Die wunderbare Geschichte von der Verklärung Jesu sehen wir gerne als historische Begebenheit. Sie wird in der wissenschaftlichen Theologie aber eher als «christologische Legitimationserzählung» gedeutet – daran erinnert mich die Ankündigung eines Buches von Mohr Siebeck: «Adrian Wypadlo bietet eine umfassende Interpretation der Transfigurationserzählung des Markusevangeliums mit der Grundthese, dass in Mk 9,2-8 zusammen mit der Taufperikope (Mk 1,9-11) die für den Makrotext zentrale christologische Legitimationserzählung vorliegt.» https://www.mohr.de/index.php?id=168&tx_commerce_pi1[showUid]=5989
Der religionsgeschichtliche Hintergrund
Nun hat Markus sich diese Sicht auf Jesus ja nicht einfach irgendwie ausgedacht. Auch Markus schöpfte dabei auf Traditionen, auf entsprechende Vorbilder und auf die im kulturellen Umfeld ausgebildeten Vorstellungen und Erfahrungen. Zur Frage nach dem Hintergrund der Verklärungsgeschichte erinnert der Autor Adrian Wypadlo, wie ich der Ankündigung entnehme, an «Verwandlungsvorstellungen in der jüdisch-hellenistischen und paganen Umwelt des Neuen Testaments mit einem ständigen Seitenblick auf 2 Kor 3,18», wo Paulus daran erinnert, dass wir alle potentiell zu dieser Verklärung berufen und ausgestattet sind: «Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Antlitz die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel und werden so verwandelt in die Gestalt, die er schon hat, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie der Herr des Geistes es wirkt.» 2 Kor 3,18
Auch diese Paulusworte gehen zurück auf die Exoduserzählung (2. Buch Moses), wo Moses auf dem Berg Gott begegnet und verschiedene Verwandlungen durchmacht. Adrian Wypadlo sieht denn auch Deutungen dieser Schriftstelle im Opus des jüdisch-hellenistischen Schriftauslegers Philo von Alexandrien als wichtigen Nährboden für die Verklärungsgeschichte bei Markus.
Dass die «Verklärung Jesu» im religionsgeschichtlichen Umfeld nicht etwas Einzigartiges ist, sondern seine Vorbilder im jüdischen, hellenistischen und paganen Umfeld findet, zeigt mir, dass hier von etwas allgemein Menschlichem die Rede ist, sei dies als Projektion, als Archetyp oder als übersinnliche Erfahrung – ja nach Deutung der Phänomene. Ich selber bin davon überzeugt, dass zu allen Zeiten Menschen einander in einem aussergewöhnlichen Licht sehen konnten, teils mit Lichterscheinungen verbunden – dies vor allem da, wo Liebe und Verehrung im Spiel ist. Eine Folgefrage ist dann, wie diese Lichterscheinungen zu deuten sind und was sie anzeigen.
Ich könnte nun annehmen, dass sicher viele Menschen, die Jesus begegnet sind, in ihm auch einen höheren Glanz wahrgenommen haben. Das ist aber müssig zu sagen, denn davon gibt es keine Aufzeichnungen, wie es auch keine Reporte gibt von dem, wie ihn seine Jünger all die Zeit erlebt haben. So könnte die von Markus geschilderte Verklärungsgeschichte eine Art konstruierte Verdichtung dieser ungeschriebenen Wahrnehmungen sein – wobei es durchaus möglich ist, dass eine überlieferte Schlüsselerfahrung den Kern der Erzählung ausmacht. Diese Schlüsselerfahrung könnte dann erinnert und überliefert worden sein in Analogie zur Erzählung vom Glanz des Moses nach seinem Verweilen auf dem Berg. Markus konstruiert die Erzählung aber so, dass sie zusammen mit der Tauferzählung die Leserschaft über die geheime göttliche Mission und Dimension dieses Jesus aufklärt, ihn als den Messias, den Menschensohn und Retter der Welt legitimiert. Für die Christologie des Markus ist diese Erzählung elementar und zentral.
Zur Botschaft des Textes: Die Herrlichkeit Gottes schauen
Hinter dieser «Legitimationserzählung» steckt aber nicht einfach eine geheime Absicht, die Menschen durch wundersame Erzählungen zu täuschen und in den eigenen Anhänger- oder Machtbereich zu führen – auch wenn das durch den Missbrauch solcher Texte so gesehen werden kann. Es geht bei den Evangelien um Christus und um das, was er mit den Menschen und die Menschen mit ihm zu tun haben können. Das Evangelium lädt alle ein, sich mit dessen Worten und Geschichten auf eine Entdeckungsreise zu gehen und dabei Neues zu entdecken, ja Grosses zu schauen. Im Johannesevangelium heisst es am Ende des ersten Kapitels: «Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, wie sie ein Einziggeborener vom Vater hat, voller Gnade und Wahrheit.
Diese religiöse Literatur nimmt uns an der Hand. Mit den Jüngern sollen wir hören, sehen und schauen – und in diesem Schauen teilhaftig werden den Möglichkeiten und Erfahrungen, welche an den Jüngern oder bei Jesus offenbar werden.
So auch beim Evangelisten Markus, wenn Jesus vom Täufer getauft wird, der Himmel sich öffnet, der Geist sich auf Jesus senkt und eine Stimme vom Himmel her sagt: «Du bist mein geliebter Sohn …». Hier werden archetypische Möglichkeiten des Menschseins, gegründet aus tausendfältiger Erfahrung und Herkunft, vom Pilger des Glaubens mit vollzogen.
In dieser Weise will ich nun miterleben, was Jesus und den drei Jüngern auf den Berg der Verklärung geschieht. Es ist interessant zu sehen, wie die Erzählung bei Markus, Lukas und Matthäus leicht variiert. Jesus wird vor den Jüngern «verwandelt und seine Kleider wurden ganz weissgläzend …», heisst es bei Markus. «Und sein Angesicht leuchtet wie die Sonne …» ergänzt Matthäus. Lukas findet dazu eine eigene Formulierung. Es «veränderte sich das Aussehen seines Angesichts, und sein Gewand wurde strahlend weiss.»
Es folgt die Erscheinung von «Moses und Elias, die mit ihm redeten.» Nur bei Lukas ist die Erscheinung umschrieben und auch das Thema des Gesprächs. Moses und Elias «erschienen in Lichtglanz und redeten von seinem Lebensausgang, den er in Jerusalem vollenden sollte.»
Die ganze Erscheinung scheint von den Jüngern beobachtet worden zu sein. Nur Lukas berichtet an dieser Stelle vom Schlaf der drei Jünger. Wie sie aufwachten, sahen sie seinen Lichtglanz und die zwei Männer, die bei ihm standen.» – Damit will Lukas wohl andeuten, was bei Markus und Matthäus unausgesprochen bleibt: Dass auch die Jünger im Moment die Erscheinung in einem anderen Bewusstseinszustand waren, in einem Leben zwischen Schlafen und Wachen. Das zeigt sich auch in der fast lustig skurrilen Reaktion des Petrus auf die Erscheinung. Er ist so verwirrt, dass er nicht mehr weiss, welcher Ebene und welcher Realität das Vernommene zugehört – wie das so passieren kann beim Aufwachen aus tiefen Träumen. Er weiss nur noch, dass es gut war, hier zu sein – und Petrus will diesen Moment verlängern, will darin verweilen. «… wir wollen drei Hütten machen, dir eine und Mose eine und Elia eine; und er wusste nicht, was er sagte.» Markus fügt sogar noch an: «Denn sie waren in Furcht geraten.» Inwiefern die Hütten eine Anspielung an das Laubhüttenfest sind, wie ich bei Wikipedia lass, kann ich im Moment nicht sehen.
Die Erzählung kommt dann zu einem weiteren Höhepunkt. Wie Petrus noch redete, kam eine Wolke und überschattete sie. Aus der Wolke aber kam eine Stimme, die sprach: «Dies ist mein geliebter Sohn, höret auf ihn!» Und sogleich sahen die Jünger nur noch Jesus allein. Nur Matthäus erwähnt, dass sich die Jünger auf ihr Angesicht niederwarfen und sich sehr fürchteten. «Jesus trat herzu, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht!» - Das erinnert an die Offenbahrung des Menschensohns in der Apokalypse des Johannes. Auch Johannes war im Geiste und fällt auf den Boden, wie ihm der Menschensohn auf Patmos erscheint. Und dieser hält seine rechte Hand auf ihn und nimmt ihm die Angst. (Apok. 1, 17)
Die Jünger nehmen hier vom Berg also gleich mehrere übersinnliche Erfahrungen mit, über die sie allerdings schweigen sollen. Sie sahen den übersinnlichen Lichtglanz, den Geistkörper ihres Meisters. Sie sahen die längst verstorbenen Propheten Moses und Elia, wie sie mit Jesus sprechen. Und sie hören die Stimme Gottes aus der Wolke, welche Jesus als Gottes Sohn legitimiert, auf den sie hören sollen. Alle Erfahrungen sind mit Furcht behaftet, da die Jünger dabei aus ihrem Alltagsbewusstsein herausgefallen sind und in einem Bewusstseinszustand gelangen, in dem sie auf ungewohnt Weise das Hereinwirken der Geistwelt in die irdische Welt realisieren.
Das Jesusgebet als Aufstieg auf den Berg der Verklärung
Eine meditative, mehr auf das eigene Leben hin orientierte Lesung der Verklärungserzählung führt dann tiefer in den eigenen Seelengrund und die dort stattfindende Gottesbegegung. Es ist, als würde man selber mit Jesus und drei Jüngern auf den Berg der Verklärung gehen, um dort mit Jesus den Vater anzubeten.
Wer jedoch auf diesen Berg steigen will, muss gewappnet sein, vorbereitet und stark im Geist, damit das Erlebnis nicht verdreht wahrgenommen oder interpretiert wird. Es kann, wie der Text berichtet, auch mit Bewusstlosigkeit, Furcht oder naiven Reaktionen verbunden sein. Es geht hier letztlich um den Aufstieg der Seele im Gebet, um die Annäherung an die Gotteswelt, welche die gewohnten Bewussteinsformen ins Wanken bringt.
Der Berg steht in diesem Zusammenhang für den Aufstieg Richtung Himmel, in dem Gott wohnt. Es ist eine Kontaktaufnahme mit dem Ursprung alles Lebens und aller Offenbarung. Wie mir jemand aus Deutschland geschrieben und gesagt hat, geschehe dieser Aufstieg auch im Beten des Unser Vaters. Es geht um das Gebet Jesus. Er betet es allezeit auch in und mit uns. Und wir können in sein Beten hineingelangen. Er ist dann unser Begleiter auf dem Weg der Verklärung.
Auf dem Berg den Vater anbetend sind wir weiterhin auf der Erde, sind weiterhin im Körper, aber zugleich ist der Himmel näher und die feinstofflichen Anteile in uns sind offener, ausgespannt in Ihresgleichen. Die Aura kann damit gegen aussen auch eher wirken und wahrgenommen werden. Auch Leute, die keine spezielle Aurasichtigkeit haben, können das Gesicht eines Menschen lesen, wie dieses mit den oberen Welten in Kontakt steht. Das Gesicht hat dann eine besondere Ausstrahlung. Bei Moses war das Strahlen seines Gesichts, wie er nach 40 Tagen vom Berg Sinai herabkam, für viele wahrnehmbar. (2. Mose 34, 29) Darum legte er eine Hülle über sein Gesicht und nahm diese nur weg, wenn er im Heiligtum wieder vor Gott trat. Diese Geschichte überliefert am Beispiel des Moses die menschliche Urerfahrung der Gottbegegnung, wie sie auch in andern Kulturen bekannt sind. Ich sehe vor mir Skulpturen von Buddha, wo die Gestaltung des Gesichts, speziell des Mundes, so realisiert wurde, dass der erleuchtete Zustand aus der Skulptur erlebbar wird. Im weiteren hat die Ikonografie mit dem «Heiligenschein» ein Attribut gefunden, wie der Glanz der Verklärung symbolisch dargestellt wird.
Das besondere an der Verklärungsgeschichte ist aber, dass Jesus hier noch im Leib seine höhere Natur offenbart und zugleich seine Gottesgleichheit bestätigt wird, welche für uns etwas zu sagen hat. Darum ist uns dieser Jesus in der Verklärung eigentlich viel näher als der auferstandene oder der zu seinem Vater aufgefahrene Jesus. Er gibt uns eine Anleitung und Ermutigung zur wahren Gottesverbindung, wie sie uns hier in unserer sterblichen Hülle möglich ist.
(6. August 2013)
Anleitung zum Gebet, zu Kontemplation
Text folgt
Publikation auf Facebook:
«Heute, am 6. August (2013), gedenkt die alte Kirche der Verklärung Christi auf einem Berg – in der Tradition soll das der Berg Tabor in Galiläa sein. Doch wohl zu Recht wird der exakte Ort nicht genannt. Denn die Geschichte will uns ein Geheimnis entschlüsseln über die Beziehung Jesus zu seinem Vater – eine Beziehung, die exemplarisch für den Menschen überhaupt gilt. «Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Antlitz die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel und werden so verwandelt in die Gestalt, die er schon hat, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie der Herr des Geistes es wirkt.» 2 Kor 3,18
So können wir alle aufsteigen und mit Gott so in Beziehung treten, dass unser Gesicht von dieser Begegnung zu leuchten beginnt und unsere ganze Gestalt sich wandelt. Wir können auf den Berg steigen und Zuflucht suchen in der «Wolke des Nichtwissens», wo uns offenbart wird, auf den Sohn zu hören – das ist auch unsere eigene Sohnschaft – wir sind Kinder Gottes. Unser innerstes Sein ist im Geist auf Gott hin orientiert, auf unsern Schöpfer und Ursprung. Wo die Liebe zu diesem ersten Sein uns auf den Weg bringt zum Berg der Anbetung, kann sich Gott in Gnade uns zeigen – darüber lese ich derzeit und sollte mit der Praxis beginnen.
Doch mich erstaunt, warum im Westen vie Verklärung Christi weniger bedacht wird. Ich suchte in verschiedenen Lexiken etwas über die Verklärung nachzulesen. Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass weder das mehrbändige Evangelische Kirchenlexikon noch das berühmte Lexikon RGG (Religion in Geschichte und Gegenwart) etwas zum Begriff «Verklärung Christi» oder zum Begriff «Transfiguration» bringt. Darum habe ich vor einigen Tagen damit begonnen, selber etwas dazu zu schreiben, angeregt von der Meldung einer neuen Publikation.