Die Woche in Smyrna (Izmir): Mo. 28.11.05 bis So. 4.12.05
In der ersten Adventswoche des Jahres 2005 weile ich in Izmir, einer geschichtsträchtigen Stadt an der Westküste der Türkei, heute mit über drei Millionen Einwohnern . Die Stadt wurde früher Smyrna genannt. Es ist der Ort der zweiten von jenen sieben Christengemeinden, an welche Johannes seine Offenbarung adressiert hat.
Heute Vormittag besuchte ich zum Abschied von Ephesus noch die Basilika, wo der Apokalyptiker Johannes begraben liegt. Mehr dazu hier >>> Grabmahl des Johannes.
Wie ich dann gepackt habe und die Pension zahlen will, merke ich, dass ich noch Geld wechseln muss. Auf der Bank, wo man wie auf der St. Galler Hauptpost eine Nummer erhält und lange warten muss, traf ich Guy, den Kanadischen Christen, den ich am Mittwochabend besucht habe. Wir sitzen noch für einen Tee auf die Gasse, lassen und die Schuhe putzen und kommen in ein tiefes Gespräch über die Messianität Jeus, welche die Muslime ablehnen.
Islamische Gruppen in der Türkei
Vorerst erzählt er mir über die Muslime in der Türkei, die relativ leicht zu überblicken seinen im Vergleich etwa zu Syrien oder Libanon. Offiziell dominiert hier der sunnitische Islam. Aber etwa 10 bis 20 Prozent seinen Aleviten. Der Staat könne die Zahl nicht genau nennen, da viele Türken ihre alevitischen Wurzeln verschweigen – aus Angst. In den dreissiger Jahren habe es eine grosse Verfolgung der Aleviten gegeben. Die Aleviten sind Schiiten, aber solche, die den Islam sehr frei interpretieren. Guy ist aufgefallen, dass gegen 60 Prozent der Muslime in der Türkei, die das Christentum angenommen haben, alevitische Wurzeln haben. Diese hätten es leichter. Das Christentum sein ihnen näher. Auch sieht Guy sofort, ob er in einem Alevitenquartier ist. Viele Aleviten seien in den 30er-Jahren aus dem Osten nach Anatolien gekommen. Es gebe hier ganze alevitische Dörfer. Die Frauen würden dort offener herumlaufen. Der Ursprung der Alevititen sei bis heute ein Rätsel, man wisse nicht recht, wie diese Variante des Islam entstanden sei.
Ich spitze auch meine Ohren, als er von einem «Bektasch» erzählt, der den Islam vor etwa 500 Jahren sehr frei interpretiert habe. Ich meine zuerst, dass er von einem Philosophen der Gegenwart spricht. Doch habe dieser Bektasch schon damals über philosophische Erwägungen zu einer sehr offenen Interpretation des Korans gefunden, er habe sogar Wein getrunken. Dem will ich noch nachgehen - nicht dem Wein, aber dem Bektasch.
Jesus, der Messias?
Dann kommen Guy und ich auf den Anspruch des Islams zu sprechen, mit dem Koran die endgültige Prophetie und Offenbarung zu besitzen. Guy will mir beweisen, warum der Koran nicht vom Himmel gekommen sein könne, wie er das beansprucht. Da seien zu viele Ungereimtheiten. Das alte Testament sei demgegenüber ein ehrliches «Geschichtsbuch», keine direkte Offenbarung von oben. Hier seien reale Erfahrungen der Israeliten mit ihrem Gott wiedergegeben. Dieses geschichtliche Erbe habe Mohamed gefehlt. Er habe dies und das vernommen von ignoranten Juden oder Christen und habe es für bare Münze genommen. Das lasse sich zeigen, da er vieles aus der jüdischen Überlieferung verwechselt habe. Mirjam wird zum Beispiel plötzlich zur Frau des Moses. Sie ist aber die Schwester usw. Vor allem habe Mohamed keine Ahnung gehabt von der Messiaserwartung oder der Messiasüberlieferung, dass er der König der Könige ist. Der Messias sei kein Prophet. Der Messias bringe nicht nur das Wort Gottes, sondern sei es. Er denke wie Gott, sei göttlich. Im Koran werde zwar Jesus Messi genannt, aber seine Funktion, der Titel des Messias, sei Mohamed völlige fremd.
Ich bringe dann allerlei theologische Erwägungen vor, dass auch die Juden nicht ganz sicher seien, was der Messias sei und dass vor allem die christliche Interpretation des Messias heute etwas differenzierter betrachtet werde. Die Theologie habe aufgezeichnet, wie der Messiastitel durch die Christen im griechisch denkenden Umfeld weiterentwickelt wurde, so dass die Juden sich darin nicht mehr erkennen. Etwa der Titel «Sohn Gottes» stamme eher aus der griechischen Götterwelt. Und die vielen Vorahnungen des Jesus im alten Testament würden heute vorsichtiger im Blick auf die Juden betrachtet.
Dann argumentiert Guy mit dem leidenden Gottesknecht in Jesaia 52 und 53, auch mit den Gottessohnvorstellungen in Psalm 2. Die ägyptischen Vorbilder vom König, der bei der Inthronisation als Sohn Gottes bestätigt wurden, lässt er nur bedingt gelten. Israel habe das Bild auf den Messias gedeutet und sei selber auf die Idee des Messias als Sohn Gottes gekommen.
Guy verfolgt viele Diskussionen auch über Internet. So ist er bestens informiert über die messianischen Juden, die sich zu Christus bekennen und über die Argumente von jüdischer Seite dagegen, die ihn bis jetzt nicht überzeugen konnten.
Doch geht es in unserer Diskussion letztlich um die Messianität Jesu, vor allem im Hinblick auf den Koran, der von dieser keinen klaren Begriff habe. Mohamed seien die jüdischen Messiaserwartungen nur teilweise vertraut gewesen. Darum habe er Jesus in die Reihe der Propheten eingeordnet. Wie er selber soll Jesus ein Buch geoffenbart haben, dass aber verloren ging und in den Evangelien unvollkommen überliefert ist. Darum habe noch einmal ein Prophet kommen müssen, dessen Buch rein überliefert worden ist – nach Auffassung der Muslime.
Ich sage Guy, dass die Theologie vor allem den Titel des «Menschensohns» auf sich angewandt haben mag – eine vom Propheten Daniel stammende Tradition.
Dann äussere ich mich auch in diese Richtung, dass ich ein Christusbild suche, das so offen wie möglich sei zu den andern Religionen und zu der säkularen Welt. Dieses finde ich in der Philosophie, in der Logosphilosophie.
Auch dazu bringt Guy biblisch fundierte Gegenargumente. Die Philosophie habe ihre Grenzen. Jesus habe nicht eine neue Religion gebracht, sondern durch seine Auferstehung eine Beziehung zu ihm selber ermöglicht, die zum Heil führe.
Dann will er mir die Grenzen der Philosophie plausibel machen, aber auch deren Nutzen. Er habe in Aserbeitschan gewirkt. Da seien die Leute durch die Schulung im Denken dank des Marxismus offener für das Christentum als die Muslime in der Türkei, die durch den Islam kaum gelernt hätten, selber und frei zu denken.
Fahrt nach Izmir, Hotelsuche
Plötzlich, es ist schon nach drei, schaue ich auf die Uhr und verabschiede mich abrupt. Ich muss mich auf den Weg machen, wenn ich noch bei Tag in Izmir ankommen will.
Ich wähle die Autobahn, um schnell vorwärts zu kommen. Gegen vier Uhr erreiche ich Izmir, aber da zeigen die Wegweise nur noch Quartier an, die ich nicht kenne. Gegen eine halbe Stunde bin ich im dreispurigen Stau, wo ganz wild die Spur gewechselt wird. An diese Fahrweise muss ich mich langsam gewöhnen. Ich halte mich an das Messegelende und an den Bahnhof im Zentrum. Irgendwo halte ich an, und man zeigt mir auf der Karte, wo ich bin. Ich lasse mir erklären, wo die Hotels sind, die ich prüfen will. Wie ich weiterfahre, garat ich wieder auf eine Art Autobahn, von der ich in ein Industrieareal ausweiche, um weiter zu fragen. Da kommt ein junge Mann, der mir erkären will, wie ich fahren soll. Dann sagt er, dass er in die Nähe müsse und mich führen könne. Wir kommen tatsächlich zum Bahnhof, aber können nirgends anhalten oder parkieren. Wie wir bei einem Taxiplatz halten, kommt ein alter Herr, der meint, dass er uns zum Parkplatz eines der von mir aufgeschriebenen Hotels führen könne – er ist ein Schlepper. Der junge Mann ist unsicher, ob er den Alten auch noch ins Auto lassen soll. Aber Parkplätze gibt es hier kaum – das sagten mir gestern schon die Schweizer in Selçuk –, sodass wir ihn reinlassen. Keiner kann nur ein Wort Englisch. Aber wir werden gut geführt zum Hotel Baylan, wo ich vom Parkwächter eingewiesen werde und an der Rezeption ein Zimmer für 45 Franken angeboten erhalte. Ich märte es runter auf 40.
Nun sitze ich da und bin glücklich, zufrieden. Ich hatte nämlich etwas Angst vor dem Suchen eines Hotels in der grossen Stadt. Eventuell hätte ich da oder dort noch etwas Billigeres finden können. Aber der Ausblick ist optimal, habe nun auch einen Fernseher. Mit dem Internetanschluss aber klappt es nicht, wie mir versprochen worden ist. Ob es da in Internetcafe gebe. Die beste Adresse sein das Hotel Hilton, 5 Minuten von hier – wo morgen übrigens ein Empfang der in der Türkei lebenden Schweizer stattfindet, zu dem mich die Schweizer in Selçuk mit eingeladen haben.
Nun habe ich mich eingerichtet und sehe von meinem Fenster und Arbeitsplatz aus auf die Krone der Stadt, das Castell und viele Moschen. Was will ich mehr? Ich geniesse hier auch eine gewisse Anonymität, die ich in Selçuk nicht hatte in dem Familienbetrieb.
Gegen 10 Uhr nachts geh ich raus. Ich bin da mitten in der Altstadt. Überall sind noch Läden offen, wird Essen angeboten und auch ein Barbier hat noch einen Kunden. In einem kleinen Raum esse ich etwas. Ich wähle zwei Gemüse aus, die dort in grossen Töpfen gekocht neben vielem anderem angeboten werden. Bohnen und Spinat. Davon erhalte ich je einen Teller mit Brot und bezahle 2 Franken für das Ganze.
Dann laufe ich noch zum Hotel Hilton. Das Internetcafe ist nebenan. Ich kann da um 23 Uhr meine Daten problemlos übermitteln.
Dienstag, 29.11.2005| Smyrna /Izmir
Schon gestern, als auf den Minaretten in Izmir zum Nachtgebet gerufen wurde, war ich überrascht, befremdet, ja amüsiert über diese wehmütig aus vielen Lautsprechern ertönenden Rufgesänge. Sie setzen nicht miteinander an, sondern immer kam noch ein Rufer dazu. Und heute Morgen war es vor dem Sonnenaufgang, als erwache ich in einer fremden Welt. Die Glockenschläge bei uns, die manche stören, sind da geradezu harmlos. Man muss wohl einige Zeit hier gelebt haben, um nicht mehr zu erwachen. Oder man nimmt den Ruf als Anlass, aufzustehen und selber zu beten. Ob es möglich ist, das kleine Filmchen aufs Netz zu bringen? Ich versuche es: >>> Gebetsruf über Izmir (Achtung: 4MB).
Zur Auslegungsgeschichte der Johannesoffenbarung
Beim reichhaltigen Frühstücke merke ich, dass in meinem Hotel Baylan (Tel. 0031 232 483 14 26) keine Touristen sind, eher türkische Geschäftsleute. Weil ich hier viel Ruhe habe in meinem schönen Zimmer, lese ich über die Auslegungsgeschichte der Offenbarung bei Wilhelm Bousset, einem grossen Theologen um 1890. Da begegne ich den grossen Auslegungstraditionen, bei denen ich mich stets frage, wo ich selber stehe. Lange dominierte die welt- oder kirchengeschichtliche Auslegung, bei der die Bilder der Johannesoffenbarung auf die geschichtlichen Ereignisse der jeweiligen Gegenwart gedeutet worden sind. Vom Mittelalter her wirkte mächtig nach die Sicht des Johannes de Fiore, welcher bereits die Kirche mit dem Antichristen, mit Babylon und dem Tier aus dem Abgrund identifiziert hat. Er hoffte auf das 1000-jährige Reich, das bald anbrechen sollte und die Zeit der Kirche ablösen wird durch ein Zeitalter des Geistes, angeführt von Mönchen. Die Franziskaner haben seine Ideen aufgegriffen und variiert. Was ich aber nicht wusste ist, dass dieser Joachim auch die Vorgänger der Reformation beeinflusst hat, bis hin zu Luther. Der grosse Reformator hat das Tier aus dem Abgrund mit dem Papsttum identifiziert. Noch in der Zwinglibibel ist die Hure Babylon mit den Insignien des Papsttums geschmückt. >>> Zum Bilderzyklus der Zwinglibibel
Überrascht hat mich dann, dass als Gegenbewegung die katholischen Jesuiten schon im 17. Jahrhundert eine zeitgeschichtliche Deutung in die Wege geleitet haben, welche die Bilder der Offenbarung nur auf das damalige römische Reich deuteten. Diese Linie hat sich in der theologischen Wissenschaft, die willkürliche Spekulationen vermeiden will, durchgesetzt, allerdings ergänzt durch religionsgeschichtliche Erwägungen. Denn nicht alle Bilder lassen sich aus den geschichtlichen Umständen des frühesten Christentums erklären. Die mythologischen Bilder sind altes allgemeines Religionsgut, das offen ist für viele, auch neue Deutungen. Die Pietisten und amerikanischen Fundamentalisten pflegen die welt- oder kirchengeschichtliche Deutung bis heute, wenn sie in Saddam etwa den Antikchristen erblicken wollten, der zur Endschlacht in Harmagedon hätte führen sollen.
Begegnung mir Nuri
Wie ich gegen Mittag zu einem Tee durch die Gassen gehe, bleibe ich vor einem Teehaus stehen. Ich höre apokalyptische Schreie und sehe, wie in dem Teehaus gegen 10 Männer einen Film schauen. Ich setze mich rein an den Tisch eines jungen Mannes, der mir in perfektem Deutsch den Namen des Films nennt: der Kriege der Welten von Steven Spielberg.
Der Mann um die Dreissig erzählt mir, wie er als Fussballer in Deutschland und in der Schweiz gearbeitet hat und nun als Reiseleiter auf Anfrage arbeite. Gerne würde er wieder in die Schweiz gehen, aber das gehe ja nicht.
Wir trinken Tee, schauen zum einen Teil den Film, zum andern Teil sprechen wir miteinander. Wir kommen auch auf das Thema Religion. Seine Eltern sind sehr fromm, die Mutter habe ihm vieles aus dem Koran erklärt. So kann er mir, als ich die Enzeiterwartungen des Christentums vortrage, sagen, was der Islam zur Endzeit sagt. Da werde es eine Endschlacht geben zwischen den Christen und den Muslimen. Die Christen und Juden würden besiegt und dann komme Jesus wieder vom Himmel und werde die Christen überzeugen von der Überlegenheit des Koran. Ich muss diesen Lehren nachgehen, sie überprüfen, ob das wirklich so vom Koran gelehrt wird. Der junge Mann sagt mir aber, dass er als einziger in der Familie nicht religiöse sei. Er glaube an Gott, aber nicht an ein Leben nach dem Tod. Bei diesem Thema bleiben wir. Ich frage ihn, ob er auch schon einen Menschen habe sterben sehen. Er habe sogar Menschen getötet! Da bin ich fast erschrocken, schockiert. Er erzählt mir von seiner Zeit in der Armee, von Einsätzen im Osten gegen jene Aufständischen und «Kolonialisten» (ich will hier nicht schreiben, welche Mächte und Nationen er nannte), die den Osten der Türkei begehren wegen der Bodenschätze und der strategisch wichtigen Lage. Wegen diesen Tötungen habe er keine Probleme. Das gehöre zum Leben. Entweder er oder der andere habe sterben müssen. Ich erzähle ihm dann, wie die Schweiz lange ohne Krieg war und das mir diese Erfahrungen fremd seinen. Ja, die Schweiz sei eine kluge Nation. Die hätten stets andere Wege gefunden.
Wir fantasieren über eine Führung durch Izmir, die wir zusammen machen könnten. Er sei jeden Tag in dem Teehaus. Da könne ich ihn wieder treffen. Was ich noch anführen will: Er behauptete, dass Izmir nicht 3 Millionen Einwohner habe, wie es offiziell heisst, sondern 6 bis 8 Millionen und Istambul sogar 18 Millionen statt, wie gesagt wird, 8 Millionen. Ob das glaubwürdig ist?
Wieder im Hotel will ich die Geschichte der Auslegung der Johannesoffenbarung für die Homepage aufbereiten. Da sehe ich aber, dass ich über die Apokalypse als literarische Gattung vor Monaten einen Text angefangen habe. Den beendige ich und mache ihn bereit für die Homepage >>> zu den Sichtweisen: Die literarische Gattung Apokalypse.
Empfang der Schweizer im Hotel Hilton
Ich muss dann abrupt abbrechen, da um 18.30 Uhr ein Empfang der im Westen der Türkei lebenden Schweizer im Hotel Hilton stattfindet. Ich hatte von dem Schweizer Ehepaar in Selçuk davon erfahren. Das Hotel Hilton ist in Izmir ein Begriff. Es ist der höchste und vornehmste Bau der Stadt. Zuoberst versammeln sich die Exilschweizer, darunter auch heimgekehrte Türken mit Schweizer Pass.
Hier lerne ich verschiedene Leute kennen. Nach dem Apéro sprechen der Schweizer Botschafter in Ankara, ein Herr Giger, dann der Generalkonsul aus Istambul, ein Herr Brohi, und schliesslich der Honorarkonsul aus Izmir, ein Türke, der vor allem die wirtschaftlichen Beziehungen erwähnt. Der Botschafter erzählt von einem Hilfsprojekt für Erdbebenopfer, das sich auf die Vorsorge spezialisiert hat. Die Vorbereitung sei wichtig, damit im Notfall richtig gehandelt werde. Das Schweizer Projekt werde nun zu einer Stiftung und es wurden Spender gesucht.
Eine mit einem Rorschacher verheiratete Französin, die an einer Privatschule unterrichtet, hat mir ausführlich von den Erdbeben in den letzen Monaten erzählt. Ihre Schule sei zwei Mal evakuiert worden. Einmal seien sie nachts bei einem Erdbeben mit Stärke 4,7 aufgeschreckt. Sie haben die Nacht in Nachtkleidern draussen verbracht und am Feuer Suppe gekocht.
Ich erhalte auch einige Adressen für den Aufenthalt in Izmir. Man erzählt mir von einem Engländer, der eine alte anglikanische Kirche zu nutzen versucht und monatlich einen Gottesdienst organisiert. Denn alle Kirchen, die nicht ein Mal im Monat gebraucht werden, gehen in den Besitz des Staates über. Weiter erfahre ich von einem Kirchenbasar am Samstag.
Wie der Anlass fertig ist, sitzt ich noch zusammen mit einem Ehepaar, das seit 7 Jahren in Selçuk eine Mandarinenplantage betreibt und mit einer Baslerin, die ihren Lebensabend in Kusadasi verbringt und sich zum alevitischen Islam bekennt. Von ihr erfahre ich, dass der Saat die sunnitischen Moscheen und Vorbeter bezahle, nicht aber jene der Aleviten.
Wie sie gehen, schreibe ich diese Zeilen und spute mich, um noch im Internetcafe die Sache aufs Netz zu bringen. Es ist aber bereits zu spät. Das Cafe ist geschlossen.
Auf dem Heimweg will ich eine Abkürzung nehmen und verlaufe mich. Ein junger Mann geht später mit mir und führt mich sicher. Wir sprechen über Fassball. Generell können die Türken damit umgehen, dass ich aus dem Land komme, das sie aus der WM geworfen hat. Sie nehmen das als Spiel. Doch der Schmerz ist gross. Noch immer wird auf allen Fernsehkanälen jenes Spiel besprochen und verarbeitet.
Mittwoch, 30.11.2005| Smyrna /Izmir
Heute stehe ich früh auf und will vor dem Frühstück in die Altstadt. Ich schlendere den Hügel hinauf durch schmale Gassen, vorbei an teils zerfallen, teils improvisiert und provisorisch zusammengeschusterten Häusern. Viele Bewohner wandern die Wege hinunter. Sie gehen zur Arbeite oder zur Schule. Da ich schon unterwegs bin, entscheide ich mich, bis hinaus zum alten Castel zu gehen, das in der Nacht beleuchtet ist und seit der hellenistischen Zeit als Wahrzeichen der Stadt gilt. Die Altstadt unter dem Castel ist jener Teil des alten Izmir, der beim grossen Brand und bei der Flucht der Griechen 1923 nicht zerstört worden ist. Hin und wieder entdecke ich grosse weisse Marmorquader an der Basis eines Hauses oder einer Treppe. Im Vergleich zur damaligen Baukultur stehen die jetzt heute wild durcheinander gebauten Buden in grossem Kontrast. Abfälle werden teils auf die Strasse geworfen, damit die Katzen und Hunde etwas zu essen finden.
Der Weg ninauf zum Castell über Izmir
Bäcker präsentieren stolz ihr Weissbrot.
ie Burganlage ist imposant. Da oben muss ein riesiger Herrschaftskomplex gestanden haben. Zurück in der Nähe vom Hotel, trinke ich einen Tee. Der Teeverkäufer meint zu meinem Exkurs da rauf, dass ich besser ein Taxi oder den Buss nehmen soll. Es sei gefährlich, durch dies Gebiete zu laufen. Solche Bedenken sind mir aber unterwegs nirgends gekommen, schon gar nicht an diesem sonnig warmen Vormittag.
Die sieben Geister Gottes
Nach dem Morgenessen mache ich mich an die Auslegung der Johannesoffenbarung. Die Zusammenfassung der Auslegungsgeschichte verschiebe ich auf später. Am Vormittag will ich gerne lesen, da ich bis 1 Uhr am offenen Fenster an der Sonne sitzen kann mit Blick hinauf zum Castel.
So orientiere ich mich bei verschiedenen Autoren über die einleitenden Verse 1,1-8. In diesen die Offenbarung eröffnenden Passagen findet sich auch der wunderbare Segensgruss, den Johannes an die sieben Gemeinden richtet.
«Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asien: Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind, und von Jesus Christus, welcher ist der treue Zeuge, der Erstgeborene von den Toten und Herr über die Könige auf Erden! Ihm, der uns liebt und uns erlöst hat von unsern Sünden mit seinem Blut und uns zu Königen und Priestern gemacht hat vor Gott, seinem Vater, ihm sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.» (Apk. 1,4-6)
Auffallend ist, wie hier die Trinität erscheint. Der geheime Gottesname selbst wird dreifach entfaltet. Wie bei Moses sich Gott vorgestellt hat als der, welcher sein wird, so erscheint er hier selber dreifältig durch die drei Zeiten: die Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft. Dann an zweiter Stelle nicht Christus, der Sohn, sondern die sieben Geister. Sie müssen mit der Dynamik des ganzen Buches, der Durchsetzung der Herrschaft Christi auf Erden zusammenhängen.
Diesen «sieben Geister, die vor Gottes Thron sind» und im Segensgruss so prominent erscheinen, gehe ich nach und trage zusammen, was ich finde.
Die sieben Geister haben religionsgeschichtlich einen astralisch-astronomischen Hintergrund, der noch sichtbar ist in den sieben Sternen in der Hand des Menschensohns. Johannes aber sieht sie auch vor dem Thron Gottes als seiende Wesen charakterisiert, als Geister. Sobald diese ihr Werk tun, sind sie auch «sieben Feuerfackeln», «die sieben Augen des Lammes», Geister, die ausgesandt sind auf die Erde, um ihr Werk zu tun. Als solche stehen sie in Beziehung zu den Engeln der sieben Gemeinden.
Ich werde heute Abend versuchen, diese Überlegungen systematisch zusammen zu tragen, um auf dem Link: Die Himmel wenigstens eine erste Gruppe der Himmlischen vorstellen zu können. Jetzt aber muss ich etwas essen und dann im Internetcafe meine heutige und gestrige Arbeit aufs Netz bringen.
Donnerstag, 1.12.2005| Smyrna /Izmir
Wieder gehe ich am Morgen früh raus, noch vor dem Frühstück. Ich geniesse es zu sehen, wie das Leben am Morgen in Gang kommt. Bereits braust der Verkehr, er wird gehandelt, gegessen und Ströme von Menschen gehen zur Arbeit. Diesmal gehe ich in die andere Richtung, in den neuen Stadtteil, wo 1923 alles zerstört worden ist und die Türken von neuem beginnen konnten. Ich komme in eine mondäne Grossstadt, wo kaum eine Frau in Kopftuch trägt, gepflegte Bauten, und breite Strassen. Zuerst durchquere ich die riesige kreisförmige Parkanlage, wo die Messehallen von Izmir stehen. Diesen grünen Flecken haben sich die Leute hier erhalten. Ansonsten ist alle zugebaut. Am Meer stehen noch die rieseigen Betonpfeiler. Man hatte eine Autobahn entlang der Seepromenade geplant. Diese Vorhaben wurde von einer späteren Regierung abgebrochen. Noch stehen die Pfeiler als Denkmahl für eine gar zu sehr auf Aufbruch orientierte Zeit.
Das neue Izmir
Wenn ich diese Stadtteile mit der gestern besuchten Altstadt am Hügel vergleiche, ist es schwer zu glauben, dass das dieselbe Stadt ist. Mein Hotel steht quasi an der Grenze dieser beiden Welten. Täglich beobachte ich eine trostlos arme Familie, die in ihrem Innenhof gesammelten Abfall sortiert. Eine Frau, etwa um die 30, sitzt den ganzen Tag am Fenster und weint oft - wer weiss warum? Und gleich um die Ecke ist auch jenes Restaurant, wo ich zwei Mal für 2 Franken mich satt gegessen habe (heute kollert allerdings bereits mein Magen). Für die fünf Tischchen, die in dem Lokal stehen, arbeiten 5 Männer, einer an der Kasse, einer für die Passanten und drei für den Service. Ich bemerke diese Tatsache vor dem einen der Männer, einem netten Mann um die Dreissig. Er sei froh, dass er hier im Laden seines Onkels überhaupt arbeiten könne.
Zurück zum modernen Teil der Stadt. Ich besuche da einen Migros, verweile sicher eine halbe Stunde und schau mir an, was die Türkei an billigen Sachen produziert. Alles ist da zu haben, wie in den Migros bei uns, aber türkische Ware. Ich will mir eine Lampe (in den Hotelzimmern das Licht oft dämmrig - schlecht zum Lesen) und einen Stecker für meinen Kocher (dreipolige Stecker taugen hier nichts) kaufen. Ich werde aber nicht fündig.
Etwa einen Kilometer wandere ich entlang der breiten Meerpromenade. Hier öffent sich ein Blick auf die Grösse dieser Stadt. So weit das Auge reicht: alles ist überdeckt mit Hochhäusern.
Ein Taxi bringt mich zurück in die Nähe des Bahnhofs - Bahnhof? So dürfte dieses Museum der Eisenbahn kaum genannt werden. Ich weiss nicht wann und wie viele Züge da fahren. Der «basmans» steht jedenfalls wie verlassen da. Drei Gleise enden hier, in der Halle finde ich kaum Leute. Hingegen draussen, da läuft der Verkehr: mit Autos, Taxis, Sammeltaxis, Minibussen, grossen Bussen usw.
Einer der Bahnhöfe im Zentrum Izmirs, morgens 9 Uhr
Beim Bahnhof Acsancac steht eine verschlossene Kirche
Abgebrochener Versuch, entlang der Küste der Stadt Izmir eine Autobahn zu bauen.
Die Strasse entlang der Küste von Izmir, die zur Freude der Bevölkerung von der Autobahn verschont geblieben ist.
Lektüre und Bilderzyklen für das Web gestalten:
Nach dem Frühstück will ich an die Arbeit, will etwas über die «7 Geistern vor Gott» schreiben. Ich habe gestern soviel wichtiges dazu gelesen und gefunden. Aber irgendwie bin in nicht in der Verfassung - der Magen kollert. So wende ich mich einer Arbeit zu, die weniger Konzentration und Inspiration braucht. Zuerst lese ich aus der Einleitung des Buches von Tilman Nagel: Geschichte der Islamischen Theologie. Äusserst spannend und wichtig zu seiner Zeit. Ich lege es aber weg, um mich nicht zu verzetteln. Die zweite Lektüre wird mich sicher weiter beschäftigen: Ulrich Mann; «Theogonische Tage - Die Entwicklungsphasen des Gottesbewusstseins in der altorientalischen und biblischen Religion». Da begegne ich einem lutherischen Theologen, der in vielem mit mir ähnliche Interessen hat. Er wendet sich gegen die dialektischen Theologen um Karl Barth (die unfähig sind, Gottes Wirken in den alten Kulturen und in andern Religionen zu erkennen), gegen die liberalen Theologen (die dem Relativismus verfallen und die Absolutheit des Christentums aufgegeben haben, sie tragen nur Material zusammen) und gegen die Entmythologisierer um Bultmann (die den Lebensatem der Religion, den Mythos und das Symbol, zerstören). Verwurzelt im Denken der grossen religiösen Geister der Neuzeit (Böhme, Hamann, Herder, Hölderlin, Oetinger, Hegel, Baader ...) und im Denken von C.G. Jung versucht er eine Theologie zu skizzieren, die Psychologie, Religionsphilosophie, Religionswissenschaft und Theologie synoptisch (zusammenschauend) verbindet. Nur mit Blick auf die umfassende Geschichte Gottes mit der Seele in andern Kulturen und Religionen sei es heute noch erlaubt, die Absolutheit des Christentums zu vertreten. Als Jungianer betont er, nicht von Gott zu reden, sondern vom menschlichen Bewusstsein Gottes durch alle Zeiten und Kulturen. So wird er nicht wie ich das derzeit tue, sich in Spekulationen über Engel, Geister und Teufel verlieren. Er hat es einfacher. Gott ist überhaupt die Geschichte des religiösen Bewusstsein durch die Zeiten hindurch. Von einem Gott ausserhalb des Bewusstseins zu reden, ist hier müssig.
Dass Gott sich in der Geschichte des religiösen Bewusstseins mit all seinen Kulten und Kunstwerken, Texten und Erfahrungen verwirklicht, das glaube auch ich. Aber für mich ist Gott zugleich transzendent. Wie soll sonst Anbetung möglich sein? Mal schauen, was sie Lektüre weiter bewirk.
Ich arbeite dann an den Bilderzyklen, die ich daheim vorbereitet habe, d.h.: ich habe die Bilder im Computer.
So lassen sich ab heute hoffentlich die Bilder von Cosyns, der die Apokalypse nach dem ersten Weltkrieg ganz eigen und neu gestaltet hat, einsehen. Die Kommentare müssen aber noch ergänzt werden. >>> zum Bilderzyklus Cosyns.
Noch besser aber gelingt mir die Ausstellung der Bilder des Deutschen Rössing, der seine Holzschnitte nach dem Zweiten Weltkrieg geschnitzt hat. Einer meiner Lieblingskünstler! Da experimentiere ich mit neuen grafischen Möglichkeiten und bin ganz zufrieden. Das lässt sich zeigen. >>> zum Bilderzyklus von Rössling
Dann entdecke ich, dass im Link «7 Gemeinden» noch mehr versprochen als geboten wird. Ich habe über die 7 Chakras keine Bücher mitgenommen, sodass der heute entstandene, etwas spekulative Inhalt, später überarbeitet und ergänzt werden muss. >>> Die sieben Chakras
Nun dunkelt es bereits. Es ist fünf Uhr (in der Schweiz vier Uhr). Die Muezzine rufen wieder aus allen Minaretten, per Lautsprecher. Es ist Zeit, dass ich mich auf den Weg mache ins Internetcafe.
Eine kleine, fast christliche Räubergeschichte
Auf dem Heimweg vom Internetcafe, beim Warten auf das grüne Licht vor einem Zebrastreifen, spricht mich ein leicht verwahrloster Mann um die 40 Jahre an: Woher ich komme, was ich hier täte und so weiter. Er erzählt mir, dass er von Istambul komme und hier in Ferien sei. Er liebe diese Stadt. Wie wir dann ein Stück weit den gleichen Weg gehen, erzähle ich ihm von meiner Reise zu den sieben Gemeinden. Zu meinem Erstaunen kennt er sie alle, und wie ich dann auch noch sage, dass ich Pfarrer sei, fällt er mir um den Hals und umarmt mich. Er habe Gott darum gebeten, jemanden zu treffen, der ihm mehr über den Glauben erzählen kann. Dann deutet er an, dass er vor noch nicht vor langer Zeit Christ geworden sein, protestantischer Christ. Ich bin an dieser Geschichte interessiert. Da ich aber noch nicht gegessen habe, lade ich ihn zu einem Nachtessen ein. Er bestellt für mich, isst aber selber nicht. Vielmehr erzählt er mir seine Geschichte.
In armen, aber streng muslimischen Verhältnissen aufgewachsen, hat er mit 12 Jahren bei einem Schuhmacher mitgearbeitet. Das wurde sein Hauptberuf. Später hat er auch andere Gegenstände aus Leder hergestellt. Er war immer Angestellter und hat es in guten Zeiten bis zu 700 Franken im Monat gebracht. Verheiratet und zwei Kinder (17, 20) leben sie alle bei seinen Eltern. Nun aber traf er vor drei Wochen einen Holländer, einen Missionar. Sie sind einen ganzen Abend zusammen gesessen und haben Koran und Bibel verglichen. Irgendwann ist bei ihm die Aussage, dass Jesus im Leben Sinn schenkt, hängen geblieben. Er hat diese Wahrheit im Herz gespürt und dreimal habe er eine zustimmende Stimme in sich gehört.
Der Missionar fragte, ob er sich für diesen Sinn, für diese Nähe zu Jesus ganz entscheiden könnne. Wie Yasar, so heisst der Mann aus Istambul, bejaht, schlägt er ihm die Taufe vor. Tags darauf ist Yasar an einer Halbinsel ins Wasser gestiegen und hat sich taufen lassen. Er hat schon vorher hin und wieder in der Bibel gelesen, nun aber mehr und mehr. Doch verstehe er vieles nicht. Gott hat Dich geschickt, sag er zu mir, und schaut mit inbrünstigem Blick zum Himmel. Ich sei ein Engel, der ihm geschickt wurde.
Dann erzählt er mir von seiner schwierigen Lebenssituation. Ich fragte ihn, was seine Eltern und seine Familie dazu gesagt habe, ob sie es wisse. Ja, meint er, das kann man nicht verschweigen. Ich sagte es ihnen ins Angesicht. - Sie gerieten in grossen Zorn, alle. Mein Vater sagte zu mir, dass er mein Angesicht nicht mehr sehen könne, solange sein Sohn im Abfall vom Glauben lebe. Yasar musste sein Heim verlassen. Er erklärt mir, wie in sehr gläubigen Familien das so Brauch sei. Sie müssten von ihrem Glauben her so handeln. In der Türkei sei der Glaubenswechsel ein heikles Thema, das auch oft in de Medien verhandelt werde. Er erzählt mir von einer berühmten türkischen Schauspielerin, die in einer Kirche sich mit einem orthodoxen Griechen, auch eine Schauspieler, vermählt hat. Das sei in der ganzen Türkei öffentlich diskutiert worden, auch jener Fall, wo ein Schweizer Muslim wurde, um eine Türkin heiraten zu können. In der Regel verliert man seine alten Beziehungen bei einem Glaubenswechsel. Das schmerze ihn aber sehr. Er habe oft auch Sehnsucht nach seinen Freunden und der Familie.
Nun sucht Yasar vorerst in Izmir eine neue Existenz aufzubauen, wie er mir sagt. Aber das sei schwer. Er berichtet mir von der Suche nach Arbeit. Er war bei verschiedenen Schuhmachern, aber die haben selber zu wenig Geld und Arbeit, um zu überleben. Ein Mann habe ihn besonders betroffen gemacht. Er zeigt ihm die armseligen Verhältnisse, den leeren Kühlschrank, die kalte Stube, weil kein Geld für Kohle da ist. Wie er das gesehen habe, hätte er so gerne der Familie geholfen, aber er könne das jetzt auch nicht: Es ist meine grösster Herzenswunsch, für diese Familie etwas kleines zu tun!, sagt er. Denn wenn man gibt, dann wird man erhalten. Die Familie sei nicht weit weg von hier, vielleicht könnten wir etwas tun für sie. Er würde mir gerne zeigen, in welch erbärmlichen Verhältnissen sie leben.
Wir plaudern noch lange bis ich endlich alle die zähen Fleischstücke zerkaut habe.
Ich erkündige mich nach dem holländischen Missionar, ob er noch Kontakt habe zu ihm und von welcher Kirche er sei … Der Missionar habe ihm geschrieben. Er ist jetzt in Bulgarien. Gott hat ihn dort hin gerufen. Er reist alleine. Ich erzähle Yasar von verschiedenen Gemeinden, die es hier gibt, auch in Selçuk und Kusadasi. Christ sei man in der Gemeinschaft. Ja, meint er, diese habe ihm Gott ja heute Abend geschenkt. Ich bringe einige Vorbehalte vor gegen den Missionar. Man kann doch nicht einfach jemand taufen und ihn dann allein lassen? Er verteidigt den Holländer und preist sein Werk, das ganz wichtig sei für die Türkei.
Dann wird Yasar plötzlich unruhig. Komm wir tun etwas Gutes für die Familie, wir kaufen ihnen etwas Gemüse, etwas für das Frühstück, etwas Kohle. Ich bin dabei.
So laufen wir gegen halb zehn nachts durch den Basar, im Nu haben wir eine Tasche voll Gemüse, ich zahle 3 Franken, dann Eier und Butter, ich zahle 4 Franken. Dann fragt er, ob auch ein Huhn drin liege? Das gefrorene grosse Tier kostet 3 Franken - warum nicht. Nun brauchen wir nur noch etwas Kohle. Wir finden sogleich ein Kohlendepot. Aber dies ist schon geschlossen. Ich stelle mir vor, wie wir die arme Familie überraschen und freue mich, habe auch meine Kamera dabei. Da fährt ein Auto vorbei mit drei jungen Leuten und lauter Musik. Sie winken ihm zu, halten kurz an. Der eine er Burschen ist der Sohn eines Schumachers, bei dem er auch nach Arbeit gefragt hat. Yasar erkundigt sich, wo es noch Kohle zu kaufen gibt. Sie wissen es auch nicht und fahren weiter. Dann aber halten sie an und rufen uns. Sie haben sich erinnert, wo es noch Kohle geben könnte. Komm, sagt Yasar, sie fahren uns hin. Wir haben Glück! So geht es los durch schmale Gassen der Altstadt immer höher hinauf.
Ich frage, ob es noch weit ist. Laute Musik erfüllt das Auto, die drei jungen Buschen mustern mich, und mehr und mehr überkommt mich ein etwas zwiespältiges Gefühl. Wie die Fahrt immer weiter geht, hinaus in ziemlichem Tempo, wie Junge hier halt fahren im Ausgang, bin ich ehrlich zu Yasar und sage ihm, dass ich etwas Angst habe, auch sei es spät und er reiche ja mit dem, was wir haben. Er beruhigt mich. Gott ist mir uns, habe keine Angst, wir tun ein gutes Werk. Tatsächlich halten wir irgendwann vor einem Kohlendepot. Yasar sucht den Verkäufer und sagt mir: Gib mir 20 Lira (20 Franken). In meiner Unbeholfenheit, und froh darüber, das es hier wirklich um die Kohle geht, rücke ich 20 Lira raus. Die Burschen schleppen gegen 5 Säcke Kohle in das Auto. Ich erhalte noch 2 Lira zurück. Yasar fragt mich, ob er diese den Burschen geben kann für das Benzin. Das ist in Ordnung. Wieder will ich mich verabschieden, doch Yasar meint, dass er mich hier nicht alleine heim gehen lasse. Komm! Weiter geht die wilde Fahrt bin hinauf bis zum Kastell. Im Stillen überlege ich mir tatsächlich, beim nächsten Halt, wo es Leute gibt, einfach auszusteigen. Yasar beruhigt mich: Wir sind gleich da, noch vorbei beim Polizeiposten und da ist das Haus. Es geht noch etwas weiter, aber wir halten tatsächlich bei einer noch belebten Strasse. Wir klingeln, eine Frau öffnet, eine Tochter ist da, auch das kleine Kind und der Vater. Wir werden kurz in die gut geheizte Stube geführt. Da steht noch das Essen am Boden, auch ein TV gibt es da und vieles, was gar nicht nach Armut aussieht. Nun ja, denke ich. Arm sind die Leute im Vergleich zu uns ohnehin. Dann werden die Männer in einen Extraraum gebeten. Yasar meint, dass wir da über das Evangelium reden können. Ob es mich störe, wenn er mit den Jungs einen Joint rauche. Sie sollen rauchen, sage ich. Ich rauche meine Zigarette. Viele Junge würden da rauchen. Dann zeigt mir Yasar ein Neues Testament mit zwei Spalten, türkisch und englisch. Ich erzähle etwas von der Offenbarung, er liesst den andern das Sendschreiben an Smyrna vor. Die Burschen hören zu. Dann sagt Yasar, dass die jungen Leute gerne noch etwas mehr rauchen würden, ob ich ein wenig Marichuana bezahle. Ich verneine bestimmt und melde an, dass ich gerne heimgehe. Wir plaudern noch etwas über den Koran und die Bibel, auch über die Arbeitssituation der Jungen. Dann aber brechen sie auf. Yasar will mit mir bleiben. Aber ich beharre darauf, dass wir mit ihnen runterfahren. Ich bin froh, wie sie wirklich die Strasse quer die Altstatt hinunter nehmen, eine schmale Gasse, die das Auto ziemlich strapaziert. Irgendwo in der Nähe des Bahnhofs steigen Yasar und ich aus. Ich habe das Bedürfnis, das eben Geschehene mit Yasar noch zu besprechen auf dem Weg zum Bahnhof. Komm, wir trinken da noch ein Bier. Wie wir Platz genommen haben, kommen leicht gekleidete Damen, begrüssen mich mit Handschlag und machen mir schöne Augen. Wo hast du mich da reingeführt. Die Musik ist so laut, dass man kaum sprechen kann. So trinke ich schnell aus und bezahle. Auf dem Weg zum Hotel erklärt mir Yasar, dass er nun die Familie beschenkt habe, doch er habe selber Probleme. Er könne sein Hotel nicht bezahlen. Es koste 10 Lira. Inzwischen war ich etwas skeptisch geworden. Zeig mir Dein Hotel. Wir gehen zusammen durch eine ärmliche Gasse und kommen tatsächlich zu einem einfachen Hotel. Zeige mir Dein Zimmer. Da wird er etwas verlegen, spricht mit dem Hotelier und erhält einen Schlüsse. Er zeigt mir ein Zimmer, wo keine Utensilien sind.
Schnell geh ich mit ihm raus und sage, dass er mich enttäuscht und meine Nerven strapaziert habe. Das sei sein Hotelzimmer, er habe nichts. Nun werde ich etwas selbstbewusster und sage mit Bestimmtheit: Nein. Dann müsse er draussen schlafen … Ich verabschiede mich, gebe ihm die Hand und sage: Gott segne Dich! Ohne Umschweife gehe ich in mein Hotel, dankbar, dass das nochmals gut ausgegangen ist und ich nur 40 Franken Lehrgeld bezahlt habe.
Noch lange beschäftigt mich die Sache im Zimmer. Ich rekonstruiere vor meinen Augen den ganzen Abend und finde da und dort Anhalte, wo ich etwas hätte merken können. Ich traue ihm sogar zu, dass er sich von einem Missionar einmal hat taufen lassen, eher aber erachte ich diese Geschichte im Nachhinein als gut erfunden und überzeugend präsentiert. Ein richtiger Lebenskünstler und Schwindler.
Vermutlich wohnt Yasar in Izmir und bringt sich mit solchen Geschichten durchs Leben. Mir ist aufgefallen, dass das kleine Mädchen sehr zutraulich zu ihm war und er auch die jungen Leute schon länger gekannt haben muss. Nun ja, ihre Aktion ist ja harmlos gegen anderes, was hier Leute tun könnten, um zu Geld zu kommen. Irgendwie muss ich fast etwas Respekt haben vor der perfekten Irreführung. Doch ich nimm auch mich an der Nase: Andreas, soviel Erfahrung hast Du mir Reisen im Orient und lässt dich doch auf so etwas ein.
Sicher hat es auch damit zu tun, dass ich hier in Izmir etwas alleine bin. Das Hotel ist im Vergleich zu jenem in Selçuk anonym. Dort war Familienanschluss möglich und immer gab es Gäste aus aller Welt. Hier gibt es viele Angestellte, die kaum Englisch sprechen, und auch die andern Hotelgäste sind türkische Geschäftsleute, mit denen ich kaum in Kontakt komme.
Der Abend war für mich eine gute Lehre, noch etwas wacher die Menschen zu prüfen.
Freitag, 2.12.2005| Smyrna /Izmir
Begegnung mit einem muslimischen Ingenieur
Heute ist Freitag, der Tag, an dem über Mittag viele Muslime zum Freitagsgebet gehen. Schon am Vormittag erklingen einzelne Botschaften über die Lautsprecher vom Minarett, wie kleine Predigten.
Wie ich gegen Mittag rausgehe, sehe ich, wie die Männer bei der Moschee nebenan auch im Vorhof der Moschee, ja bis hinaus in die Strasse, stehen und beten. Und alle werfen sich miteinander auf dem Boden, um Allah zu preisen. Ich mache einige Fotos und bald spricht mich ein stattlicher Mann an. Das freue ihn, dass ich hier fotografiere und ich so meinen Freunden vom Leben des Islam berichten könne. Heute sei ihr Feiertag, wie die Christen den Sonntag und die Juden den Samstag haben. Allerdings müssten sie am Freitag arbeiten. Der Sonntag habe sich weltweit als arbeitsfrei durchgesetzt.
Der Mann ist sehr gebildet, hat selber mit Kassetten Englisch und Deutsch gelernt. Auch kann er viele Passagen des Korans auswendig. Er rezitiert mir eine Sure und vergisst dabei Tränen. Die Sprache sei so schön, so musikalisch, so rein, dass der Koran leicht auswendig zu lernen sei. Es gebe sicher allein in Izmir mehr als 1000 Leute, die den ganzen Koran auswendig sprechen könnten. Das sei für ihn der Beweis, dass der Koran vom Himmel komme.
Er erklärt mir, dass für ihn auch die Christen und die Juden gläubig sind, auch wenn sie den letzten Propheten noch nicht angenommen hätten. Für das Leben in der anderen Welt sei es aber ganz wichtig, auch Mohamed als Propheten zu akzeptieren.
Vor meinem Beruf als Pfarrer hat er grossen Respekt. Es sei schön, sich mit dem Glauben beschäftigen zu können, und das auch noch als Beruf. Er sei Ingenieur und habe beschränkt Zeit für das Studium. Aber das Lernen im Glauben sei für ihn das Wichtigste im Leben. Er zeigt mir in seiner Tasche ein eben gekauftes digitales Gerät und eine CD. Da sei der ganze Koran auf Türkisch drauf. Den höre er sich an auf langen Reisen oder beim Laufen.
Er erzählt mir während zwei Stunden, stehend vor dem Bahnhof bei der Moschee, Geschichten und Lehren aus dem Koran und den Hadith, den mündlichen Überlieferungen über den Propheten Mohamed. Vieles kenne ich, aber da sind auch neue Elemente. Auch bekannte Lehren sind für mich interessant, sie neu zu hören, weil sie von jedem Menschen mit einer persönlichen Färbung vorgetragen werden.
Der Mann ist sehr emotional gläubig. Immer wieder überkommen ihn die Tränen. Er sagt mir, dass er weine aus Freude und Erfülltheit. Selbst ein Bill Gate, der alles habe, könne diese Freude nicht kaufen. Die werde von Allah geschenkt, so jetzt, wo ihm Gott einen aufmerksamen Zuhörer geschickt habe, der ihm diese Gefühle und Reden ermögliche.
Er geniesst es richtig, die Geschehnis im Leben Mohammeds aufzurollen, z.B. jene, wo Mohamed nach Jerusalem entrückt wurde und dort auf dem Tempelberg so innig angebetet hat, dass er aus seinem Leib entrückt wurde durch alle sieben Himmel hindurch. Dort habe er sich mit allen früheren Propheten unterhalten und auch mit Gott, der ihm aufgetragen hat, die Muslime 50 Mal im Tag beten zu heissen. Doch Mose habe ihn gewarnt. Die Leute seien träge, er habe das selber mit den Juden erfahren. Mohamed habe sich wieder zu Gott gewendet und mit ihm gefeilscht um die Zahl der Gebete. Mose habe immer wieder gesagt: zu viel. Bei fünf wagte Mohamed nicht mehr vor Gott zu treten. So hat er den Muslimen das fünfmalige Beten im Tag auferlegt. Die Geschichte stamme teils aus dem Koran, teils aus den Überlieferungen (Hadith).
Auch erklärt er mir die Unterschiede zwischen Engel, Teufel, Geister und Dämonen. Als Gott Adam geschaffen hat, hätten die Engel ausgerufen. Was soll das, so ein fehlerhaftes Geschöpf zu schaffen. Gott aber habe Adam allem einen Namen geben lassen und die Engel hatten darauf zu hören und sich vor Adam zu verneigen. Nur einer habe sich geweigert, sich vor Adam niederzuwerfen. Er sei aus Feuer geschaffen, dieser aber aus Erde. Aus diesem Engel ist dann Satan entstanden, er ist ein gefallener Engel. Jeder Mensch habe zwei Schutzengel: einen zur Rechten, der die guten Taten aufschreibt und einen zur Linken, der die schlechten Tagen aufschreibt. Wenn der Mensch etwas Gutes tue, könne die schlechte Tat gestrichen werden. Die guten Taten zählen zehnfach. Ebenso habe jeder Mensch seinen Jinn, seinen Dämon, der ihn verführen wolle. Viele weitere Geschichten handelten vom Paradies, wie es zu erwerben ist und was es dort alles zur Erquickung gebe.
Wir kamen auch auf andere Religionen zu reden. Chinesen und Japaner sind für diesen Mann Ungläubige, er habe aber vernommen, wie im Westen viele sich am Buddhismus interessieren. Auch ich versuche ihm die Möglichkeiten dieses Weges zu erläutern, wohl vergeblich.
Vor Jesus hat er grossen Respekt. Er bringt vor mich die Geschichte mit der Jungfrauengeburt. Wie Adam direkt von Gott geschaffen wurde, so auch Jesus. Als man die Maria angriff wegen Ehebruch, habe das Jesuskind sein erstes Wunder vollbracht und als Kind erklärt, dass es von Gott komme. Und dann das andere, dass Jesus nicht gestorben sei. Gott selbst habe sich in einen jesusähnlichen Menschen verwandelt, der am Kreuz gestorben ist, Jesus aber sei lebendig in den Himmel gefahren und komme am Ende der Zeit wieder.
Wenig Verständnis hatte der Mann für das Abendmahl. Er sprach von Kannibalismus, auch der Titel Gottessohn sei falsch. Gott könne keinen Sohn haben, er sei nicht fleischlich.
Wir ich ihm sage, dass der Titel Gottessohn auch in der christlichen Theologie umstritten sei, als griechisch qualifiziert werde, nimmt er meine Hand und dankt mir. Vom Abendmahl kann ich ihm sagen, dass wir Christen das etwas differenzierter handhaben.
Immer wieder kommt er an den Punkt, wo er spüren will, ob ich Mohamed als Propheten akzeptiere. Wenn ich annehme, dass er der Prophet ist, sei ich des ewigen Lebens gewiss.
Ich halte dem entgegen, das allein dieses Bekenntnis zu einem Propheten, den man kaum kennt, doch nicht ins Paradies führen kann. Wichtiger sei es, sein Buch zu lesen und nach den ewigen Regeln Gottes zu leben. Darin sind wir einig, dass es Grundordnungen gibt, die alle Propheten gelehrt haben. Was ist wichtiger: danach zu leben oder einen Propheten als letzen zu bekennen?
Er meint, dass selbst die Evangelien auf einen kommenden Propheten verweisen. Wie ich ihm den Namen des Parakleten aus dem Joahnnesevangelium nenne, nimmt er wieder meine Hand und preist Gott. Im unserer Bibel ist der Paraklet mit Tröster übersetzt oder mit Geist. Der soll kommen und uns in alle Wahrheit führen.
Schliesslich nennt er mit den Namen seines geistlichen Meisters. Er sei Imam, habe viele Bücher geschrieben und lebe jetzt in Amerika. Er heisst Fethullah Gülen, seine Zeitschrift «Zaman». Der Mann treibe in Amerika die Ökumene zwischen den monotheistischen Religionen voran und habe auch Kontakt mit dem Papst. Das alles schreibe ich aber ohne Gewähr. Doch die Begegnung war des muslimischen Feiertages würdig. Der Mann lebt mit seiner Frau und zwei Kindern an der Südküste der Türkei und war hier an der Messe über Hydraulik, sein Thema im Beruf.
Wenn reden wir als Laien so begeistert und engagiert von unserm Glauben?
Samstag, 3 .12.2005| Smyrna /Izmir
Heute stehe ich früh auf und schreibe den Text über die Engel in der Johannesoffenbarung. Ich bin verblüfft, welch wichtige Rolle sie hier für die Geschicht des Heils spielen. >>> zum Text über die Engel
Die Agora von Smyrna
Dann raffe ich mich endlich auf, einen der antiken Plätze in Izmir anzuschaund: die Agora, nicht weit von meinem Hotel. Die ganze Altstadt bis zum Meer war auch von den Griechen und Römern besiedelt, aber weil die Stadt so schön liegt und einen natürlichen Hafen hat, belieb sie immer ein Zentrum in Kleinasien. Alle Ruinen der alten Zeit sind mit Wohnhäusern bedeckt. Da, wo die Agora entdeckt wurde, lag in der osmanischen Zeit ein Friedhof. Darum wurde das Areal nicht wieder bebaut und die Agora konnte freigelegt und teils wieder hergestellt werden. In dem umzäunten Areal lagern nun überall Steine aus verschiedenen Zeiten, ich sehe griechische, römische und arabische Inschriften. Die ganze Agora besass mehrere 100 Meter lange unterirdiche Markthallen, oberidische Wandelhallen und Regierungsgebäude. Hier einige Bilder der Agora:
Blick auf die Agora und den Hügel mit Altstadt und Castell
Breite Wandelhallen für Marktstände, kühl auch im Sommer
Grabplatte aus der osmanischen Zeit
Grabstein mit einer Skulptur der Stadt Smyrna
Grabstein mit Weinstock und Reben, hinten das Hotel Hilton
Bögen der Markhallen, die den Blick frei geben nach unten
Besuch des Cermes (Basars) in der anglikanischen Kirche Alsaca Heute morgen erhalte ich das Mail des Rorschachers Fredy Schenkel, der hier lebt. Er wusste von einem Basar in einer Kirche, der am Samstag stattfindet. Der Basar ist in der Kirche, von der ich am Donnerstag ein Foto aufs Netz gestellt habe.
Weil es nach dem Ausflug schon spät ist, wage ich mich mit dem Auto in die Stadt. Es klappt gut. Auch finde ich gleich einen «oto park». Das sind bewachte Plätze, wo Autos eng aneinander gestellt werden. Man gibt die Schlüssel ab, damit andern Autos Platz gemacht werden könnte.
Wie ich bei der Kirche ankomme, ist es drei Uhr – eigentlich das Ende des Basars. Ich finde aber noch ein reges Treiben, fotografiere zuerst und lasse mich dann auf Gespräche ein. Ich bleibe bis es dunkel wird.
Der Basar hat inzwischen Tradition. Alle christlichen Gruppen kommen und verkaufen Bücher, Kleider, Gebasteltes, usw. Den Erlös kann jede Gruppe mitnehmen. Ein Zehntel gehört der anglikanischen Kirche, die die Infrastruktur zur Verfügung stellt.
Ich treffe hier auch die Schweizer, die ich in Selçuk besucht habe, Doris und Michael. Mit einigen jungen Studenten plaudere ich lange, vor allem mit einem, der gut Englich kann. Er hat sich in der Baptistengemeinde vor drei Wochen taufen lassen. Seine Eltern wissen es noch nicht, er müsse das langsam kommunizieren. Er stammt aus Russland, ursprünglich aber aus Albanien und studiert in Izmir. Die jungen Leute laden mich ein zum Gottesdienst morgen um 11 Uhr in Buca, nachher soll ich sie besuchen kommen. Ich erkundige mich nach dem genauen Ort.
Eine ältere Engländerin kann mir im Nu alle christichen Gemeinschaften und Kirchen in Izmir aufschreiben:
Acht Katholische Kirchen (im Zentrum: Polycarp, St.Maries, St.Rosaria; in der Umgebung: Karsuyakar, Bayrakla, Buca, Bornova, Goztepe) – von diesen katholischen Kirchen scheint mir niemand am Basar vertreten zu sein.
Weiter gibt es sieben bis acht «türkish fellowships», etwas wie Hauskreise oder Hausgemeinden mit teils einladenden und immer offenen Räumen. Und schliesslich die Anglikaner mit der Hauptkirche in Alsacak und einer weiteren Kirche in Bornova, die aber von Alsancak aus betreut wird. Von dieser ältern Dame erfahre ich auch von christichen Gruppen in Bergama (Pergamon) und Denizli (Laodicea).
Eine Frau aus Deutschland, die schon 40 Jahre hier lebt, hat vor 20 Jahren ihren Mann verloren und ihre vier Kinder hier grossgezogen. Nun hat sie eine kleine Pension 30 km von hier am Meer. Vielleicht werde ich dort auf dem Weg nach Pergamon eine Nacht verbringen. Die Frau schien mir viel über das Land zu wissen, und es ist schön, mal wieder Deutsch zu sprechen.
Eine jüngere deutsche Frau, Barbara, hat sich vor einigen Jahren hier niedergelassen und betreut eine Hausgemeinde. Sie sind im 6. Stock eines Hochhauses eingemietet und führen eine wachsende, charismatische Pfingstgemeinde. Auch sie lädt mich ein für morgen.
Am Schluss sitze ich lange mit dem anglikanischen Priester Ron Evans und der Priesterin Leslie Lewis draussen an einem Tischchen. Beide kommen aus Canada und geniessen das Klima in Izmir. Lesli ist pensioniert und hilft hier freiwillig mit. Eventuell will sie hier bleiben. Ron ist seit 10 Jahren an der Kirche und spricht perfekt Türkisch. Er hat die Kirche in den letzen 10 Jahren sehr verändert. Sie war vorher ganz anglikaisch, in den Händen der Briten. Man verbot ihm, in der Kirche türkisch zu sprechen. Inzwischen sind die Gottesdienste halb englich, hab türkisch.
Wir sprechen auch über das Sendschreiben an Smyrna. Er meint, dass die Christen hier auch heute eher arm sind, wie es im Sendschreiben an Symyrna schon von der damaligen Gemeinde heisst. Doch sie seien reich im Glauben. Zu uns setzt sich auch ein junger Türke mit leuchtenden Augen. Er hat nach zwei Jahren Unterricht bei Ron die Taufe erhalten. Nun lernt er eifrig englisch. Er könne so mehr Literatur studieren. Ton sagt, dass er nur Leute taufe, die sich gründlich mit dem christlichen Glauben auseinandergesetz hätten. Der Mann hat ein Jahre lang den Unterricht nach dem Gottesdienst besucht und dann noch einzelne Stunden bei Ron.
Natürlich werde ich auch hier eingeladen für morgen, und mein Herz verlang eigentlich nach einer schönen Liturgie. Aber ich habe es den Jungen schon versprochen, nach Buca zu kommen.
Leslie lädt mich ein für den 25. Dezember. Sie mache bei sich daheim eine grosse Einladung. Da ist schön zu wissen, einen Ort für Weihnachten zu haben – für alle Fälle.
Zum Abschluss des Tages noch ein Bild der anglikanischen Kirche von innen. Das Gebäude stammt aus dem 18. Jh. Ron hofft, dass er die Gemeinde bald als «caritative Organisation» registrieren lassen kann, denn seit 1923 sind sie hier ohne einen offiziellen Status. Das schöne Pfarrhaus ist an die englische Botschaft vermiete. So habe die Gemeinde ein sicheres Einkommen.
Sonntag, 4 .12.2005| Smyrna /Izmir
Heute hole ich nach, was zu einem «Muss» gehört, wenn man eine Woche Izmir besucht: Die Ruinen der jonischen Vorläufersiedlung (Tepekule in Bayrakli), das archäologische und ethnographische Museum und den Aussichtspunkt, den man mit dem ältesten Lift Izmirs erreicht. Weil heute Sonntag ist, war ich auch in der Kirche: bei der einzigen Baptistengemeinde in der Türkei in einer ehemaligen anglikanischen Kirche im Kreis Buca.
Altsmyrna
Ich hatte den Studenten, die ich gestern am Basar getroffen habe, versprochen, in ihre Kirche in Buca in der Nàhe der Universität zu kommen, Beginn um 11 Uhr. Ich pokere mit der Zeit und wage es, vorher noch den Ausflug zu den Ruinen des ältesten Smyrna zu wagen. Am Sonntag hat es weniger Verkehr, ich könnte das schaffen. Nach einer kleinen Irrfahrt und mehreren Umkreisungen des Ortes kam ich dann mit etwas Verspätung zu den Ruinen. Ich musste selber ein Tor aufstossen und war der einzige Gast in dem grossen, freigelegten Gebiet, das als Weingut von der Stadt betrieben wird. Mir gefällt der Mauerbau der alten Griechen. Noch ist nicht alles geometrisch und kubisch. Eine leise Ahnung des Lebens in dieser frühen Siedlung konnte in mir aufsteigen. Aber die Feierlichkeit des Tages kam auch vom Sonntag, an dem ich mich frisch angezogen hatte. Und in der Türkei mit ihrer Sechs-Tage-Woche hebt sich der Sonntag besonders hervor, dadurch, dass viele ruht.
Hier einige Bilder der frühen Siedlung, des jonischen Smyrna:
Gottesdienst bei den Baptisten in Buca
Den Weg auf die andere Seite in der Stadt schaffe ich gerade so, dass ich um 5 vor 11 vor der Kirche ankomme. Vor einer katholischen Kirche erkähren mir einige junge Frauen, wie ich zur reformierten Kirche finde. Da kann ich sogar hineinfahren zu einem eigenen Parkplatz. Die Studenten von gestern sind nicht da, schlafen wohl noch.
Um die Geschichte dieses Ortes zu erklären, muss ich etwas ausholen. Was ich hier erzähle, habe ich nach dem Gottesdienst vor allem von der Frau des Gemeindeleiters erfahren.
Die Kirche selbst ist über 150 Jhre alt. Sie wurde von den Anglikanern errichtet, von englischen Geschäftsleuten, die hier lebten. Das ganze Areal, das zur Kirche gehört, ist ein Friedhof mit stolzen Grabmählen, welche die Geschichte dieser Exilgemeinde erzählt. Ich fand Gräber von Leuten, die 1780 geboren worden sind. Stets ist auch erwähnt, was die betroffene Person hier geleistet hat. Es gibt auch einige Gräber von Deutschen, die mit den Engländern so eng verbunden waren, dass sie hier beerdigt werden konnten. Ein wunderbares Grabmahl hatte ein im 13. Lebensjahr verstorbenes Mädchen erhalten.
Die Kirche wurde bis 1961 von den Anglikanern aufrecht erhalten. Dann aber waren sie zu wenig Leute, und sie hatten ja noch die Kirche im Zentrum. Das Gebäude ging in den Besitz des Staates. Dieser nutzte es zuerst als eigenes Versammlungslokal, dann war es für längere Zeit das Zivilstandsamt, wo Trauungen vorgenommen wurden, schliesslich ein Kulturzentrum des Bezirk Buca.
Nun muss ich von Ertan Çevik erzählen, der mit seinen Eltern nach Deutschland kam und dort über das CVJM zum christichen Glauben gekommen ist. Er heiratete eine Deutsche und kehrte nach Izmir zurück. Hier war die junge Familie in Hauskreisen der Pfingstgemeinde, doch mit der Zeit merkten sie, dass die charismatische Ausprägung der Pfingstler ihnen eher fremd ist. So gründeten sie eine Hauskirche im Sinne der Baptisten, doch bald wurde die Privatwohnung zu eng. Selbstbewusst wandte sich Ertan an das Kulturministerium und fragte nach einem Gebäude. Man bot ihm zuerst die Ruinen einer orthodoxen Kirche an, die sie aber ablehnten trotz der zentralen Lage. Das Gebäude sei völlig zerfallen, Abfälle lagern sich da. Das andere Angebot, das über den Bürgermeister von Buca kam, war verlockend: Die ehemals anglikanische Kirche. Allerdings mussten sie selber für die Renovation und die Pflege des Areals aufkommen – unter Bestimmungen des Denkmahlschutzes.
Sie hätten die Kirche probeweise benützen können für eine längere Zeit – nach dem Gottesdienst fand jeweils ein Tanzkurs statt. Dann aber hätten sie sich für den Ort entschieden und das Areal samt Kirche wurde 2001 überschrieben. Nun aber begann erst die Arbeit. Noch war ein Halbmond auf dem Dach, wo früher ein Kreuz war, der Kirchenraum war mit ganz billigen Materialien renoviert worden, das Dach war leck usw. Dank der finanziellen Unterstützung von «Hilfe für Brüder» aus Deutschland und dank dem Einsatz vor Ort von kundigen Senioren der Baptisengemeinde in Singen konnte das Gebäude zu einer wahren Prele verwandelt werden. Das ist schnell gesagt, aber es war eine lange Geschichte, von der mir die Frau des Gemeindeleiters einige Müsterchen erzählt hat, z.B. von den Dachziegeln, Chifferplatten aus Wales in GB importiert, für die ein gleiches Produkt aus der Türkei beschafft werden musste, oder die drei Anstriche, welche die ursprüngliche Substanz im Innern verdeckte usw.
Die ganze Arbeit in der Gemeinde geschieht ehrenamtlich. Ertan selbst führt einen christlichen Verlag, der mit Unterstützung der «Carmel Mission» christliche Bücher in türkischer Sprache herausgibt.
Nun aber zum Gottesdienst am 2. Advent 2005 in der Baptistengemeinde von Buca in Izmir
Was mir auffällt, ist die Nähe zum reformierten Gottesdiensst. Im Zentrum steht das Wort der Bibel und die Auslegung. Nur prägt hier nicht ein beamteter Pfarrer die Auslegung, es sprechen gegen fünf Personen über je verschiedene Bibelstellen und auch die Gebete kommen aus der Reihe der Gemeinde. Eine Frau aus Deutschland, die mit einem Türken verheiratet ist (ich traf sie gestern am Basar), übersetzt mir den türkisch gesprochenen Gottesdienst.
Kurz vor Beginn des Gottesdienstes
Jugendliche begleiten die Lieder mit Gitarren und Kybord
Die Kinder werden befragt über die letzte Kinderstunde
Kinder mit dem Buch über den Ursprung von Weihnachten
Bei der Begrüssung wird gefragt, wer zum ersten Mal da ist; ich werde speziell begrüsst. Es folgt ein Gebet, dann werden drei Lieder gesungen, begleitet von der jungen «Band» (siehe Bild oben). Bei der Psalmlesung (Psalm 27) schlagen alle die Verse in ihrer Bibel nach (ich habe das erstmals bei den Zeugen Jehowas in St.Gallen erlebt) und lesen leise mit. Sie lernen so den Umgang mit der Bibel. Da, wo die hebräische Bibel den geheimen Gottesnahmen nennt, Jahwe, und wo unsere Bibel «der Herr» übersetzt, steht in der türkischen Bibel in grossen Buchstaben RAB. Diesem Wort will ich noch nachgehen.
Dann erläutert Ertan den Psalm: Gott ist unsere Burg, bei ihm finden wir bei allen Anfeindungen und Angriffen Zuflucht.
Nun versammeln sich die Kinder vorne und werden kurz über ihre letzte Lektion befragt; sie erhalten ein Gebet und einen Segen und begeben sich in die Kinderstunde, wo sie etwas über die Bedeutung des Christbaums erfahren. Die Frau des Gemeindeleiters zeigt mir nachher ein Kinderbuch, das in Ankara gedruckt wurde. Es soll den Kindern pädagogisch die Bedeutung von Weihnachten vermitteln (siehe Bild unten).
Ein Mann liesst dann Joh. 1,29 und erwähnt die Schwierigkeit, gegenüber Muslimen den Begriff «Sohn Gottes» verständlich zu machen. Ein anderer Mann liesst Apg. 10,24f, wo Petrus den römischen Hauptmann Cornelius besucht. Für Gott, so sagt er, seien alle Leute berufen, Gott macht keinen Unterschied. Gehet hinaus in alle Welt und predigt das Evangelium!
Dann wird im Chor das Glaubensbekenntnis gesprochen und es folgt die Predigt von einem jungen Türken, der vor einigen Jahre bekehrt worden ist. Sein Predigtverse sind Jakobus 3,1-12 , ein Text, den ich kaum kannte, aber der mich besticht, wie ich ihn nun heute abend lese. Es geht um die Disziplinierung der Zunge, die einen Brand entzünden kann mit ihrer Macht. Warum hat Jesus am Kreuz die absolute Gottverlassenheit erfahren müssen, als er schrie: mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Um auch unsere Lippen zu reinigen,, dass wir getreu bleiben bis in den Tod, wie es im Sendschreiben an Smyrna heisst! Und wir sollen uns darum verändern lassen, was unser Reden betrifft. Es gehe nicht, dass wir hier Gott loben und nachher im Alltag mit derselben Zunge fluchen oder über andere Menschen übel reden!
Die Gemeinde schlägt in ihrer Bibel Matth. 5,11 nach: Wir sollen uns nicht sorgen, wenn über uns übel geredet wird.
Dann Matth. 7,18: An den Früchten wird man die wahren Nachfolger erkennen.
Nach der Predigt erläutern einzelne Gemeindeglieder Erfahrungen mit diesem Thema der Zunge, die nur schwer in Zaum zu halten ist. Ein älterer Mann erwähnt Psalm 34, 12ff: Wer die Zunge behütet, könne ein glückliches Alter erhalten. Eine junge Frau sagt, dass man sich durchaus auch bei seinen Kindern entschuldigen könne, wenn man vor ihnen geflucht oder übel gesprochen hat.
Zum Schluss des Gottesdienstes wird noch einmal gesungen, dann das Vater Unser und der aronitische Segen.
Ich bleibe noch lange an dem Ort, studiere die Gräber und gehe zum Kirchentee. Da lerne ich den jungen Prediger kennen, der im Verlag mitarbeitet und heute noch in den Fotoshop-Kurs gehen muss. Mit seiner Familie ist der Kontakt zerbrochen. Ertan bestätigt mit, dass in der Regel bekehrte Muslime nicht mehr zu ihrer Familie gehen können. An sich hätten abgefallene Muslime kein Recht mehr auf ihr Leben, sie sollten umgebracht werden. Ich frage, ob das in der Türkei geschehen ist. Ertan sagt mir, dass das im Iran, in Pakistan und in arabischen Ländern vorgekommen ist, nicht aber in der Türkeit.
Aber sie hätten Demonstrationen gehabt vor ihrer Kirche von fundamentalistischen Muslimen.
Ertan erwartete noch eine Gruppe von türkischen loins-fellowship, eine Art Loge, sehr weltoffenen türkischen Intellektuellen. Er hätte es gerne gesehen, wenn ich noch geblieben wäre. Er hätte ihnen die Reformatione erklärt. Aber ich mussste weiterziehen, da ich noch vieles vor hatte.
Das archäologische Museum von Izmir
Wieder verfahre ich mich. Ein Mann setzt sich in mein Auto und führt mich, bis alles klar ist. Er ist Vater von zwei Knaben. Er zeigte mir sie, wie sie auf der Sstrasse Fussball spielen. Er stieg aus, als ich nicht mehr irren konnte. So fand ich im den Weg zum Museum, parkierte da und lief durch die beiden Etagen mit Skulpturen und kleinen Funden. Hier zwei Skulpturen, die mich beeindruckt haben:
Eine Priestergestalt aus der griech. Zeit
Ein Athleth aus der hellenistichen Zeit, Bronce
Dann geh ich auch druch das ethnographische Museum, wo viele Berufe, Handwerke und Künste aus der osmanischen Zeit ganz eindrücklich präsentiert werden. Bei den Stoffen denke ich an die Stickerei in St.Gallen, die von türkischen Mustern inspiriert worden ist.
Zum Abschluss des Tagse fahre ich mit dem «Asansör» , dem ältesten Lift der Stadt, in die Höhe und geniesse bei einem espresso die wunderbare Aussicht auf Izmir im Abendlicht.
Zum Abschied von Izmir gegebe ich mich kurz ans Meer:
Montag, 5. Dezember 2005: Abstecher nach Alaçati
Aliçati ist ein altes griechisches Dorf, 80 km westlich von Izmir am Meer (nähe Cesme). Die riesige, Izmir vorgelagerte Halbinsel ist im Sommer der Urlaubsort für die Städter. An die 2 Millionen Leute aus Izmir und Umgebung verbringen hier ihe Sommerferien. Eine dreispurige Autobahn, auf der ich heute morgen kaum andere Autos antreffe, verbindet den Hafen von Cesme mit Izmir.
Mein Abstecher nach Alaçati hat damit zu tun, dass ich in Izmir beim Basar der anglikanischen Kirche eine deutsche Frau kennen gelernt habe, die seit 40 Jahren in der Türkei lebt und sich nach Jahren in Izmir in diese Dorf zurückgezogen hat, wo sie eine Pension betreibt. Nach dem frühen Tod ihres türkischen Ehemanns hat sie sich und die vier Kinder in Izmir durchgebracht, indem sie das Versicherungsunternehmen ihres Mannes weitergeführt hat. Inzwischen hat es ein Sohn übernommen, der in Izmir lebt. Besonders für die Grosskinder hat Antje Koruse, wie die Frau heisst, ihr Haus bereits adventlich geschmükt und Christstollen gebacken. Ich geniesse hier einen Tag Erholung von der Grossstadt Izmir.
Beerdigungspraxis
Bei richtige Kaffee und Christstollen plaudern wir etwas, nach dem ich mein Zimmer zugewiesen erhalten habe. Sie erzählt mir über die Beerdigungspraxis. In der ganzen Türkei gibt es kein Krematorium und auch kaum gekühlte Aufbahrungsorte. Die Toten werden rasch, oft noch am selben Tag, beerdigt. Die Beerdigung mit etwa 10 Franken ist sehr billig, da die Toten in Tüchern in die Grube gelegt werden. Der Sarg wird wieder verwendet für andere. Ein Platz für alle Zeiten auf dem Friedhof kostet gegen 20 Franken. Nach einem Jahr, wenn der Boden nicht mehr einsickert, werden über dem Grab aus Marmor je nach Reichtum der Familie Grabmahle oder Steine aufgestellt. Meine Gastgeberin erzählt mir von dem Tod einer Freundin aus Deutschland, die hier auch auf dem Friedhof liegt zwischen den Muslimen.
In Izmir hätten die Katholiken einen eigenen Friedhof, die Anglikaner einen in Bornowa bei der Kirche. Allerdings müsse da alle 7 Jahre jemand beerdigt werden, sonst geht das Areal in den Beseitz der Stadt über. In Alçati gibt es mehrer islamische Friedhöfe. Wenn auf einem Friedhof kein Platz mehr frei ist, wird ein neuer angelegt. Später besuchen wir alle drei. Den früheren christlichen Friedhof, den es gegeben haben muss, vermutet meine Gastgeberin in der Umgebung einer zerfallen Kirche. Rund herum stehen Häuser.
Besitzesverhätlnisse der Kirchen
Dann erzählt mir Frau Kuruse von der rechtlichen Situation der anglikanischen Kirche, bei der sie seit 40 Jahren aktiv ist. Weil die Anglikaner und die Deutschen 1923 die junge Republik nicht anerkannt hätten – sie hatten es gut unter dem Kalifat – ist ihre rechtliche Situation bis heute prekär. Antje Kuruse hätte sich vor etwa 30 Jahren einmal engagiert für einen besseren Status. Sie war bei der Stadt und sah im Grundbuch, dass bei der Parzelle der anglikanischen Kirche einfach nichts steht. Die Besitzverhältnisse sind bis heute nicht geklärt. Die Katholiken hätten klarere Verhältnisse. Sie haben eine Organisation gegründet, die inzwischen als Eigentümerin der katholischen Kirchen registriert ist.
9.bis 15. Januar: Bairam-Kurban und Gebetswoche der Einheit
Dann kommen wir auf religiöse Feste in der Woche vom 9. bis 15. Januar zu sprechen. Ich erzählt ihr, dass ich einen Flug für den 15. Januar erhalten hätte, aber für den 8. Januar auf der Warteliste sei. Das erstaune sie nicht. Vom 9. bis 15. Januar sei hier alles zu, da seinen Schulferein und keine Betrieb habe offen. Viele Leute verreisen, auch in die Schweiz. Es sei in dieser Woche auch Bairam Karban, das Opferfest. Da werde das Opfer Abfahams nachvollzogen, überall würden auf der Strasse Lämmer geschächtet. Ein Zehntel des Fleisches dürfe selber genossen werden, der Rest gehe an Arme oder an wohltätige Zwecke. Das rituelle Schlachten sei hier überhaupt sehr verbreitet. Beim Erwerb eines neuen Autos oder der Einweihung eines Hauses gehört es dazu, dass man die Errungenschaft mit Blut segnet. Das fliessende Blut soll Übel abhalten.
Auch für die Christen in Izmir ist diese Woche wichtig. Seit Jahren wird die weltweite Gebetswoche der Einheit hier recht wichtig genommen. An jedem Abend findet in einer anderen Kirche ein Gottesdienst mit Predigt statt, anschliessend wird bei Tee und Kuchen Geselligkeit gepflegt. So können die Mitglieder der verschiedenen Kirchen einmal im Jahr auch Kontakt mit den andern christlichen Gruppen pflegen.
Spaziergang durch das ehemals griechische Dorf Alaçati
Nach unserm Kaffee wandern wird durch das Dorf. Viele alte Häuser sind noch Ruinen. Seit einigen Jahren wurde diese Dorfidylle mit ihrem Baustil vom Tourismus entdeckt. Nun geltgen strenge Auflagen vom Denkmalschutz für die Renovation. Das Dorf soll seinen alten Charakter behalten. Es wurde 1923 von den nach Griechenland ausgesiedelten Griechen verlassen. Muslime, die in Griechenland lebten, wurden hier angesiedelt. Viel aber hätten irgendwann ihre zerfallende Liegenschaft verlassen. Derzeit steigen die Preise für die alten Häuser und es herrscht ein eigentlicher Bauboom.
Wir kommen vorbei bei der alten Kathedrale, die inzwischen als Moschee genutz wird. Eine weitere Kirche ist nur noch eine Ruine. Die Steine wurden abgetragen und andersweitig benutzt. Heute ist das Areal archäologisches Gebiet, trotzdem wird es als Schuttablage genutzt, natürlich illegal. Das Dorf lag früher am Meer, heute ist das Gebiet aufgeschwemmt. Das Meer liegt 2 km weit entfernt. Da meine Gastgeberin selber zwei Liegenschaften gekauft und renoviert hat, kann sie die verschiedenen Stadien und Qualitäten der Renovation gut beurteilen. Wir mustern viele der alten Häuser.
Wieder daheim kocht sie etwas und wächt auch meine Wäsche. Ich gehe in ein Restaurant und schreibe diesen Text, den ich nun im Internetcafe nebenan aufs Netz stellen werden. Hier noch einige Bilder von unserm Spaziergang durch Alaçati.
Das alte Rathaus im Zentrum ist jetzt ein Restaurnat
Vorplatz der alten Kathedrale, heute eine Moschee
Das Dorf mit den engen Gasse ist im Sommer autofrei