Obwohl ich gestern Nacht noch Bücher aussortiert habe, zeigt die Waage bei der Abfertigung am Flughafen Zürich 12 Kg. Übergewicht. Das kostet mich gegen 130 Franken. Vom Flugzeug aus überblicke ich den Kanton St.Gallen bei klarem Wetter, dann aber wird es schnell bewölkt bis Istambul, wo es sogar schneit. Den Weiterflug nach Ismir verpasse ich fast, da ich die Zeitumstellung nicht realisiert habe. Drei Uhr ist vier Uhr in der Türkei.
In Ismir miete ich ein Auto, das mich für die nächsten sieben Wochen durch die Gegend fahren soll. Nochmals war ich unsicher, ob ich das überhaupt brauche. Es kostet mich immerhin 200 Franken in der Woche. Ein fairer Preis, aber werde ich soviel reisen? Ich will ja vor allem am Ort der jeweiligen Gemeinde leben und die Offenbarung studieren.
Nun aber habe ich das Auto und bin gut in Selcuk angekommen, dem Ort, wo das alte Ephesus lag.
Von zwei Hotels hatte ich über Internet
Offerten eingeholt: Von der einfachen, aber schmucken Pension Homeros in der Altstadt von Selcuk und vom eher gediegenen Hotel Sürmeli am Meer. Ich entscheide mich für den Ort nahe beim Grab des Johannes und beim Tempel der Artemis, also für den «Familienbetrieb» in der Altstadt von Selcuk. Da habe ich zwar nicht den Luxus und die Anonymität wie in dem grossen Hotelkomplex, treffe aber gleich Leute im orientalisch geschmückten und mit Holz geheizten Aufenthaltsraum, wo ich jetzt diese Zeilen schreibe. Das Zimmer ist zu kalt, um mich dort aufzuhalten.
Ich war auch kurz beim Hotel Sürmeli, stellte aber fest, dass ich dort über das Telefon den Internetanschluss beziehe und dass über Telefon abgerechnet wird. Vermutlich werde ich mich eher an Internetcafes halten müssen, um meine Arbeit jeweils aufs Netz zu bringen.
Dervis, der die Pension Homeros zusammen mit seiner Mutter betreibt, ist zusammen mit einem Kollegen den ganzen Abend damit beschäftigt, das Telefon zu reparieren. Überall suchen sie den Fehler. Sie kraxeln an der Hauswand herum, wo das Kabel zwischen Traubenstöcken frei herumhängt. Gegen Mitternacht haben sie die Stelle gefunden, wo das Kabel durchgerostet war. Es ist repariert. Man kann wieder anrufen in die Pension Homeros 0090 232 892 3995 (Fax:0090 232 892 8393). Dann interessiert sich Dervis noch für meine Arbeit. Ich zeige ihm und seinem Kollegen Bilder aus der Apokalypse auf meinem Laptop. Johannes mit Christus in den sieben Leuchtern, das himmlische Weib und der Drache, der Engelsturz, Katastrophenszenen, das neue Jerusalem usw. Er ist ganz erstaunt, was dieser Johannes, der hier so nahe begraben liegt, auf Patmos alles gesehen hat. Wenn ich über die Bilder kleine Witze mache (strenge vision, crazi imaginations) ist er etwas überrascht, ja fast erschrocken über meine Respektlosigkeit vor dem heiligen Buch, andererseits ist er auch beruhigt und froh, dass ich so eine Distanz zur Bibel habe und nicht nur fromm daherrede. Ich selber bin erstaunt darüber, wie wenig er über diese Zusammenhänge weiss. Er sagt mir, dass die meisten Touristen wegen der antiken Stadt kommen. Man besucht auch die Johannesbasilika, aber mit der Johannesoffenbarung bringt das selten jemand in Beziehung. Wie dann Dervis die Augen zu fallen über der vielen Bilder und meiner Begeisterung, ziehe auch ich mich zurück zum schlafen.
Montag,
21.11.2005 | Selçuk, Ephesus
Dem Himmel (und Romen Gutzwiller, der mit mir daheim alles vorbereitet hat) sei Dank. Es klappt mit der Arbeit an der Homepage. In einem Internetcafe in Selçuk wird mir ein Arbeitsplatz mit ADSL-Kabelanschluss angeboten. Und sofort habe ich Verbindung zum World Wide Web (WWW). Auch mein Internetttelefon, Skype, meldet «you are lokt in». Der Raum ist etwas finster und pragmatisch eingerichtet. Gegen 20 Computer in Reih und Glied. Zwei weitere Personen arbeiten hier. Es darf geraucht werden. Darum ist es hier auch etwas qualmig.
Leider habe ich das Kabel für die Camera in der Pension, sonst könnte ich gleich auch Bilder zeigen. Doch das kann ich nachholen. Daran habe ich noch gar nicht gedacht, dass ich im Arbeitsjournal auch mit Fotos arbeiten kann. Die meisten Leute schauen ja lieber Bilder an und scheuen längere Texte. So werde ich mich, was das Schreiben und Erzählen betrifft, eher kurz halten müssen.
Ich war heute Morgen auf dem Dach der Pension Homeros. Was für eine Aussicht! Da kann ich an der Sonne sitzen zwischen aufgehängter Wäsche. Rund um ein freier Ausblick: Gegen Norden zur Basilika, dem Grab des Johannes; gegen Westen zu den Überresten des Artemistempels, einem der sieben Weltwunder, und sogar das 7 Kilometer entfernte Meer ist sichtbar; dann gegen Süden die Anlage des alten Ephesus; und gegen Westen die Stadt Selçuk: Kinder spielen auf dem Schulhof, ein Rauschen vom Verkehr, irgendwo singt ein Mann.
Das tönt nach bleiben. Obwohl ich ein kleines Zimmer habe ohne speziellen Ausblick – für 25 Fr. im Tag mit Frühstück, dass die Mutter von Dervis liebevoll bereitet. Mit Früchten aller Art.
Ausblicke vom Dach der Pension Homeros: oben zur Johannes-Basilika im Norden, untern zum Meer im Westen;
in der Mitte des unteren Bildes ist auch die einzige übrig gebliebene Säule des Artemistempels sichtbar.
Am Nachmittag lass ich mir die Schuhe putzen und neu einfetten. Sie sind mir dankbar dafür. Unten bei der Moschee esse ich etwas Kleines. Der Imbissschuppen wird eben am Dach repariert. Da lerne ich einen pensionierten Deutschen kennen, der am Meer ein kleines Haus hat und während der Hälfte des Jahres dort lebt. Er erzählt mir von einem andern Deutschen, von Targu, der in Sirince, dem 7 km von Ephesus gelegenen ehemaligen griechischen Dorf, lebt und in Kontakt ist mit einer christlichen Gemeinschaft in Ismir. Er habe eine alte Pension (Haus Erdems) erworben und renoviere sie mit viel Liebe. Dort habe er oft christliche Gruppen zu Gast. Und weiter erzählt mir der Mann, dass da vorne, gleich um die Ecke, eine Kirche sei. – Eine christliche Kirche in Selçuk? Ich bin erstaunt!
Wie ich da vorbei gehe, lese ich tatsächlich: «ephesus protestant church». Die Gottesdienstzeiten sind in Türkisch und Englisch angeschrieben. Mittwoch abends und sonntags. Im Restaurant nebenan erkundige ich mich nach dieser Kirche. Niemand kann mir mehr darüber sagen. Stattdessen werde ich aufgefordert, etwas zu trinken. Ich bleibe und lese weiter in dem heute angefangenen Buch: «Die Apokalypse des Johannes als Schulungsbuch – zugleich eine Einführung in das Verständnis ihrer Bilder und Symbole» von Fred Poepping, das der «Verlag die Kommenden» vor vielleicht 30 Jahren in 7 Lieferungen herausgegeben hat. Ich bin der einzige Gast. Die fünf Angestellten vertreiben sich die Zeit mit dem Fernseher. Wie gebannt schauen sie die Quiz-Sendung. Wie draussen der Gebetsruf ertönt, stellen sie den Fernseher etwas lauter. Viele Leute leben hier vom Tourismus. Im Winter sind sie quasi arbeitslos. Trotzdem werden die meisten Angebote aufrecht erhalten.
Später stossen Bruno und Natalie dazu. Das junge Paar ist seit drei Wochen in der Türkei unterwegs. Er ist in Azmoos und sie in Sevelen aufgewachsen. Nun leben sie in Bern und sind beide beim Bund angestellt. Wir haben einander beim gemeinsamen Nachtessen viel zu erzählen. Nach dem Mahl sitzen wir an das Cheminee des Restaurants und finden in ein ernstes und tiefsinniges Gespräch über die Zukunft der Kirche. >>> zum Gespräch über die Zukunft der Kirche
Dienstag, 22.11.2005 | Ephesus/Selcuk
Heute wache ich früh auf – zu früh für das Frühstück. So gehe ich auf einen Platz in Selçuk, wo ich an der Morgensonne einen Tee trinke und meine Lektüre («Die Apokalypse des Johannes als Schulungsbuch») weiter lese … und weitere Tees trinke und weiter lese, bis 11 Uhr.
Ich treffe heute auch eine türkische Frau, mit der ich über mein Vorhaben zu der Apokalypse ins Gespräch komme. Ich bin überrascht, wie gut sie sich in der Apokalypse auskennt. Ja, sie lese in der Bibel. Ob sie denn Christin sein? Sie antwortet nur zögernd. Sie will nicht zu laut darüber reden. Wie sie erfährt, dass ich Pfarrer bin, ist sie ganz aufgeregt und beginnt mich zu bitten, dass ich mit ihr bete. Ihre Pfarrerein sei in Kusadasi. Ihr Mann fahre sie zwar hin und wieder da hin, aber sie habe heute gebetet, dass jemand ihr helfe. Ich frage nach, was sie bedrücke. Es sind Anfeindungen aus der Nachbarschaft, die aber nichts zu tun hätten mit dem Glauben. Auch die andern Nachbarn hätten unter der Person zu leiden. Sie versuche trotzdem immer freundlich zu sein, aber erfolglos. Sie hätte richtig Angst, dort vorbeizugehen. So beten wir. Ich führe uns vor Gott, wo wir für diese Person beten und auch für die betroffene Frau, dass sie im Licht Christi einen Schutz findet. Sie begleitet mein Gebet mit stillen Rufen an Jesus.
Ob sie dort in einer Pfingstgemeinde sei. Ja natürlich. Dann erzählt sie mir über die Gemeinde hier in Selçuk. Da könne sie nicht hingehen, weil man sie hier kennt und schätzt. Und sie führt mich sogleich zu einer Schweizerin, die hier lebt und gläubig sei.
Dort verbringe ich den ganzen Nachmittag. Seit fünf Jahren lebt die Frau mit ihrem Mann in Selçuk, um auch hier von der Frohen Botschaft Zeugnis zu geben. Zuletzt wohnten sie in Abtwil, gleich bei St.Gallen, wo ich herkomme. Die Welt ist klein. Ich werde auch zu einem Mahl eingeladen. Wir sprechen über die Frömmigkeit der türkischen Muslime und über die Situation der protestantischen Christen in der Türkei. Das Problem sei, dass sie sich hier nicht registrieren lassen können als Glaubensgemeinschaft. Bei der Staatsgründung 1922 hätte man an die Orthodoxen, an Juden und Katholiken gedacht. Diese sind offiziell anerkannt, können sich registrieren. Die Protestanten seien vergessen gegangen. Für offizielle Anlässe müsse man sich melden und es werde meisst auch ein Papier ausgestellt. Eigentliche Missionsveranstaltungen seien verboten, weil das unter Propaganda gehe. Der Staat habe schnell die Vermutung, es könnte auch etwas politisches sein. Einzelkontakte von Mensch zu Mensch, Gespräche über den Glauben – das sei erlaubt. Das ist die Art, wie das Evangelium verkündet werde. Der Staat beobachte das, aber lasse es zu. Es gebe schliesslich auch islamische Mission. Denn die meisten Muslime seien ja verweltlicht, so dass auch der Islam seine Leute mit dem Koran vertraut machen müsste.
Um es dem türkischen Staat mit dem Protestanten einfacher zu machen, würden sie versuchen, sich nicht in viele Denominationen aufzuteilen. Alle Gruppen zählen sich hier einfach zu den Protestanten (oder Evangelischen).
Wir sprechen auch über die sozialen Probleme der Leute, die hier oft keine Arbeit haben und sich vom Christenglauben eine soziale Besserstellung erhoffen. Das sei ein Problem und es werde den Protestanten auch nachgesagt, dass sie Mitglieder kaufen. Da müssten sie sehr sensibel sein, wahrhaftig und ehrlich. Was nötig wäre, sind Arbeitsplätze. In diese Richtung will das Schweizer Ehepaar auch aktiver werden.
Dann reden wir über die Offenbarung und schauen auch meine Internetplattform an. Auch erfahre ich dies und das über die frühe Gemeinde in Ephesus, die noch die Erwachsenentaufe gepflegt habe bis zum Zeitpunkt, wo die Kirche Macht erhielt und die Kindertaufe eingeführt hat. Seither gibt es Namenschristen, sie sprechen auch von Volkschristen, wie es auch im Islam einen Volksislam gebe, wo die Leute zwar Muslime sind, aber wenig über ihren Glauben wissen.
Den Abend verbringe ich nun wieder in einem Teehaus. Ich schreibe an meinem Laptop, an den andern Tischen wird gespielt: Okey Oyunu (der Teeboy schreibt mir das Wort auf). Alkohol wird keiner ausgeschenkt, nur Tee. Und alle rauchen – was für ein Qualm. Der Fernseher läuft ständig, in jedem Teehaus, Blodelsendungen, die aber kaum beachtet werden, solange gespielt wird. So, nun aber ab ins Internetcaffee!
Mittwoch, 23.11.2005 | Ephesus/Selcuk
Heute beim Frühstück erzähle ich Dervis von der türkischen Christin, die ich gestern kennen gelernt habe. Er findet das in Ordnung. Jeder und jede brauche einen Glauben. Die einen diesen, andere jenen. Man habe ihm auch schon die Bibel und Jesus ans Herz gelegt. Um Bibel zu lesen habe er keine Zeit. Er müsse arbeiten. Und das Beten zu Jesus? Jesus, Jesus! Das sei im fremd. Jesus sei für ihn ein Prophet. Er trage Gott in seinem Herzen, wisse um ihn, singe oft und er halte sich an das, was sich im Leben gehört. Das reiche für ihn, er fühle sich in Einklang mit seinem Gott.
Dann wechsle ich heute das Zimmer, ziehe einen Stock höher, wo ich einen Balkon habe mit Aussicht Richtung Artemistempel und Meer. Nochmals bin ich etwas befremdet über die vielen Bücher, die ich mitgenommen habe. Jetzt kommen mir einige in die Hand, die ich zwar spannend finde, aber daheim hätten bleiben können. Auch hier hat der Tag nur 24 Stunden und ich will mir ja auch Zeit nehmen für Begegnungen und Besichtigungen – das gemietete Auto steht seit meiner Ankunft ungebraucht unter meinem Balkon.
Heute ist Arbeit an der Internetseite angesagt. Da gibt es noch viele Ungereimtheiten. Ich habe das gestern gesehen, wie ich zusammen mit dem Schweizer, der seit vier Jahren in Selçuk lebt, die Plattform angeschaut habe. Er hat auch einen Mac und betrachtete alle Links mit viel Interesse. Da habe ich gesehen, was noch alles fehlt, wieviel da versprochen wird, aber nicht verwirklicht ist. Ich will die Links, wo nichts kommt, so ändern, dass sie schwarz sind.
Begegnung mit Targu aus Sirince
Am Nachmittag fahre ich zu einem Markt in Richtung Sirence, wo ich mich mit Proviant eindecke: Haselnüsse, Baumnüsse, salzig geröstete Kichererbsen und gesalzene Maiskörner. Dann weiter in die Berge, etwa 7 km, bis nach Sirince.
Dort frage ich nach Targu, dem Deutschen, der hier leben soll. Man weist mich sogleich zu einem Cafe, wo er derzeit arbeitet. Aus dem Haus erklingt klassische Musik. Man kommt mir aufmachen. Es ist Targu, blaue Augen, einen Turban um den Kopf, einen Halbbart, etwas über Dreissig. Bald haben wir uns einander vorgestellt und finden viele gemeinsame Interessen. Im liegt die Heilung des Landes am Herzen. Das Land der heutigen Türkei sei immer wieder umstritten gewesen. Viele Völkerschaften haben sich hier einander abgelösst, das sei meist kriegerisch geschehen. Viele Wunden seien da geblieben. Und dann war es das Land, wo die ersten Christen gelebt haben, wo Christengemeinden zuerst entstanden sind, zum Beispiel in Antiochien, heute auch in der Türkei. Am meisten aber liegt Targu die Versöhnung der geteilten Kirchen am Herzen. Da seien ganz schlimme Brüche geschehen. Die grösste Verletzung hätte das byzantinische Reich durch die römische Kirche erfahren, als die Kreuzritter 1240 Konstantinopel geplündert hätten und dort das neurömische Reich ausriefen. Targu schildert mir ausführlich, warum die Feldzüge des Osmanischen Reiches und die Eroberung von Konstantinopel 1453 im Grunde als Rache für diese Demütigung angesehen werden müssten. Die osmanischen Sultane in Bursa seien nämlich familiär mit dem Adel von Byzanz verbunden gewesen, vor allem über Ehefrauen.
Ich hatte gedacht, dass Targu in Verbindung zu einer evangelischen Gruppe stehe. Aber er ist der katholischen Kirche in Izmir verbunden und will sich dort später auch taufen lassen. Er fühlt sich aber auch der Orthodoxie stark verbunden, kennt den Patriarchen in Istambul und ist dort oft für grössere religiöse Feste. Er freut sich darüber, dass der letzte Papst vor einigen Jahren die Reliquien der Stadtheiligen von Konstantinopel zurückgegeben hat, die vor Zeiten dort gestohlen worden sind wie auch viele andere Sachen, die jetzt noch in Rom sind.
Targu glaubt auch, dass die Götter der früheren Völker reale Mächte sind, die nicht immer sorgsam genug von den neuen Völkern verabschiedet oder bekehrt worden seien. Sie sind für ihn im Untergrund oder im Kosmos oft als «Bengel» wirksam. Ich halte dem entgegen, dass der Götterkosmos doch immer derselbe ist, nur von den Religionen und Völkern anders benannt und teils besser oder schlechter erkannt und verehrt. So habe das Christentum die Engel, die Heiligen, und in der Apokalypse gebe es auch die 7 Geister, die 4 Wesen usw. Trotzdem glaubt Targu an die Dämonie der alten Götter, die hier weiterwirken in Hemmnissen und Schwierigkeiten des Landes, der Politik, auch in Aberglaube, Hexerei usw. Da sei viel Heilungsarbeit nötig. Die grösste Heilkraft sei, dass Christus erkannt werde, der Herr über alle diese Mächte sei und sie heilen, befreie könne. Wir hätten die Liebe Christi zu leben, um zu zeigen, dass es auch anders geht. Diese Liebe sei die neue Schöpfung. Darum ist für Targu das Christentum ein wichtiger Faktor für diesen Boden. Und weiter müsse daran gearbeitet werden, dass die Türkei zur EU komme. Das gehöre mit zu dem Heilungsprozess.
Wir kommen dann auch auf den Drachen zu sprechen, von dem in der Offenbarung die Rede ist. Dieses Gespräch wäre ein eigner Exkurs, den ich bei Gelegenheit weiter ausführen will. Im 12. Kap. wird der Satan von Michael aus dem Himmel geworfen. Er ist nun auf der Erde und hat einen grossen Zorn. Dieser Zorn, und das was in der Apokalypse nachher mit den Tieren aus dem Abgrund geschildert wird, hat sicher zu tun mit dem Übel, das uns in der Welt begegnet. Auf den Kampf und die Verwandlung dieses Übels werde ich meine Aufmerksamkeit noch mehr zu richten haben.
Dann laufen wir durch das Dorf. Es regnet und windet. Er zeigt mir die zerfallene Kirche oben an dem wunderbaren Aussichtspunkt. Zwischen Bergketten sieht man weit hinunter fast bis zum Meer. Diese Berghügel links und rechts, so erzählt Targu, enthielten ausgebaute Höhlengänge mit vielen Kammern, die bis in die hetitische Zeit zurück gingen. Er könne mir Eingangstore zeigen. Allerdings enthielten die Grotten giftige Dämpfe, sodass man nicht weit hinein gehen könne. Er bemüht sich auch um den Aufbau der zerfallenen Kirche. Über die EU wolle er ein Projekt eingeben.
Dann zeigt er mir das alte Spital und Doktorhaus, beides wunderbar renovierte alte Häuser, die reichen Geschäftsleuten gehören, die selten da sind. An einem Haus weist er auf die Stelle, wo vor wenigen Jahren noch ein Davidstern war. Jetzt ist er entfernt. Daneben ein Löwe, der noch zur Hälfte sichtbar ist. Die zweite Kirche in Sirince ist teils renoviert dank der e Spende eines Amerikaners. Die Kirche gehöre der orthodoxen Gemeinde in Istambul. Ein mal im Jahr finde da ein Gottesdienst statt. Die Kirche ist Johannes dem Täufer geweiht. In den erhaltenen Freskos erkennt Targu den Gral. Er bietet mich, hier ein Gebet zu sprechen, wie schon vorher beim Mahl. Ich schlage vor, dass wir singen. Ich würde genre Improvisieren. So stimmen wir ein in Anklänge an orthodoxe Gesänge mit Phantasielauten, abwechslungsweise, teils miteinander. Dieses Singen tut gut. Es weckt in mir die Bereitschaft und das Bedürfnis nach dem Gebet. Mit Blick hinauf in die aufgebrochene Kuppel bete ich laut zu Gott auf seinem Thron, ich rufe die vier Wesen an und die 24 Ältesten samt der Engel. Auch das Bild vom Wegbereiter, der Johannes war, hilft mir, die Bitte um das Kommen des Reiches in Worte zu bringen. Dann verharren wir lange in Schweigen, bis andere Touristen kommen.
Eingang zur Kirche des Täufers in Sirence
Der Mittelstein wird von der Sieben gekrönt
Kelch mit Christus in der
Kirche des Täufers
Targu vor seinem Haus
Targus Vater war türkischstämmiger Grieche aus Tessaloniki, verheiratet mit einer Deutschen. Die Familie lebte lange in Ismir. Hier hat Targu sein Türkisch gelenrt. Und in dieser Zeit kaufte der Vater, ein Architekt, ein schönes Haus in Sirince, das er wunderbar renoviert hat. In diesem Haus hat Targu über Jahre eine Pension betrieben und vor allem die Istambuler New Age Szene beherrbergt. Mit seiner Bekehrung vor zwei Jahren hat Targu mit dieser Welt gebrochen. Er hat das Gefühl, dass sein Haus teils entweiht worden ist. Darum will er es jetzt gründlich renovieren und neu gestalten, mit Andachtsräumen und privaten Gebetskammern. Doch dabei hat er sich etwas viel vorgenommen. Mir scheint, dass ihm das Projekt etwas über den Kopf gewachsen ist. Alles ist eine Baustelle, er schläft in einem Schuppen nebenan. Ich hoffe, dass er die Kurve kriegt. Er wird auch Unterstützung brauchen. Das Haus ist an sich ein Juwel. Den Sitzplatz hat er bereits neu gestaltet. Eine perfekte Massarbeit, stilvolle Gartenmöbel aus Metall.
Noch schnell schauen wir bei einer Frau vorbei, die Stoffe verkauft und vor zwei Jahren Christin wurde, zusammen mit ihrem Mann. Wie sie sieht, dass ich als Pfarrer eine Zigarette rauche, ist sie verblüfft und irgendwie auch froh. Sie habe es nämlich noch nicht geschafft, das Rauchen zu lassen, obwohl zu zum Glauben gekommen sei. Die Frau hat freundliche leuchtende Augen. Ob man von ihrer Bekehrung hier im Dorf wisse? Nicht richtig, sagt sie. Aber man ahne, dass sie mit Gott lebe, könne das aber nicht richtig einordnen, wolle es auch nicht.
Wir trinken noch Kaffee bis es dunkel wird. Ich gehe dann zurück, weil in der «ephesus protestant church» eine Andacht stattfindet.
Die Andacht in der «ephesus protestant church» Wir sitzen in einer Art Stube im Kreis. Zwei junge türkische Mädchen, ein Boy, eine etwa dreissigjährige Türkin, eine ältere Enländerin und Guy, ein francophoner Kanadier, der die Andacht mit viel Begeisterung und Liebe leitet. Ich werde sofort integriert,
man übersetzt mir und alle erzählen zuerst, was in ihrem Leben so dran ist, was Sorgen bereitet, was gut läuft. Dann wird gesungen aus
einem türkischen Liederbuch. Die beiden jungen Mädchen dürfen die Lieder wählen. Sie sind auch die besten Sängerinnen (neben Guy). Die Melodien sind orientalisch. Wunderbar klingen mir die hellen Stimmen der Mädchen ins Herz. Sie singen voller Freunde und Kraft.
Dann wir reihum gebetet. Jeder und jede formuliert mit geschlossenen Augen innige Bitten. Das sind alles geübte Beter und Beterinnen. Zur Lektüre wird Joh. 9 gelesen, die Heilung des Bildgeborenen. Vers um Vers wird besprochen. Jesu Heilpraxis ist Anlass
für ein Gelächter. Alle amüsieren sich über den auf den Boden spukenden Jesus, der dann die Schmiere auch noch aufnimmt und dem Bilden an die Augen klebt. Guy zieht dann Linien zu unser aller Blindenheilung, dass uns die Augen auf das Heil aufgehen mögen.
Fenster des Evangelischen Gemeindehauses in Selcuk
Zu Besuch bei Guy
Guy lebt alleine etwas ausserhalb der Altstadt. Er fragt mich, ob ich noch vorbeikomme. Er macht Feuer und kocht uns einen feinen Salbeitee mit Pinienhonig. Er ist von Beruf Geologe, macht Forschungen über die Gesteine und die Erdbebengefahren. In seinem Arbeitszimmer hat er eine professionelle Filmkamera, mit der er sich aufnehmen kann und so gewisse Ergebnisse an TV-Stationen geben kann. In seiner Freizeit leitet er Andachten oder gibt Bibelunterricht.
Er weiss viel zu berichten über Christengemeinden in der Türkei, über ihre rechtliche Lage usw.
Auch weiss er viel zu berichten über wenig bekannte archäologische Attraktionen in der Umgebung sowie über die Geschichte von Ephesus. Er glaubt, dass bei der Altstadt über dem Artemistempel bereits die jonische Stadt war und dass diese weiter existiert habe, als die Griechen und die Römer ihr Ephesus etwas Stadt weiter südlich errichtet haben. Dort seine die Paläste gestanden, da man in der Altstadt überall Marmor finde, wo gegraben wird.
Ephesus habe teils bis zu 300'000 Einwohner gehabt. Er finde auf seinen Fussmärschen Ziegel von alten Häusern bis weit in die Berge hinein.
Die eigentliche Leidenschaft von Guy ist aber die Mythenforschung. Er zeigt mir eine grosse Powerpoint-Präsentation, auf welcher er seine Erkenntnisse darstellt. Er vergleicht die Mythen der Inder, Babylonier, der Griechen ja aller Völker und findet universale messianische Motive, zum Beispiel die Hülle, welche vor der Urflut schützt und neues Leben auf die Erde bringt, oder das Ausharren im Warten auf den weggegangenen Geliebten usw. Die ganzen Forschungen sind in eine Metaphysik eingebetet, wonach das Wort Gottes die Schöpfung sichtbar macht und aus diesem Buch der Schöpfung liesst die Seele die Mythen, welche wieder zu Wort werden. Ein grosser Teil seiner Forschung besteht darin, die Verwandtschaft der Worte in allen Kulturen aufzuzeigen, welche aus Lautbildern kommen und die entsprechenden Gegenstände charakterisieren. Ich habe nicht alles verstanden. Seine Begeisterung kannte keine Grenzen. Um 11 nachts hat seine Freundin angerufen. Er habe noch Besuch, sagt er. Als sie eine Stunde später wieder anrief, verabschiedete ich mich schnell. Ich wollte ja noch soviel aufschreiben über den heutigen Tag.
Das mit den messianischen Motiven bei allen Völkern kam meiner Sicht der Apokalypse sehr entgegen. Christus ist ein universales Prinzip (Im Anfang war der Logos, aus dem alles geworden ist … Joh. 1). Sein Wirken ist in der ganzen Schöpfung, in allen Völkern und deren Mythen. So zeigen die mythischen Bilder der Johannesoffenbarung auch den Weg der weiteren Geschichte als Universalgeschichte und Kosmologie. Es geht da nicht bloss um die Kirchen. Es geht um den Menschen, die Menschheit, die ganze Erde. Alles soll über Krisen und Läuterungen durch die Zeitalter hindurch verwandelt werden zur neuen Schöpfung. Im Himmel ist alles dazu bereits veranlagt. Johannes hat es geschaut, wie Christus durch seine Hingabe, sein Opfer, die Geschicke der Zukunft in die Hand genommen hat und sie zusammen mit allen Himmlischen auch auf Erden offenbaren wird. Und das ist eigentlich die Offenbarung Jesus Christi, von dem das letzte Buch der Bibel spricht.
Den Abend verbringe ich nun wieder in einem Teehaus. Ich schreibe an meinem Laptop, an den andern Tischen wird gespielt: Okey Oyunu (der Teeboy schreibt mir das Wort auf). Alkohol wird keiner ausgeschenkt, nur Tee. Und alle rauchen - was für ein Qualm. Der Fernseher läuft ständig, in jedem Teehaus, Blödelsendungen, die aber kaum beachtet werden, solange gespielt wird. So, nun aber ab ins Internetcafe!
Donnerstag, 24.11.2005| Ephesus/Selcuk
Heute führe ich am Vormittag das Tagebuch nach. Gestern war ja ein Tag mit vielen Begegnungen, sodass ich am Abend nicht mehr ins Internetcafe gehen konnte. Draussen regnet es. Das ist der richtige Tag, um endlich einmal im Internetcafe einige grobe Schnitzer auf der Homepage in Ordnung zu bringen. Bevor ich da hingehe ruft mich Oja, die Schwester von Dervis, noch zu einem Tee. Eine weitere Schwester ist auf Besuch, die sie mir vorstellen will. Da entsteht das Foto unten in der Mitte.
Beim Frühstück im Homeros
Teepause im Aufenthaltsraum der Pension Homeros
Dervis auf dem Markt in Selcuk
Im Internetkaffe versuche ich in bei den ersten Kapiteln die Kommentare und Bilder in Ordnung zu bringen, aber stosse da auf Schwierigkeiten. Ich werde es morgen wieder versuchen. Endlich komme ich dazu, E-Mail abzurufen und zu beantworten. So wird es dunkel und für den geplanten Museumsbesuch reicht es nicht mehr. Bevor ich essen gehe, kehre ich schnell zur Pension zurück und bleibe da hängen. Zwei Männer aus Polen, die mit 20 Jahren ihre Heimat verlassen haben, um in Amerika und Kanada ihr Glück zu suchen, haben ihre Bleibe nach 16 Jahren aufgegeben und benutzen die Rückkehr nach Polen für eine Reise nach Indien, Tibet, Sikkim, Pakistan, Iran und Türkei. Nun sind sie nach einem Jahr Reisen kurz vor ihrer Heimkehr in Polen, das inzwischen zur EU gehört. Da kommen wir ins Gespräch. Sie bieten mir Oliven, Tomaten, Käse und Brot an, sodass ich gar nicht auswärts gehen muss. Eine Australierin aus Neu Guinea gesellt sich zu uns.
Ich erfahre viel über die Jugend der beiden während der kommunistischen Zeit. Die Wende kam während ihrer Ausbildung. Sogleich haben sie die Heimat verlassen und suchten in New York ihr Glück, später in Kanada. Beide haben nun einen kanadischen Pass. Sie lieben Amerika, aber das Heimweh hat sie eingeholt. Von ihren Reisen gab es viel zu erzählen, Sikkim - eine Perle, ein Geheimtipp. Sie wollten eigentlich noch in den fernen Osten bis Thailand. Aber Indien war so reich, so vielfältig, so billig, dass sie dort blieben.
Später gesellt sich auch Dervis, der die Pension führt, zu uns. Da kommen wir auch auf den Glauben zu sprechen. Der eine Pole, für den die Religion ein kulturelles Phänomen ist, fragt mich, wie ich zum Glauben gekommen sei. Ich merke, dass noch kaum jemand so interessiert mir diese Frage gestellt hat. Nach langem Nachdenken antworte ich: durch Nachdenken.
Es wird spät und Dervis will Feierabend. Ich frage noch nach den Fischen, die er gestern so stolz präsentiert hat – er ist ein Hobbyfischer. Was er damit gemacht habe? Er hätte sie eingefroren für den Tag, wo er sie mit jemandem essen wolle, zum Beispiel morgen mit uns. Das ist ein Angebot. So sind wir morgen auf 6 Uhr bei ihm zum Fischessen eingeladen und können weiter plaudern.
Freitag, 25.11.2005| Ephesus/Selcuk
Heute Morgen beginne ich mit der Auslegung des ersten Kapitels, der Berufungsvision. In meinem Kämmerlein stelle ich die Eigenschaften des Menschensohns zusammen, so wie ihn Johannes erblickt. Er erscheint inmitten der sieben Leuchter, hat Augen wie Flammen, einen goldenen Gürtel usw. (>>> zur Erklärung der Wiederkunft Christi) Diese Wesenszüge lassen sich teils den sieben Gemeinden zuordnen, denn an jede Gemeinde richtet sich der Menschensohn mit einer spezifischen Selbstcharakterisierung, z.B.: «Dem Engel der Gemeinde in "Ephesus" schreibe: Das sagt, der da hält die sieben Sterne in seiner Rechten, der da wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern.»
Dann beginne ich über dieses erste Bild zu schreiben: Christus wandelnd inmitten der sieben Leuchter, welche die sieben Gemeinden bedeuten. Das ist ein wunderbares Bild. Christus ist seinen Gemeinden verbunden. Da habe ich wieder eine ziemlich spekulative Abhandlung geschrieben, die ich dann morgen noch einmal überprüfen will.
Das Museum von Ephesus
Am Nachmittag besuche ich das Museum von Ephesus. Da befindet sich die Statue der Artemis, die erst spät ausgegraben worden ist, sodass sie nicht wie viele andere Fundein die Museen europäischer Stadte gewandert ist. Die Statue ist der Stolz des Museums. Aufgefallen ist mir auch die monströse Skulptur von Kaiser Domitian, der sich in Ephesus einen eigenen, ebenso monströsen Tempel hat bauen lassen. Die Teile seiner gigantischen Statue wurden in Ephesus bei seinem Tempel gefunden. Domitian war Kaiser, als Johannes in Ephesus gewirkt hat. Unter Domition gab es erste Christenverfolgungen.
Für den späten Nachmittag habe ich mir die alte Hafenanlage in der Nähe von Ephesus vorgenommen: Notion und Klaros. Guy, der Kanadier, hatte mir die Orte vorgestern empfohlen. Doch unterweg beginnt es so stark zu regnen, dass ich wieder umkehre und ins Internetcafe gehe, um vor dem Fischessen noch etwas von mir zu melden.
Beim Fischmahl Der
Abend im Haus von Dervis mit den beiden Polen und einem Paar aus Neuseeland wird lange. Noch einmal komme ich mit dem einen Polen, mit Silvester, in schöne Gespräche über den Glauben. Er hat in Indien viel aufgenommen, z.B. die Schriften von Vivekananda und Sri Aurobindo. Die Frömmigkeit der Inder hat ihn beeindruckt. Wir sprechen über den Polytheismus in Indien. Das sei doch eindrücklich: Das, was wir von den Römern und Griechen nur aus Geschichtsbüchern nehmen können – ihre vielen Götter – das sei in Indien lebendig, praktiziert. Was vor dem Aufkommen der monotheistischen Religionen alle Völker pflegten, das ist in Indien live erlebbar.
Dervis hat in seinem Haus auch eine befreundete Familie, Vater, Mutter und Kind. Ob die auch hier wohnen? Nein, antwortet Dervis, aber sie sind immer da. Wenn ich sie rauswerfe, kommen sie durch den Kamin. So tanzt Dervis auf zwei Hochzeiten, ist mal bei uns, mal mit dem jungen Paar vor dem Fernseher. Ich setze mich auch einige Zeit zu ihnen. Das siebenjährige Kind zeichnet den ganzen Abend in einer Zeitschrift auf die unbedruckten weissen Flächen. Irgendwann bin ich gar nicht mehr so sicher, wer hier wen braucht. Dervis ist Jungeselle mit seinen 36 Jahren – hier eher ungewöhnlich. Indem diese junge Familile oft da ist, hat er Gemeinschaft. Und auch diese Paar fühlt sich vielleicht wohler, wenn sie zwischendrin nicht nur unter sich sind. Es wa schliesslich Freitageabend.
Dann bin ich noch lange mit den beiden Polen oben in der Pension. Der eine kennt sich gut aus mit meiner Camera und weiss auch den Lapdop souverän zu bedienen. Er hat vor 10 Jahren Grafiker gelernt. Ich lerne von ihm einiges. Dann schauen wir meine Bildersammlung zur Apokalypse an. Es macht Freude, mit solchen Kunstkennern die Bilder anzuschauen. Vor allem die modernen Umsetzungen haben ihnen viel Eindruck gemacht. Spät in der Nacht kommt Dervis und fordert uns zum Schlafen auf.
Samstag, 26.11.2005| Ephesus/Selcuk
Heute regnet es den ganzen Tag in Strömen. Dervis sagt, dass sie glücklich seien über diesen Regen. Der Sommer und Herbst sei sehr trocken gewesesn. Der Regen könne durchaus bis Weihnachten anhaltgen.
Ich nutze den Tag, um an der Homepage zu arbeiten. Ich mache die Bildergalerie mit den Bildern aus der Zwinglibibel fertig. Nun kann man dort einen ersten Zyklus anschauen. >>> Zu den 21 Bildern von Hans Holbein in der Zwinglibibel von 1531.
Erst gegen vier Uhr nachmittags gehe ich raus. Habe fast vergessen, dass heute ja grosser Marktag ist. Doch der ist noch voll in Betrieb, Bauernbetriebe präsentieren ihr Gemüse, 200 Meter links und rechts der Strasse. Dann Kleider und Utensilien aller Art.
Da steht plötzlich Targu vor mir, den ich vor drei Tagen in Sirençe kennen gelernt habe. Ich gehe mit ihm einen Tee trinken, bei dem er den letzten Buss nach Siriçe verpasst. Er versucht ihn noch zu erreichen, kommt aber wieder zurück. In zwei Stunden wird ein Freund ihn hier abholen. So haben wir noch einmal zwei Stunden, um über unsere Themen ins Gespräch zu kommen. Dazu essen wir etwas Kleines.
Zweite Begegnung mit Targu
Targu erzählt mir heute von seiner Bekehrung. Aber ich beginne mit dem Anfang unseres Gesprächs. Er meinte, dass wir auf schwierige Zeiten zu gehen. Er spüre das energetisch. Es hänge mit dem Zusammentreffen der geistigen Strömungen in diesem Land und auch in Europa zusammen: die alten Mythen und ihre Götter, der Islam, das Christentum und die Esoterik. Wenn aber diese Konflikte und Auseinandersetzungen bewältigt werden könnten, dann komme eine grosse Geisteserneuerung über Europa, eine «Wurzelkraft», wie er es nannte.
Mein Verhältnis zu meiner Kirche: Von mir will er genau wissen, wie es mir mit meinen breiten Interessen in der Kirche gehe, ob ich da zurecht komme. Ich erzähle ihm vom Theologiestudium, das ich zwei Mal begonnen habe, das zweite Mal mit mehr Willen und Bewusstheit. Ich hätte mich schon hin und wieder am falschen Ort gefühlt und sei in den Augen der Professoren wohl oft als ein seltsamer Kerl erschienen. Dann aber im Beruf hätte ich mich sehr mit meiner Kirche identifiziert und in den letzten Jahren auch ihre Geschichte etwas erforscht.
Ich erzähle ihm dann von der Offenheit und Weite unserer Kirche, und dass es in der Theologie einen reichen Pluralismus gebe. Als Katholik ist Targu sehr interessiert an allem, was ich ihm über Hans Urs von Balthasar berichte. Dieser kurz vor seinem Tod noch zum Kardinal erhobene Basler «Kirchenvater» habe in vielem tiefer geblickt und sei mit einer Seherin verbunden gewesen, mit der Adrienne von Spyer, von der ich ein dickes Buch über die Apokalypse mit auf die Reise genommen habe.
Ich mache Targu auch vertraut mit dem Schrifttum von Valentin Tomberg, der als reformierter Christ in Lettland aufgewachsen eng mit Rudolf Steiner arbeitete, dann aber die Sofia-Mystik der orthodoxen Kirche so stark angenommen hat, dass er aus der Anthroposophischen Gesellschaft ausgeschlossen worden ist und katholisch wurde. Als Katholik hat er sein späteres Werk verfasst, in welchem er für die künftige Zeit Theologie und Hermetik zu versöhnen versucht habe. Zu dessen Werken, die in den letzen 20 Jahren veröffentlicht wurden, hat Hans Urs von Balthasar jeweils das Vorwort geschrieben, oft zusammen mit dem Münchner Philosophen Robert Saemann.
Die Evangelischen in der Türkei: Ich frage ihn nach der Einschätzung der reformierten Kirchen hier in der Türkei, auch im Hinblick auf seine Hinwendung zur Katholischen Kirche, in der er bleiben und – so Gott will – auch noch Theologie studieren will, in Rom. Er erzählt mir von einer Begegnung mit einem Amerikaner, der für seine evangelische Kirche für die Türkei zuständig ist. Für ihn habe der Mann eine fremdartige Energie ausgestrahlt – halt amerikanisch. Aber er lebte in grosse Liebe für die Leute hier und für seine Arbeit. Das Problem der Evangelischen in der Türkei sei, dass sie hier keine festen Strukturen, keinen festen Sitz habe. Das sei anders bei den alteingesessenen Kirchen. Ohne die etablierte Struktur laufe man stets in Fallen. Da seien tatsächlich Leute für den Glauben gekauft worden und in den türkischen Medien habe das ein schiefes Licht auf die Evangelischem geworfen. Teils würden die evangelistischen Gruppen einander auch konkurrenzieren. Die Frage sei, welche Interessen sich letztlich hinter den Missionsgesellschaften verbergen, Interessen, welche die Einzelnen an der Front oft selber nicht kennen können. Bei der Mission, die aus Amerika gesteuert ist, sei er sich da nicht immer so sicher, worum es genau geht.
Michaelische Mission: Nochmals nennt mir Targu seine hohen Ziele, für die er wirken will zur Heilung der Türkei: Die Versöhnung der christlichen Kirchen hier am Orte ihrer Entstehung, die Versöhnung der Türken mit Griechenland, die Integration in die EU.
Diese Mission steht für ihn in Beziehung zum Erzengel Michael und sie steht in Beziehung zu seiner Bekehrung.
Vorher erzählt er mir viel über die Verunreinigung, die der Mensch im Leib, aber vor allem im Geiste auf sich laden könne. Er sei ein übler Bengel gewesen, auch in frühen Inkarnationen. Nun aber habe er die Quelle des Heils in Christus gefunden, die Liebe, welche alle Verunreinigungen läutern und wandeln könne. Quais aus Dankbarkeit für dieses Angebot, diese Gnade, habe er auch etwas geben wollen. Seit drei Jahren lebe er ohne die drei Sachen, die er sehr geliebt habe: Zigaretten, Alkohol und die Frauen. Doch das sei keine Last. Für alles, was man hingebe, opfere, erhalte man vieles zurück.
Ich frage nach seiner Bekehrung, wie sie stattgefunden habe. Es war vor 3 Jahren im Jahr 2002. Er sei vor der zerfallenen Kirche in Sirinçe gesessen und habe in die Abendsonne geblickt, dazu innig gebetet zu Christus und zum Erzengel Michael. Er hätte um Vergebung gefleht, Vergebung von all seinen Verunreinigungen. Da sei es passiert und ein Bild am Himmel habe ihm geholfen, das Geschehen zu verstehen. Da sei plötzlich eine ganz schwarze Wolke am Himmel erschienen. Während er in die Sonne geblickt habe, sei es gewesen, als ob alle seine Verunreinigungen aus ihm heraus gingen, hinaus zu jener Wolke. Ein Schwarm von schwarzen Gedanken sei aus ihm gefahren und sei in die Wolke gegangen, um dort im Nu aufgelöst zu werden. Plötzlich war die Wolke weg.
Für Ihn steht diese Erfahrung in Beziehung zum Erzengel Michael und auch zu seiner Berufung, für dieses Land zu wirken. Seither habe er keinen freien Willen mehr. Aber er sei mit der Abmachung zufrieden. Er lebe jetzt besser und könne mehr für andere dasein. Zu den Andern rechnet er auch die Jenseitigen, die Geister und die Verstorbenen, die ebenso auf die Liebe in Christus angewiesen seien, um mit Gott leben zu können. So lebe er nun in zwei Welten, im Jenseits und im Diesseits, und beiderorts gebe es viel Arbeit. Seitdem er seine eigenen Interessen zurückgesetzt habe, um Gott zu dienen, erfahre er eine umso grössere Unterstützung. Er fühle sich verbunden mit jenen, die für ihn das Beste wollen. Das sei wie eine geistige Familie. Er sei nun kein Waisenkind mehr auf Erden, und der Glaube sei nicht mehr nur ein Hirngespinnst.
Dann erzählt er mit mit grosser Bestimmtheit und Überzeugungskraft, dass die Jenseitigen sehr beschränkt seien im Wirken für die Erde aber auch für die Himmel. Auf Erden in einem menschlichen Körper hätten wir Möglichkeiten, ja Missionen, die nur hier als Mensch vollbracht werden könnten. Auf der Erde sei es möglich, andere Menschen viel klarer auf das Heil hin anzusprechen, es seien Heilungen möglich von Einzelnen, von Familien, Sippen und Völkerschaften, wie es vom Jenseits aus nicht möglich sei.
Vom Wesen des Bösen: Dann kommen wir auf ein Gebiet zu sprechen, über das ich in Zukunft noch mehr Acht geben will, auch im Zusammenhang mit der Apokalypse: auf den Ursprung und Sinn des Bösen, auf die Mechanismen, wie das Übel fortgepflanzt wird und wie es sich ernährt.
Targu trägt mir eine ausgeprägte Metaphysik
des Bösen vor, eine Art Dämonologie oder gar Satankunde, über die ich zuerst selber noch etwas nachdenken muss. Trotzdem versuche ich seine Ideen wiederzugeben.
Wir kommen auf die Hure Babylon zu sprechen, die in der Apokalypse eine grosse Rolle spielt. Er erzählt mir aus dem babylonischen Epos Gilgamesch. Da gebe es den Kult um Gott Anu und um Isthar, die auch Venus ist. Im Gilgameschepos werde der Kult für Isthar geschildert. Ihr wurden nicht irgendwelche Gaben von Feld und Stall geopfert, sondern der Geschlechtsakt. Die Göttin habe sich ernährt von dem, was beim Geschlechtsakt der Tempelprostitution geistig entstanden sein. Die Priesterinnen hätten die Kunst beherrscht, den Akt so anzuleiten, dass Isthar zu ihrem Recht gekommen sei. Das hätte damals zum geistigen Kosmos gepasst, sei dann aber degeneriert worden und gehe weiter bis in die heutige Zeit, wo mit Pornographie nicht nur viel Geld gemacht werden, sondern damit auch die alten, stehen gebliebenen Geister genährt würden. So werde die Hure Babylon am Leben erhalten, die derzeit daran sei, sich machtvoll zu gebärden und viele Anhänger hätte.
Ähnlich sei
es mit andern Übeln, die uns das Leben schwer und dunkel machen, mit Zorn, Hass, Schmerzen zufügen, Gewalt usw. Da seinen die alten Geister, welche nichts anderes kennen und sich von dem nähren, was Menschen sich antun. Wo Menschen einander Leid antun, da sei die physische Seite nur das eine. Wie der Geschlechtsakt in der Seele ein Gebilde produziert, so auch all das, was Menschen an Freuden und Leiden erfahren. Diese Gebilde seien das Lebenselement der Geister verschiedener Art.
Ich frage, ob denn diese üblen Geister von Gott geduldet werden, ob er sie nicht bremsen könnte, ob sie ihm vom Karren gefallen sind und ein eigenes Reich bilden usw.
Er meint, dass Gott sie durchaus besiegen, verwandeln könnte, aber er würde sie eher zulasse – für eine gewisse Zeit – warum, wisse er auch nicht. Doch müsse man bedenken, dass diese Bösewichte ja durch uns selber, durch die Menschen, verursacht und weitergepflanzt würden. Das sei so seit Adam, die Ursünde habe das Übel in die Welt gebracht, wo es kraft der Menschen gewachsen ist und immer neu Nahrung findet. Es ist wie eine ansteckende Krankheit. Die Welt des Bösen sei von den Menschen verursacht und genährt, gehöre zur Entwicklung des Menschengeschlechts.
Dann zeichnet Targu so etwas wie einen Stammbaum auf. Die oberste Einheit steht in Verbindung zu einer unteren Gruppe, diese wiederum verzweigen und vervielfachen sich weiter nach unten usw. So wie das Licht, die Liebe, das Schöne unter uns Menschen von den Engeln gesehen wird und von ihnen aus wiederum von noch höheren miterlebt wird, so sei es auch mit dem Reich des Bösen. Da seien niedere Geister an der Basis, die sich vom Übel nähren, diese stehen in Verbindung zu höheren, die sich von dem nähren, was von den unteren Geistern komme usw. bis hinauf zum Fürsten der Finsternis.
Wenn nun irgendwo eine Verbindung gekappt wird durch den Anschluss an Gottes Liebe, so habe das Auswirkungen gegen oben und gegen unten. Die oben erhalten weniger Nahrung und die unten werden plötzlich von andern Kräften überstrahlt, von dem, was jetzt von Gott her fliesst. Diese Unteren würden dann plötzlich nach Gott fragen und ihn auch finden, da niemand mehr über ihnen das Böse will, sich vom Bösen nährt. Die Bekehrung der höheren bösen Geister auf Erden und im Himmel sei darum eine besonders wirksame Mission … sie könne den Weg zu Gott bahnen für ganze Völker.
Was mir aus dem Gespräch auch noch geblieben ist: Targu will sein Haus in Siriçe zu einem Ort des Friedens machen, wo in diesem Sinne gearbeitet wird: für die Heilung des Landes, der Menschen, der Geister – im Dienste Michaels und in der Kraft der Liebe Christi. Er schilderte mir heute selber noch das, was diesem Projekt entgegen steht (Guy hatte mir am Mittwoch davon erzählt). Da erfahre ich, was das für eine Gratwanderung das ist, wenn man mit solchen Gedanken lebt. Unsere säkulare Weltsicht ist auch eine Wohltat, wenn man nicht überall Geister wittert oder einen Dämon oder Fluch zu bannen hat.
Ich halte mich an die Vernunft und im Glauben an das Licht Christi. Vorläufig sind die Engel, die Dämonen, der Teufel, Babylon, die sieben Geister Gottes usw. für mich Bilder der Seele, die für Realitäten stehen, die mir nicht zugänglich sind. Will ich überhaupt, dass sie mir zugänglich sind? Was ich weiss, ist, dass der Mensch zuerst ganz stark und heil im Leben zu stehen hat, bevor ihm diese Welten aufgehen. Sonst ist er überfordert damit. Mag sein, dass es auch eine gewisse Askese braucht, eine seelische Lauterkeit, um überhaupt erwürdigt zu werden, dass der Himmel sich auftut. Dass das möglich ist, davon bin ich überzeugt.
Zu Gast auf einer Hochzeit
Es reichte nicht mehr ins Internetcafe, es war bereits 10 Uhr, wie ich mit schreiben aufgehört habe, als die Batterie des Laptop auf 1% sank. Auf dem Heimweg hörte ich Musik. So brachte ich meinen Laptop heim und musste um 10 Uhr bereits die Mama des Hauses aus dem Schlaf wecken – in unserer Pension kriegt man keinen Hausschlüssel. Die Mamma überwacht, wer wann wie weggeht. So wacht sie erneut auf, kommt daher, wie ich nochmals rauswill, um die Musik zu suchen. Sie fragt, was ich denn um diese Zeit noch suche. Zur Musik wolle ich gehen.
Da ist einige 100 Meter entfernt eine Hochzeit. Jenes grosse Restaurant haben sie gemietet, wo ich am Dienstagabend am Feuer sass. Ich werde willkommen geheissen. Gegen 300 Leute sitzen wie in Theaterbestuhlung, vorne an einem Tischchen die Braut und der Bräutigam. Es ist so etwas wie eine Abendunterhaltung. Eine Musik spielt immer wieder, jemand erzählt etwas über das Mikrophon, es wird getanzt.
Da gibt es je nach Musik verschiedene Tanzrunden. Einmal tanzen nur die jungen Männer mit dem Bräutigam. Es gibt gute Tänzer und etwas unsicherere. Die guten Tänzer treten oft miteinander tanzend in Beziehung, werden in die Mitte genommen und liefern eine spezielle Show, von allen angefeuert.
Auch alte Männer, Frauen und Kinder tanzen, schliesslich auch ich, nach dem ich mir der x-ten Aufforderung zum Mittanzen nicht mehr erwehren kann. Es ist eine sehr ekstatisch-rhythmische Musik. Sie erinnert mich daran, dass die Türken ursprünglich aus der Mongolei kommen und vor dem Islam eine schamaistische Religion hatten.
Morgen gehe ich zum Sterbehaus der Maria, 10 km von hier auf einem Berg. Dort findet eine katholische Messe statt. Targu wird dort sein und mir den ehemaligen Bischof von Ismir vorstellen, einen alten Franziskaner aus Italien. Die katholische Kirche sei hier überhaupt sehr italienisch dominiert.
Sonntag, 27.11.2005| Ephesus/Selcuk
Ich stehe früh auf, um vor dem Gotttesdienst noch ins Internetcafe zu kommen. Ein herrlicher Tag, Sonne, viel Wärme. Ich ziehe – weil es Sonntag ist – meinen schönen Mantel an, aber er ist zu warm. Das Internetcafe ist noch geschlossen, so dass ich Tee trinken gehe und den gestrigen Eintrag noch etwas bereinige.
Nach dem Frühstück fahre ich die 10 km den Hügel hinaus. Beim Parkplatz sage ich, dass ich zur Messe gehe. So muss ich den Eintritt für das Sterbehaus der Maria nicht bezahlen. Die Messe in der Kapelle hat eben begonnen. Gegen 20 Leute waren da. Mir wird von einer Nonne ein Platz angewiesen und ein Heft in die Hände gedrückt mit den liturgischen Texten, halb englisch, teils türkisch. Der ältere Priester hält eine kurze, herzliche Predigt zum ersten Advent. Jesus sei auf Erden gewesen. Trotzdem kommt er. Er kommt in unsere Herzen. Darum beten wir. Bei der Gabenbereitung singen zwei jüngere Frauen ein wunderbares Lied. Wie ich nachher erfahre, seien sie von einer der Nonnen gefragt worden, ob sie das tun könnten. Ich kommuniziere wie alle anderen. Zwischen drin wandern Ströme von einfachen türkischen Familien durch die Kirche. Die Stühle waren so angeordnet, dass die Pilger trotzdem durch die Kirche gehen konnten. Der zelebrierende Priester hat ihnen freundlich zugelächelt. Einige erhoben die Hände zum Gebet, voller Andacht. Diese Muslime verstehen die Heiligekeit des Ortes und zeigten Respekt für den Gottesdienst. Mirjam wird auch von den Muslimen sehr verehrt. Die Geschichte dieses Sterbehauses will ich hier nur kurz erwähnen. Maria soll mit Johannes, dem Lieblingsjünger, nach Ephesus gekommen und hier verstorben sein. Das ist eine Gechichte für sich, die sicher der Präsenz der Kirche vor Ort dient. Die Seherin Katharina von Emmerich hat im 19 Jh. den Ort als Sterbehaus der Maria beschrieben. Einen einer Nonne hat ihn 1892 entdeckt und erworben. Eine Initiative aus Basel erkannte die Bedeutung des Ortes. 1950 wurde ertsmals (wieder) eine Messer gefeiert, auch Papst Pius XII hat den Ort besucht. Heute ist er ein bedeutender Pilgerort, von Franziskanern betreut und von vielen Muslimen besucht, die Maria (die neue Artemis) auch ehren.
Einer der drei Franziskaner- brüder beim Sterbehaus
Ein der drei franziskanischen Schwestern beim Sterbehaus
Auch das Paar, das gestern geheiratet hat, besucht heute mit Angehörigen das Sterbehaus der Maria
Messe im Sterbehaus der Maria am Sonntagmorgen
Simon aus Ankara besucht am Abend das Sterbehaus
Nach dem Gottesdienst rede ich mit einem der Brüder, einem Kappuziner aus Italien. Dann auch mit dem Priester, der 10 Jahre in Ankara war, dann 10 Jahre in Istambul. Er kennt die Frömmigkeit der türkischen Muslime. Er meinte, dass die Zeit für die Mission noch nicht reif sei. Zu tief seien da die Wunden. Er habe grossen Respekt vor dem Glauben der Muslime.
Mit den beiden deutschen Frauen esse ich etwas, sie gehören einem franziskanischen Orden an, den sie nun aber verlasssen haben, um einen neuen Orden aufzubauen: «Die Gemeinschaft des neues Weges vom Heiligen Franziskus».
Ich sause dann endlich durch die Ruinen des alten Ephesus. Ich habe sie schon mehrmals gesehen – mit den Gruppenreisen. Heute kann ich etwas abseits der Hauptroute allerlei entdecken. Weil das Wetter so schön ist, fahre ich auch noch nach Klaros, 20 km von hier. Ich muss mich beeilen, da ich auf 18 Uhr bei den Schweizern (siehe Di) eingeladen bin. Da nimm ich aber einen Autostopper auf, der sich nach kurzen Gespräch als katholischer Christ aus Ankara zu erkennen gibt. Er hat über das Wochenende seine Brudergemeinde in Ismir besucht, per Flugzeug. Bevor er heute mit dem Bus wieder heimfährt, wollte er noch zum Sterbehaus der Maria. Es dunkelte aber bereits. So fahre ich mit ihm da rauf. Er wusste um meine Eile und fragt, ob ich ihm 10 Minuten gebe. So gehe auch ich nochmals zum Sterbehaus der Maria. Er kniet inbrünstig vor ihrer Statue und betet. Ich zünde 4 Kerzen an, eine hatte ich schon am Vormittag angezündet. Bei diesem Besuch berührt mich die Maria erstmals etwas im Herzen. Sie ist die göttlische Liebe in weiblischer Gestalt. Dann bringe ich Simon zum Bussbahnhof. Ich fragte ihn noch, wie er zum christlichen Glauben gekommen sei. Er sagte: von sich aus, er habe selber gesucht und gefunden. Er nennt Gott Allah.
Bei den Schweizern fahre ich schnell vorbei, um zu fragen, ob ich auch ewas später kommen könne, um endlich die Internetseite zu aktualisierne. Es ist kein Problem. So schreibe ich schnell diese Worte und nun ab ins Internetcafe.
Nachtessen bei dem Ehepaar aus der Schweiz
Bei einem feinen Essen und einer Flasche türkischem Rotwein plaudern wir bis spät am Abend. Die beiden sind sehr interessiert an meinen Erfahrungen vor 30 Jahren, als ich über Land nach Indien gereist bin. Vor allem meine Begegnungen mit dem Islam interessieren sie, da ich in Kontakt gekommen war mit islamischer Mission. Ich hatte damals den Islam nahe kennen gelernt, sodass wir ausgiebig über theologische Fragen diskutieren können. Sie sind beide theologisch gebildet, haben sich im Mennonitenseminar kennen gelernt - die Mennoniten sind die frühen Täufer, welche von den Reformatoren teils vertrieben worden sind.
Eine Frage diskutieren wir ausführlich: Inwiefern wir als Christen einem Muslim sagen können, dass selber Muslime sind, Gottergebene, wie das übersetzt heisst. Für Muslime wird nämlich der Mensch schon als Muslim geboren. Sie kennen die Erbsünde nicht. Und auch Adam, Eva, Noah, Abraham, Mose, Jesus usw. - sie alle werden als Muslime bezeichnet, da sie an Gott glaubten. In diesem Sinne ist «Muslim» ein sehr weiter Begriff. Allerdings gehört auch dazu, dass man Mohammed als letzten Propheten anerkennt. Was aber diese Anerkennung heisst, wird auch unter den Muslimen diskutiert, vor allem in den Folgen, was es für das praktische Leben und die religiösen Pflichten bedeutet.
Heute geht es weiter nach Ismir, in den Ort der Gemeinde von Smyrna. Vorher besuche ich noch das Grab des Johannes. Es ist still an diesem Ort. Noch bin ich der einzige Pilger. Überall liegen Steine herum, Kapitelle mit Kreuzen und Christusmonogrammen. Die frühere Basilika aus dem 6. Jh., die an der Stelle einer älteren Grabkirche von Justinian und Theodora errichtet worden ist, war eine der grössten Kirche der Gegend. Wie ich in einer Inschrift lese, die von den amerikanischen Restauratoren aufgestellt worden ist, sei die Kirche die siebtgrösste je gebaute der Christenheit. Und man hätte sie noch grösser gemacht, wenn der Platz auf dem Felsen gereicht hätte.
Die Basilika wurde zu einem geistigen Zentrum, zu einem Ort des Studiums, der Verehrung, der Diskussion - ein wichtiger Pilgerort über alle Zeiten. Ich las gestern die bewegte Geschichte des Baus. Seit dem 9. Jh. Immer wieder erobert von Arabern, Türken, dann wieder von den Katalanen, den Kreuzrittern, den Veneziern - als Kirche genutzt, dann als Basar, als Lagerhaus, als Moschee, wieder als Kirche usw. Berichte aus verschiedenen Zeiten, Pilgerberichte von Christen oder Beschreibungen muslimischer Historiker, dokumentieren die Geschichte relativ lückenlos. Der Ort unter der grossen Festungsanlage war immer umstritten. Hier noch ein Bild von der rekonstruierten Kirche oben in der Anlage:
Nach der Legende und frühen Zeugnissen aus der Schülerschaft des Apokalyptikers soll Johannes nach der Verbannung in Patmos nach Ephesus zurückgekehrt sein und dort nicht nur die Gemeinden betreut, sondern auch sein Evangelium geschrieben haben. Dieses nimmt vieles auf von dem neuen Geist, der mit Ephesus verbunden ist. Aus dieser Stadt kam Homer, der Philosoph Heraklit hat hier gewirkt, es gab eigentliche Mysterienstätten. Im Zentrum stand die Frage nach dem Logos (dem Wort) und seinem Verhältnis zu den Göttern und Mythen. Man war nicht mehr zufrieden mit den alten Göttergeschichten und Mythologien. Denn in Ephesus kamen so viele verschiedene Mythen und Kulte zusammen, dass nach der Einheit gefragt wurde, nach dem, was hinter all diesen verschiedenen Geschichten für alle Menschen gleichermassen gilt und nachvollziehbar ist. Es war die Zeit gekommen, wo die Menschen denkend sich der Wahrheit nähern wollten.
Die Philosophen führten alles auf den Geist zurück, auf das Wort, das im Denken sich manifestiert. Johannes schrieb nun in seinem Evangelium, dass im Anfang das Wort war und dass alles aus diesem Wort, das bei Gott war, entstanden ist. Dieses Wort sei Fleisch geworden, sie hätten es erblickt in der Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes und würden Zeugnis davon geben. Im ganzen Evangelium weht dieser Geist des Logos, der auch die Wahrheit ist und der Weg und das Leben. Zum Johannesevangelium gehört auch die Verheissung des Parakleten, der uns in die ganze Wahrheit führen soll. Diesem Wort, das unsere Bibel mit «der Tröster» übersetzt, muss ich dann noch nachgehen. Ich habe Muslime kennen gelernt, die in diesen Worten über den Parakleten die Verheissung des Korans erblicken. In diesem Sinne sehen sie in Mohamed den letzten Propheten, der in die ganze Wahrheit führt. Johannes habe so die Herabkunft des Korans verkündet. Doch der Paraklet muss eher eine innere Offenbarung in jedem Menschen sein.
Bevor ich nun weiterreise, blicke ich kurz auf die erste Woche zurück. Begegnungen prägen die sieben Tage in Ephesus, weniger das Studium. Gestern Abend hatte ich das Gefühl, dass nicht eine Woche in jeder Gemeinde, sondern ein Monat nötig wäre, um sich richtig mit dem Ort zu verbinden. Noch habe ich Adressen von Leuten, die ich gerne aufgesucht hätte, zu, Beispiel ein anglikanisches Ehepaar, das auf dem Weg nach Sirinçe wohnt und dort einen Gebetskreis führt. Oder die Freikirchen in Kusadasi, dem etwa 14 km von hier gelegenen Hafen.
Mit der Auslegung der Johannesoffenbarung bin ich nicht weit gekommen. Ich machte mir einmal Gedanken über den inmitten der sieben Leuchter wandelnden Menschensohn, dem Bild, in dem Christus den Engel der Gemeinde in Ephesus anspricht. Ephesus hat mit dieser Siebenheit zu tun, also auch mit den 7 Geistern vor Gott und mit den sieben Engeln. Ephesus steht für den Anfang, das Ganze, den Überblick, die Sicht auf alle sieben Gemeinden und ihre Zeiten. Verheissen wird Ephesus, vom Baum des Lebens zu essen. Der Cherub steht nicht mehr vor dem Paradies. Das Tor ist offen und der Weg zum Baum, der ewiges Leben spendet, ist geebnet. Advent! Ephesus, hier wo Johannes begraben ist, wurden die Grundlagen der künftigen Kirche offenbar.