Alexandrien hat um die Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. den tiefgreifenden Unterschied hervorgehoben, der die Offenbarung des Johannes vom vierten Evangelium trennt (>>> zu seinen Feststellungen). Diese sprachlichen Kriterien, wonach die Johannesoffenbarung in perfektem Griechisch geschrieben ist, die Apokalypse aber in einer hebräisch denkenden, holpprigen Art daherkommt, wird bis heute als Hauptargument gegen einen einzigen Autor des johanneischen Schrifttums angeführt. Dazu kommen theologische Unterschiede, etwa die präsentische Eschatologie des Evangeliums gegenüber der heilsgeschichtlich und kosmologisch ausgeführten Eschatologie der Apokalypse.
Gegen die Identität des Apokalyptikers mit dem Apostel Johannes spricht für viele Ausleger auch die Beobachtung, dass Apk. 18,20 und 21,14 von den Aposteln als einer Grösse der Vergangenheit reden, zu der sich der Verfasser nicht zählt. Der Apokalyptiker schaut hier die Apostel zusammen mit Prophen und Heiligen im Himmel und sieht die Apostelnamen auf den Grundsteinen des Neuen Jerusalems.
Ein weiteres Argument dafür,
dass der Apokalyptiker nicht identisch sein kann mit dem Apostel Johannes, hat Willhelm Bousset hervorgehoben. Er stützt sich dabei auf eine doppelt überlieferte Notiz des Papias, die besagt: «Johannes und Jakobus wurden von den Juden getötet.» In Markus 10,39 verheisst Jesus dem Jakobus und dem Johannes das Martyrium. Bousset sieht darin bestätigt, dass zur Zeit der Abfassung des Markusevangeliums die beiden Jünger schon den Märtyrertod erfahren hatten. Ebenso nennt eine syrische Märtyrerliste aus dem Jahr 411 (341 verfast) unter dem 27. Dezember «Johannes und Jakobus die Apostel in Jerusalem», wonach Johannes wie sein Bruder Jakobus in Jerusalem gestorben ist. Ein armenisches Martyrologium erwähnt unter dem 28. Dezember: «Jakobus und Johannes, die Donnersöhne». Clemens von Alexandrien zitiert den Gnostiker Heracleon, nach dem folgende Apostel nicht den Martyrertod erfahren haben: Matthäus, Philippus, Thomas, Levi. Indirekt wird auch hier der Tod des Johannes bezeugt.
So folgert Bousset, der Apostel Johannes habe nach der ältesten Überlieferung vor dem Jahre 70 in Jerusalem das Marthyrium erlitten und komme als Autor der Apokalypse nicht in Betracht.
Nichts desto trotz halten einige auch grosse Theologen am Apostel Johannes als Autor aller johanneischen Schriften fest, so der grossse reformierte Berner Theologe Wilhelm Hadorn 1928. In der Apokalypse habe der Apostel als Prophet geschrieben, das Evangelium sei seine «letzte Gabe» an die Kirche gewesen.
Der Presbyter Johannes aus Kleinasien?
Willhelm Bousset hat 1896 (zweite Auflage 1906) einen Presbyter (Ältesten) von Ephesus als Autor der Apokalypse identifiziert. Er bezieht sich dabei vor allem auf ein von Eusebius überlieferte Zeugnis des Papias. Deutlich sind da zwei Personen mit Namen Johannes genannt: der Apostel Johannes und der, den er im besonderen Sinne den Presbyter nennt und dem die ganze Aufmerksamkeit dieser Textpassage gilt. Eusebius sieht Papias als direkten Schüler des Presbyters Johannes. Bousset korrigiert: «Jedenfalls war der Presbyter Johannes dem Papias (neben Aristion) indirekt der Hauptgewährsmann der von ihm benutzen mündlichen Überlieferung.» Als Papias von Hierapolis seine Überlieferungen (zw. 100 -120 n.Chr.) gesammelt hat, lebte der Presbyter Johannes noch. Papias bezeichnet Aristion und den Presbyter Johannes als «Jünger des Herrn», womit ein Bezug zur Urgemeinde hergestellt wird. Auch andere Zeugnisse reden im Zusammenhang mit dem kleinasiatischen Johannes als einem «Herrenjünger» im Verlgeich zu den übrigen Aposteln. (Bousset Seite 45)
Obwohl dieser Presbyter Johannes in Kleinasien gelebt hat, kann Bousset den Bezug zum Autor der Apokalypse noch nicht hinreichend belegen. Er sucht weiter bei den «Presbyterfragmenten des Irenäus», wo die Presbyter «Schüler der Apostel» genannt werden. Diese gemäss Harnack von Papias übernommenen Passagen, welche «drei Mal die überlieferten Traditionen auf den Jünger Johannes in letzter Linie» zurückführen, erlauben den Schluss, «dass der Johannes der Presbyterfragmente bei Irenäus der Johannes Presbyter des Papias ist.»
Damit kann Bousset die Verbindung zum Apokalyptiker hergestellen, denn in einem dieser Fragmente des Irenäus wird mitgeteilt, dass die, welche den Johannes noch persönlich gekannt haben, bezeugen, dass die Zahl des Tieres in der Apkalypse 666 sei (und nicht 616, wie teils überliefert). Auch handeln die Fragmente des Irenäus vorzüglich von apokalyptischen Inhalten, welche die Presbyter bei Treffen mit Johannes in Kleinasien erfahren haben. Dieser Johannes habe dort bis zu den Tagen Trajans gelebt. Das ist nach Bousset derselbe Johannes, der nach der Überlieferung in Asien unter Domitian die Apokalypse geschrieben hat.
Weiter fragt Bousset nach der Beziehung des vierten Evangeliums zu der johanneischen Litertur und zu dem kleinaisiatischen Johannes. Da richtet er den Blick auf das letzte Nachtragskapitel, welches den Evangelisten «deutlich zu diesem langlebigen kleinasiatischen Johannes in Beziehung» bringt. Doch sind nach Bousset genaus diese Passagen , die vom Zeugen des Abendmahls und der Kreuzigung (19,35) reden und das Gerücht umdeuten, wonach dieser Jünger nicht sterben soll, bevor Jesus wieder kommt (Kp. 21,15ff.), Passagen eines Jüngers des Evangelisten Johannes. Die letzte Redaktion des Johannesevangeliums stammt nicht von dem Autor, sondern von einem Schüler, welcher dem Evangelium den apostolischen Anstrich verleiht, ohne jedoch zu lügen. Der eigentliche Autor und Evangelist war engster Jünger, aber keiner der zwölf Apostel. «In späterer Zeit, und zwar sehr bald nach dem Abschluss des johanneischen Schriftkreises, ist dann die Verwechslung der kleinasiatischen Johannes mit dem Apostel Johannes aufgekommen und sehr bald durchgedrungen» (Bousset S. 46). Weil aber auch das Martyrium des Apostel Johannes früh bekannt wurde, haben sich die Legenden der Verfolgung (Versetzung nach Patmos) und der Peinigung (Ölmartyrium und Giftbescher in Rom) entwickelt. So ist für den grossen Gelehrten Bousset der Johannes der Apokalypse «wahrscheinlich identisch mit dem Presbyter Johannes des Papias, mit dem langlebigen ungenannten Jünger des 21. Kapitels des vierten Evangeliums, mit dem Presbyter des 2. und 3. Johannesbriefs, mit dem «Zeugen» des vierten Evangeliums und endlich mit dem Lehrer des Polykarp, von dem Irenäus im Brief an Florin berichtet. Mit seiner Person stehen alle Gleider der sogenannten johanneischen Literatur in enger oder weiterer Verbindung» (Bousset S. 49).
Der johanneische Kreis und Lazarus
Leider besitze ich das Buch von Oscar Cullmann: «Der johanneische Kreis - Sein Platz im Spätjudentum, in der Jüngerschaft Jesu» nicht, doch ich habe darin gelesen und davon gehört. Er zitiert dort Rudolf Steiners These, wonach der Inspirator der johanneischen Schriften mit Lazarus zu identifiziren ist. Cullmann erwähnt diese Sicht in einer Fussnote so, als würde er sie als mögliche Lösung gelten lassen. Cullmann hat mir auch persönlich bezeugt, dass er bezüglich dieser Frage in Verkehr stand mit mehrern Anthroposophen.
Nach Rodulf Steiner ist der Jünger, den Jesus lieb hatte, Lazarus, den Jesus vom Tod erweckt hat. Hier werde verschleiert eine letzte, im Kontext des Christentums vollzogene Einweihung geschildert. Lazarus, der Bruder von Maria und Martha von Bethanien, wurde so zum grossen Zeugen bereitet. Er war noch jung und Jesus hatte ihn lieb. Es ist durchaus möglich, dass er später zum wichtigen Jünger wurde, zum Lieblingsjünger, obwohl er nicht zu den zwölf Aposteln gehörte. Doch er stand unter dem Kreuz und nahm sich später der Mutter Jesu an. Nach der Legende soll sie mit ihm nach Ephesus gekommen sein. Dort wird auf Grund von Angaben der Seherin Katharina von Emerich bis heute ihr Sterbehaus geehrt, auch von Muslimen.
Ich muss diese Steinersche These bei Gelegenheit genauer darlegen, wenn ich Zugang habe zu den Quellen bei Steiner und Cullmann. Hier spreche ich bloss aus der Erinnerung.
Im Grunde teile ich die Meinung vieler zeitgenössischer Exegeten, dass die Person des Apokalyptikers kaum identifizierbar ist. Wir haben seine Apokalypse als kanonischen Text. Konzentrieren wir uns als auf dieses Zeugnis.
(4. Aug. 2006)
Heute 3.9.07 finde ich eine Medienmitteilung, die Papst Benedikts Sicht des Johannes resümiert >>> mehr